Arbeiten auf der sicheren Seite
Von Nicole Thurn
Am Anfang sind sie noch verhalten. Doch wenn österreichische Studienabsolventen fünf Jahre im Angestelltendasein verbracht haben, flammt bei jedem fünften ein großer Wunsch auf: Frei sein. Eigener Chef sein. Endlich die vage Geschäftsidee verwirklichen und dann mit einem Buy-out so reich werden wie Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner. Das zeigt die Umfrage GUESS.
Diese Freiheit ist ein Mythos, die freie Zeiteinteilung Zynismus – wenn man, wie so oft in den ersten zwei, drei Jahren, 80 Stunden pro Wochen in ein Unternehmen reinbuttert, das kein Geld abwirft. "Zu mir kommen so viele Leute, die ein Business hochziehen wollen", sagt Karriereberater Conrad Pramböck. "Sie haben ein super Produkt, ein super Geschäftsmodell. Dennoch: Ich desillusioniere sie", sagt er. Aus gutem Grund. "90 Prozent der Gründer missachten die Frage nach dem Kunden." Seiner Ansicht nach sei Erfolg für Angestellte viel leichter machbar als für Unternehmer. Immerhin sei die Gründung eines Unternehmens ein Risiko für die eigene Existenz: "Als Selbstständiger arbeitest du mit 70, 80 Wochenstunden doppelte so viel wie ein Angestellter und am Ende kommt in der Regel weniger Geld dabei heraus."
Zudem sei die Zeitspanne, als Unternehmer oder Unternehmerin erfolgreich zu sein, recht eng bemessen: "Eine Frau hat zwischen dem Abschluss der Ausbildung und der Familiengründung fünf bis zehn Jahre Zeit, um eine berufliche Existenz aufzubauen. Ein Mann hat vielleicht gerade ein Unternehmen aufgebaut, wird Familienvater oder muss Alimente zahlen. Und dann kommen Jahre, wo kein Geld hereinkommt."
Ähnliches hat auch Markus Heingärtner erlebt. Früher leitete er den Management Club in Wien, dann beschloss er, sich mit "usetwice" selbstständig zu machen – einer Plattform für die Vermietung von Gegenständen. Zwei Jahre lang baute er sein Unternehmen auf, dann hing er ohne Risikokapital finanziell in der Luft. "Irgendwann kommt der Punkt, wo man sagt: Es hat nicht funktioniert, man muss Geld verdienen", sagt Heingärtner. Er suchte sich einen Job bei Herold, war dann ein Jahr bei NZZ.at zweiter Geschäftsführer, "ein enorm intensiver Job". Vermisst hat er weder im Unternehmertum noch im Angestelltenverhältnis etwas: "Als Unternehmer habe ich es geliebt, mich frei bewegen zu können. In der Führungsposition war es angenehm, ein vernünftiges Gehalt zu bekommen."
Stell dich an
Das Angestelltenverhältnis bleibt für die Mehrheit der Österreicher erste Wahl: 3,5 Millionen Menschen sind in einem Unternehmen beschäftigt. 2014 zählte die Wirtschaftskammer Österreich rund 470.000 Mitglieder und 37.000 Neugründungen. Die Gründungsintensität erhöhte sich seit den 1990ern, aber stagniert seit ein paar Jahren.
Die Vorteile einer Anstellung erkannte PR-Expertin Marlies Frey erst, als sie fehlten. Drei Jahre nach der Gründung ihrer eigenen Agentur Sandburg warf sie das Handtuch und kehrte ins Angestelltenverhältnis zurück: "Ich hatte als Unternehmerin ein gutes Gesamtkonzept, einen finanziellen Polster, ein starkes Netzwerk. Das hat Spaß gemacht. Aber mir hat das Team extrem gefehlt. Man muss im Vorfeld wissen: Bin ich ein Teamplayer oder ein Einzelkämpfer." Als Teamplayer fühlt sich Frey heute in ihrer Funktion als Kommunikationschefin bei der Niederösterreich Werbung wieder richtig am Platz. "Die zwischenmenschliche Kommunikation, der Austausch mit Kollegen, machen für mich erst das Arbeiten aus", sagt sie. Und natürlich die doch deutlich größere Sicherheit: "Als Unternehmerin hatte ich vor allem Großkunden auf Projektbasis. Ich wusste nie: Was passiert im nächsten Jahr, was mache ich, wenn ein Kunde wegfällt? Das hat mich beunruhigt."
Frage der Persönlichkeit
Genau aus diesen Gründen bestärkt Karriereberaterin Sonja Rieder ihre Klienten heute nicht mehr so in ihrem Willen zur Unternehmensgründung. "Ich bin vorsichtiger geworden", sagt sie. "Die meisten haben nicht die entsprechende Persönlichkeit für eine Unternehmensgründung." Wer sich viel um die Zukunft sorge, nicht genügend extrovertiert sei, um sich Kontakte und Kundenstock selbst aufzubauen, wer ungern auf sich allein gestellt sei und nicht mit Geld umgehen könne, dem sei die Anstellung zu empfehlen. Und das treffe auf die meisten Menschen zu, sagt Sonja Rieder. Als Karrierecoach berät sie immer wieder Menschen, die von der Selbstständigkeit ins Angestelltenverhältnis wechseln wollen. "Oft kommen die Aufträge nicht so herein wie erwartet, oder der Markt hat sich gedreht, oder es sind private Lebensumstände wie eine Familiengründung, wo man lieber doch mehr Sicherheit möchte", sagt sie.
Wer sich nach Jahren der Selbstständigkeit für einen Job bewerbe, müsse allerdings damit rechnen: "Einige Firmen goutieren es nicht, wenn man lange selbstständig war. Sie denken, man ist es nicht gewohnt, Weisungen zu kriegen und sich unterzuordnen. Hier muss man im Bewerbungsgespräch die Vorteile ins Treffen führen: die Ideen, das Netzwerk, dass man kein Eigenbrötler war. Dann kann es durchaus klappen."
Schließlich lässt sich in manchen Unternehmen auch Freiraum finden: "Natürlich gibt es in meinem Job Richtlinien, an die ich mich halten muss", sagt Marlies Frey. "Aber ich habe in meinem Job sehr wohl einen gewissen Gestaltungsfreiraum."
Freiraum im Job
Das bestätigt auch Conrad Pramböck: "Die glücklichsten Mitarbeiter sind die, die sich verhalten dürfen wie Selbstständige, die Ideen einbringen können, Entscheidungen selbst treffen, über Arbeitszeit und -ort selbst bestimmen können." Die Gesetze und Gewerkschaften würden das aber verhindern.
Stattdessen werde in den österreichischen Unternehmen nach dem Motto gelebt: "Leistung lohnt sich nicht. Und Nicht-Leistung hat keine Konsequenzen", sagt Pramböck. Um in eine Führungsfunktion zu gelangen, zähle das Netzwerk nach wie vor mehr als die Leistung.
Und: "Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter viel stärker so einsetzen, dass ihr Job ihre Leidenschaft ist", so Pramböck. Dann ist es auch nicht mehr nötig, aus reiner Unzufriedenheit im Job den existenziellen Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen.
Scheinselbstständigkeit Freie Dienstnehmer und selbstständige Unternehmer sind weder an Weisungen noch an Zeit und Ort ihrer Tätigkeit gebunden. Dennoch kommt es immer wieder zu Fällen der Scheinselbstständigkeit: Es werden fixe Arbeitszeiten, ein fixer Arbeitsplatz im Unternehmen vorgegeben, der Betroffene unterliegt den Weisungen vom Vorgesetzten und ist in die Betriebsabläufe integriert. Die Gewerkschaft GPA-djp ortet eine Häufung von Fällen der Scheinselbstständigkeit. Laut Schätzungen der WKO arbeiten 40.000 bis 50.000 Kleinunternehmer für nur einen Auftraggeber.
Atypische Verträge Freie Dienstnehmerverträge haben sich von 2008 auf 2013 zwar um rund 40 Prozent reduziert, die Zahl der atypischen Arbeitsverträge steigt aber: Jeder dritte Arbeitnehmer ist davon betroffen. Dazu zählen Teilzeit, geringfügige Beschäftigung und befristete Verträge.
All-in-Verträge Fast jeder dritte Beschäftigte hat laut einer AK-Umfrage einen Dienstvertrag mit einer „All-in“-Regelung. Achtung: Eine Überstundenpauschale soll die durchschnittlich anfallenden Überstunden abdecken – aber nicht mehr. Werden mehr Überstunden geleistet, als in der Pauschale abgegolten sind, müssen sie laut Arbeiterkammer vom Arbeitgeber zusätzlich entlohnt werden.
Überstunden Laut aktuellem Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer arbeiten die Vollzeitbeschäftigten in Österreich durchschnittlich 42 Wochenstunden. Fast die Hälfte muss gelegentlich Überstunden machen, 17 Prozent tun es häufig. Mehr als ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet mehr als 40 Stunden pro Woche, jeder Zehnte mehr als 45 Stunden.