Wirtschaft/Karriere

Arbeiten im Alter: Mit Vision in die Pension

„Wenn Sie es radikal angehen wollen, dann lade ich Sie ein, dass Sie in Ihrer Harddisk da oben alles löschen, was Sie bisher über das Altern gehört haben“, sagt Leopold und deutet auf seinen Kopf. Es ist ein Dienstagabend in Schwarzach, Vorarlberg und Stieger – kurze weiße Haare, schwarzes Sakko, klare, gemächliche Sprache – ist voll in seinem Element.

Ausgestattet mit Headset-Mikrofon und Flipchart präsentiert der pensionierte Personalentwickler sein neuestes Buch mit dem Titel „Freitätigkeit – Zwischen Beruf und Ruhestand“ (new academic press). „Wenn nämlich das Alte drin bleibt, bringen Sie das Neue nicht hinein. Es sind so viele falsche Bilder, die wir vom Alter haben.“ Der 79-Jährige unterbricht und schaut in die Runde. „Na, schon gelöscht?“ Die mehrheitlich über 50-jährigen Zuhörer lachen.

Wissen weitergeben

Jahrzehntelang hat Stieger Unternehmen in Personalfragen beraten, Seminare gehalten, sich Moderationstechnik antrainiert, mehrere Firmen gegründet. Bis 2004, dem Jahr seiner Pension. Mit 65 einfach Schluss? Diese Vorstellung, all sein wertvolles Wissen verkümmern zu lassen, fand Stieger unerträglich.

So gründete er Seniors4Success als Anlaufstelle für Menschen in oder kurz vor der Pension, die, ähnlich wie anfangs er selbst, ratlos vor dem neuen Lebensabschnitt stehen. „Ich will anderen einen Anstoß geben, ihr Leben zu gestalten.“ Auf seine Website stellt er Tipps, macht Umfragen und vernetzt sich. Auch sein Auftritt in Vorarlberg ist dort als Video festgehalten.

Alle Inhalte anzeigen

Rastlos in der Pension? Franz , Studiengangsleiter für Gerontologie und soziale Innovation an der Universität Wien: „Die große Mehrheit der Bevölkerung sehnt die Freizeit in der Pension herbei.“ Jene, die ihr Leben lang fremdbestimmt gearbeitet haben, fühlten sich mit der Pension erleichtert. Vom sogenannten Pensionsschock – dem Gefühl, gestern noch wichtig gewesen zu sein, und heute scheinbar nicht mehr gebraucht zu werden – sei eher eine Minderheit betroffen, sagt Kolland.

Langeweile

Er schätzt, dass ihr Anteil unter zehn Prozent liegt. „Erfahrungsgemäß trifft es eher jene, die in Führungsposition oder selbstständig gearbeitet haben.“ Immerhin rund 40 Prozent geben in Umfragen jedoch an, sich im Alter zu langweilen. Der Gerontologe rät, sich etwa ab dem 50. Geburtstag aktiv mit der Pension auseinanderzusetzen. Das heimische Umlageverfahren im Pensionssystem lasse viele Menschen den Gedanken an die eigene Pension verdrängen.

Pension ist der gravierendste Übergang im Leben eines Menschen und er wird von vielen zu leicht genommen. Ich will einen Anstoß geben, ihr Leben zu gestalten.

Leopold Stieger
Pensionist und Buchautor

21,7 Jahre durchschnittliche Restlebenszeit haben heute 65-jährige Österreicherinnen laut OECD-Statistik. Bei den Männern sind es 18,5 Jahre. Anders als in Wirtschaftssystemen, die auf harter körperlicher Arbeit basieren, sind Pensionisten in unserer Dienstleistungsgesellschaft meist topfit. Betreuung der Enkelkinder, ehrenamtliches Engagement oder ein paar Jahre länger erwerbstätig sein: Die Möglichkeiten sind vielfältig.

75.100 Menschen über 65 arbeiten laut Quartalsstichprobe der Statistik Austria mindestens eine Stunde pro Woche (geringfügig Tätige inbegriffen). Echt erwerbstätig gemeldet sind laut Hauptverband der Sozialversicherungen immerhin 35.408 Alterspensionisten, zwei Drittel davon selbstständig. „Sie gehen hauptsächlich höher qualifizierten Tätigkeiten nach, wo sie Erfahrung weitergeben können. Das kann der Consulter im Bankwesen sein, die ehemalige Richterin, die jetzt Vorträge hält oder der Uni-Professor, der Bücher schreibt“, konkretisiert Wolfgang Panhölzl, Pensionsexperte der Arbeiterkammer (AK) Wien.

Besonders hart treffe der Umstieg in die neue Lebensphase jene Arbeitnehmer, die vor dem Regelpensionsalter ihre Anstellung verlieren. „In vielen Fällen ist die Kündigungsanfechtung zwar erfolgreich, die Rückkehr in den alten Betrieb in der Praxis aber quasi unmöglich, weil das Klima so vergiftet ist.“ Erst im Juni sei er mit dem Fall einer über 50-jährigen Krankenschwester befasst gewesen, die aufgrund von Mobbing am Arbeitsplatz eine Erschöpfungsdepression erlitten hat.

Unter dem EU-Schnitt

Volkswirtschaftlich betrachtet kommen Früh- und Korridorpensionen dem System teuer, weshalb die Politik mit unterschiedlichsten Maßnahmen versucht, das faktische Pensionsalter anzuheben. Aus dem Sozialministerium heißt es dazu auf KURIER-Anfrage, man plane unter anderem, die Altersteilzeit zu reformieren und eine „stufenweise, konsequente und nachhaltige Abschaffung aller noch verbliebenen Pensionsprivilegien“ umzusetzen.

Tatsächlich lag die Beschäftigungsquote der 55 bis 64-Jährigen in Österreich zuletzt bei 51,3 Prozent und damit deutlich unter dem EU- (57 Prozent) und dem OECD-Schnitt (60,4 Prozent). „Der Bewusstseinswandel, dass Ältere und ältere Kranke nicht automatisch arbeitsunfähig sind, muss hierzulande erst gelingen“, so Panhölzl.

Der Pensionsschock trifft eine Minderheit. Erfahrungsgemäß sind es eher jene, die selbstständig oder in Führungspositionen gearbeitet haben.

Franz Kolland
Gerontologe

Einen Pensionsschock der anderen Art erlebt gerade Monika Himsl. Seit September ist die Innsbruckerin Mindestpensionistin. „Ich war Alleinerzieherin, habe nie längere Zeit angestellt gearbeitet“, schildert die freie Journalistin und Zeichnerin. „Ich werde weiterarbeiten, weil ich es muss.“ Ideen habe sie viele, alleine wie sie damit Geld lukrieren kann, weiß sie noch nicht. „Ich vernetze mich aktuell, gehe auf viele Veranstaltungen“.

Neue Netzwerke

Auch Leopold Stieger hat erkannt, wie wichtig neue Kontakte sind, wenn die alten pensionsbedingt wegfallen. Gerontologe Kolland rät zum Mentoring, am besten schon vor der Pension, ab etwa 50: „Vom Erfahrungsaustausch profitieren beide. Im Idealfall entsteht eine langfristige Freundschaft. Als Älterer kommen Sie über Ihren Mentee außerdem mit neuen Leuten in Kontakt.“

Monika Himsl erzählt, sie möchte demnächst eine Initiative für Mindestpensionistinnen gründen. Leopold Stieger lässt noch offen, was sein nächstes Projekt sein soll. Eines ist aber gewiss: Langweilig wird ihm so schnell sicher nicht.
 

Arbeitsrecht: Nebenjob oder Pension aufschieben?

  • Pensionsalter: Das Regelpensionsalter liegt in Österreich derzeit bei 65 Jahren für Männer und 60 Jahren für Frauen. Ab 2024 wird das gesetzliche Antrittsalter für Frauen jährlich um ein halbes Jahr angehoben. Ab 2033 sollen Männer und Frauen einheitlich mit 65 in Alterspension gehen.
     
  • Weiterarbeiten neben der Pension: Wer Alterspension bezieht, beziehungsweise in der Pension das Regelpensionsalter erreicht hat, darf nebenher uneingeschränkt dazuverdienen, ohne dass er Abschläge bei der Pensionshöhe befürchten muss. Ab einem Jahreseinkommen (Einkommen plus Bruttopension minus Sozialversicherungsbeiträge) von 12.000 Euro, kann das Finanzamt Steuern nachfordern. Wie hoch die Nachforderung ausfällt, hängt von der Höhe des Jahreseinkommens und allfällig bereits entrichteter Lohnsteuer ab. Wer vor Erreichen des Regelpensionsalters eine Früh-, Korridorpension oder die sogenannte Hacklerregelung in Anspruch nimmt, darf nur bis zur Geringfügigkeitsgrenze (438,50 Euro) dazuverdienen. Übersteigt er in einem Monat die Grenze, verliert er die komplette Pension für diesen Monat. Bei Pension aus gesundheitlichen Gründen gilt eine monatliche Zuverdienstgrenze von 1.196,09 Euro brutto (Pension plus Erwerbseinkommen). Bei mehr wird der Anteil, der die Grenze übersteigt um 30 bis 50 Prozent vermindert. Bei der Mindestpension kann die Ausgleichszahlung gekürzt oder gestrichen werden, wenn der Bezieher ein zusätzliches Einkommen bezieht.
     
  • Pension aufschieben: Wer über das Regelpensionsalter hinaus regulär erwerbstätig bleibt und die Pension aufschiebt, statt sie zu beziehen, steht vor folgendem Szenario: Die Beiträge zur Pensionsversicherung werden in diesem Fall sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber halbiert. Zusätzlich steigt der Pensionsanspruch des Arbeitnehmers mit jedem weiteren Jahr Erwerbstätigkeit um 4,2 Prozent. Auf die Frage, ob Erwerbstätigkeit neben der Pension oder der Aufschub günstiger kommt, gibt es laut Arbeiterkammer keine eindeutige Antwort. „Das muss man von Fall zu Fall durchrechnen“, sagt AK-Referent Wolfgang Panhölzl.
     
  • Frauen über 60: Eine Innsbrucker Ärztin sollte vor einigen Jahren gegen ihren Willen mit 60 in Pension geschickt werden und reichte Klage ein. Der Europäische Gerichtshof hat daraufhin 2010 entschieden: Frauen über 60 dürfen nicht gegen ihren Willen in Pension geschickt werden. Das käme einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gleich. Betroffenen Frauen rät die Arbeiterkammer, den Betriebsrat einzuschalten beziehungsweise rechtliche Beratung zu suchen.