Wirtschaft/Karriere

Arbeiten in Wien: ein Standort-Check

Morgens um acht, wenn die Luft kühl ist und im Volksgarten die Sprinkleranlage pulsiert. Wenn die Fahrradreifen über den sonnigen Burgtheatervorplatz rollen, den die Hufen vieler Hunderter Fiaker-Pferde mit winzigen Löchern übersät haben. Dann zeigt sich Wien von jener Seite, die den britischen Economist vergangene Woche dazu veranlasst haben muss, die Stadt als weltweit lebenswerteste zu küren. Auch andere Umfragen attestieren der Hauptstadt beste Lebensqualität.

965.000 Erwerbstätige arbeiten in Wien. Wer im Sommer mit dem Rad zur Arbeit fährt, begegnet ihnen: Dem Anzugträger, der von der Straßenbahn ins Büro hetzt. Dem Kellner, der im Gastgarten die Tische abwischt. Der Forscherin, die ihren Roller vor der Uni parkt. Ist Wien auch die Stadt, in der es sich lohnt, zu arbeiten? „Wenn Sie in höher qualifizierten Bereichen tätig sind, vielleicht studiert haben, dann ja“, sagt Peter Huber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).

Tertiärer Sektor im Aufwind

Schon jetzt ist gut jeder zweite Wiener Berufstätige ein hoch qualifizierter Angestellter. Studien bestätigen für Wien einen Strukturwandel hin zu wissens- und technologieintensiven Dienstleistungen. „Während die Beschäftigung in der Produktion sinkt, wächst der Dienstleistungssektor jährlich um 1,6 Prozent“, zitiert Huber seine mitverfasste Beschäftigungsprognose bis 2023.

Wien ist als Arbeitsmarkt vor allem für Akademiker und bestimmte gut ausgebildete Fachkräfte attraktiv, etwa in IT oder Verwaltung“, bestätigt Petra Draxl, Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice (AMS) Wien. Für andere Technologiebranchen sei Wien hingegen uninteressant. „Industrie-Spezialisten sind in der Steiermark, Ober- oder Niederösterreich besser aufgehoben.“

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Während in Wien die Jobs für Hochqualifizierte mehr werden, fallen viele niedrig qualifizierte Tätigkeiten weg. Zuzug von schlecht ausgebildeten Migranten erhöht den Druck. „Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt für gering qualifizierte Menschen steigt“, beobachtet Draxl. 45 Prozent der Arbeitslosen haben maximal Pflichtschulabschluss.

Konkurrenzdruck für gering Qualifizierte

Wer morgens mit dem Rad durch Wien fährt, begegnet auch ihnen. Über eine Stunde vor Öffnung stehen jene, denen das Einkommen für den regulären Supermarkt fehlt, wartend vor einem Sozialmarkt in Favoriten. Unter ihnen auch Menschen ohne Arbeit.

Welche Jobs es in Zukunft für Niedrigqualifizierte geben wird? „Jobs bei Reinigungs- oder Sicherheitsfirmen kommen infrage“, sagt Draxl. „Hilfstätigkeiten im Bereich Handel, persönliche Dienstleistungen oder Pflege“, fallen WIFO-Ökonom Huber ergänzend ein.

Bevölkerungswachstum und steigende Lebenserwartung machen letztgenannten Bereich für Arbeitnehmer unterschiedlichster Qualifikationen interessant. Knapp 18.000 neue Stellen werden laut WIFO bis 2023 im Wiener Gesundheits- und Sozialwesen entstehen. Starke Zuwächse prognostiziert Huber auch für IT, Erziehung und Unterricht sowie Beherbergung und Gastronomie.

Entsprechend liegt der Fokus bei den 1000 zusätzlichen Lehrstellen, die WKO und Stadt Wien bis 2025 besetzen wollen. Besonders in IT und Tourismus gibt es Bedarf. Aber: „Berufsbilder verändern sich. Die duale Ausbildung muss angepasst werden“, sagt AMS-Chefin Draxl.

Große und Kleine

Untypisch für das KMU-Land Österreich gibt es in Wien sehr viele große Firmen. Nicht wenige davon sind international tätig. Wer für sie arbeiten will, müsse neben einer exzellenten Ausbildung sehr gute Englischkenntnisse und Mobilitätsbereitschaft mitbringen. Alleine 2017 haben sich in Wien 191 ausländische Betriebe angesiedelt. Aufgrund ihrer Lage gilt die Stadt als Osteuropa-Tor.

Die Zahl der Selbstständigen hat in den vergangenen Jahren ebenfalls stark zugelegt. Im für Wien so prägenden Kreativsektor arbeitet ein Großteil der Erwerbstätigen selbstständig, wie man unter anderem an den vielen Co-Working-Spaces sieht. Auch für Entrepreneure im Bereich Forschung, Medizin und Technik lohnt es sich hier. „Wien wird zur Start-up-Stadt“, sagt Draxl und verweist auf das internationale Start-up-Netzwerk „Start Alliance“, in das die Stadt kürzlich aufgenommen wurde. Vor einem halben Jahre wurde auch weXelerate, das größte Start-up-Hub Europas, eröffnet – Wien will international mitspielen.

Im Hochschulbereich tut Wien das bereits: Wien ist die größte deutschsprachige Uni-Stadt, zudem wird ein Drittel der österreichischen Forschungsausgaben hier getätigt – mehr als in jedem anderen Bundesland. „Forschung ist ein Wachstumssektor. Speziell Biotech-Firmen sind im Aufwind“, erklärt WIFO-Experte Huber.

Wien ist also nicht nur wegen seiner Lebensqualität attraktiv. Kein Wunder, dass Menschen aus Um- und Ausland gerne zum Arbeiten kommen – egal, ob sie in Forschung oder Gastronomie tätig sind. Drei von ihnen erzählen, was sie an Wien schätzen und wo sie Verbesserungsbedarf sehen.

Kellner: „Mag Wiener Schmäh“

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Technisch gesehen könnte Rudolf Lenzhofer, Oberkellner im Café Landtmann, auch woanders arbeiten, als in Wien.  „Emotional gesehen aber nicht. Ich bin mit dem Familienbetrieb gewachsen und sehr verbunden“, sagt er.

KURIER: Was macht Arbeiten in Wien besonders?

Rudolf Lenzhofer: Wien ist wirklich lebenswert, die Economist-Statistik stimmt auch für mich. Ich schätze die gute Infrastruktur, die Sicherheit, die Sauberkeit und  die Sozialleistungen. Als Kärntner in Wien muss ich auch ehrlich sagen: ich mag  die Mentalität, den Wiener Schmäh. Den braucht man auch durchaus in meinen Job.

Was ist nicht so optimal an Wien?

Manche kritisieren eine Gettobildung in einigen Bezirken. Aber Wien ist Multikulti, ich mag das. Das spiegelt sich auch in meinen Arbeitsumfeld wieder: Sowohl  Kollegen als auch die Gäste kommen aus  verschiedenen Nationen. Man muss Menschen schon mögen, um hier zu arbeiten. Und man muss sich wechselseitig mit Respekt begegnen.

Chemikerin:„Fühle mich geschätzt“

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Chemikerin Miriam Unterlass forscht an der TU Wien. Bevor die mehrfach ausgezeichnete Wissenschafterin 2012 nach Wien kam, hat sie in Frankreich, England und Deutschland studiert und geforscht.

KURIER: Warum arbeiten Sie ausgerechnet in Wien?

Miriam Unterlass: An Wien schätze ich besonders die Dichte an Forschungseinrichtungen. Zu Fuß bin ich  von meinem Arbeitsplatz an der TU Wien  in 30 Minuten an der Uni Wien oder am Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW. Außerdem  fühlt man sich hier als Forscherin  geschätzt, sowohl von offizieller Seite als auch von der Öffentlichkeit. Auch für Start-ups ist die Nähe zu Forschungseinrichtungen und Inkubatoren, wie INITS oder  i2c der TU Wien, großartig.

Was gefällt Ihnen weniger an der Hauptstadt?

Man sollte die Mobilität  verstärken und administrative Hürden für Forscher aus dem Ausland minimieren, zudem müssten Exzellenzprogramme ausgebaut werden. Wissenschaft und Betriebe brauchen die klügsten und dynamischsten Köpfe.

Zahnarzt: „In Wien gibt es Druck“

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Nicht alle wollen in der Hauptstadt arbeiten. Für Zahnarzt Stefan Schröckmair hat es sich ausgezahlt, nach dem achtjährigen Studium in Wien nach Linz zu ziehen und in die Praxis seines Vaters in St. Valentin einzusteigen.

KURIER: Warum arbeiten Sie lieber auf dem Land?

Stefan Schröckmair: In Wien ist der Druck für Zahnärzte größer, es gibt viel Konkurrenz.  Viele meiner Kollegen sind nach Deutschland, Vorarlberg oder in die Schweiz gegangen. Dort sind sie glücklicher als in Wien. Außerdem kann man sich in einer laufenden Ordination fachlich schneller entwickeln, als wenn man  etwas Neues aufbaut. Es war wirtschaftlich die beste Entscheidung.

Können Sie sich vorstellen, eines Tages doch in der Hauptstadt zu arbeiten?

In den nächsten zehn Jahren sicher nicht. Aber Wien ist eine magische Stadt. Ich habe dort immer noch eine Wochenendwohnung. In Wien eines Tages eine kleine Praxis eröffnen? Wer weiß.