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11.000 Mal hat er operiert

Als Thomas Morgenstern am Freitag vor einer Woche nach seinem schockierenden Sturz ins UKH Salzburg eingeliefert wurde, belagerten die Journalisten bereits das Büro von Primar Josef Obrist. Er betreute den Skistar, gab Pressekonferenzen. In der Saison der Knochenbrüche ist der Chef der Unfallchirurgie mit Schwerpunkt Schulter und Wirbelsäule mit seinem Team besonders gefordert.

1 Was war Ihr erster Gedanke, als Thomas Morgenstern eingeliefert wurde?
Wir sind das ein bisschen gewöhnt. Es war mir nur wichtig, dass er von Anfang an medial abgeschirmt wurde.

2 Wie liefen die Untersuchungen ab?
Thomas Morgenstern kam in den Schockraum – wie alle Schwerverletzten. Dort warteten der Unfallchirurg – in dem Fall ich – ein zusätzlicher Arzt, ein Anästhesist, die OP-Schwester, Narkoseschwester, Röntgenarzt und Radiologe. Er bekam Infusionen, dann kam er in den Computertomografen. In 30 Sekunden wird der Körper gescannt. Bei Thomas Morgenstern war keine OP nötig, die Gehirnblutung und die Lungenquetschung wurden medikamentös behandelt.

3 Was sind die häufigsten Verletzungen im Winter?
Wir erhalten vorwiegend Schwerverletzte mit komplizierten Brüchen, viele Skiunfallopfer. Die Verletzungen sind abhängig von der Schneequalität: bei nassem Schnee sind es oft Schienbeinkopfbrüche, bei harten Pisten Wirbelsäulen- und Kopfverletzungen wegen der Wucht des Aufpralls.

4 Wie viele Stunden arbeiten Sie, wie oft operieren Sie?
55 bis 60 Stunden sind es am UKH, zusätzlich führe ich noch eine Privatordination am UKH. Ich bin seit November Primar, dadurch operiere ich etwas weniger. Davor als Stellvertreter waren es etwa 400 Operationen im Jahr.

5 Wenn die Operation länger dauert: Wie können Sie sich konzentrieren?
Die meisten komplizierteren Operationen dauern vier bis fünf Stunden. Einer der wichtigsten Faktoren ist der Rückhalt in der Familie: Private, finanzielle Probleme würden die Konzentration beeinträchtigen. Gefährlich ist die Wirbelsäulenchirurgie: Da hat man einen Schnitt von fünf Millimetern, die Schraube hat vier Millimeter.

6 Welche Fähigkeiten brauchen Sie als Unfallchirurg?
Ruhe, Konzentrationsfähigkeit, manuelles Geschick, Entscheidungskraft, soziale Kompetenz. Man darf die Geduld nicht verlieren. Man muss mit klarem Entschluss an die Operation herangehen, aber keinesfalls mit Überheblichkeit. Weil man dann zu lässig wird.

7 Wie gehen Sie damit um, wenn ein Patient während der OP stirbt?
Das ist mir noch nie passiert. Aber in meiner Zeit als Notarzt habe ich gelernt, dass man nicht Herr über Leben und Tod ist. Ich habe Patienten damals versucht, wiederzubeleben, auch ohne Erfolg. Es ist nicht alles machbar, das muss man psychisch verkraften und in seinen Erfahrungsschatz einbinden. Auch bringt jede Operation einen neuen Aspekt an Erfahrung. Ich sage zu meinen Kollegen immer: Der Weise lernt aus den Fehlern anderer, der Dumme aus den eigenen.

8 Wie gehen Sie mit Stress um?
Es gibt für mich keinen Stress. Den machen sich die Leute selber. Man hat nur zwei Hände, kann im Tagesverlauf nur so und so viel schaffen.

9 Die größte Herausforderung Ihrer bisherigen Laufbahn?
Überhaupt die Entscheidung, Unfallchirurg zu werden. Damals war ich 27. Es ist ja ein herausfordernder Beruf. In den Nachtdiensten trägt man die Verantwortung allein, das sind erhebliche Belastungen.

10 Was mögen Sie an Ihrem Job besonders?
Die Unabhängigkeit. Die Kreativität. Kein Bruch ist wie ein anderer. Wenn etwas bei der OP nicht funktioniert, muss man eine andere Lösung finden. Man kann Gutes tun, viel bewirken. Man kann schwere Verletzungen nur verbessern.

11 Was mögen Sie nicht?
Gar nichts. Ich gehe jeden Tag gern in die Arbeit, habe meinen Traumberuf gefunden.

12 Ihr Rat an Junge?
Konstanz, immer dranbleiben. Sie müssen lernen, Tiefschläge zu überwinden und mit dem extremen Druck umzugehen. Entscheidend ist, sich mit dem Beruf zu identifizieren.

13 Wie viel verdienen Sie?
Ich kann nicht klagen, bin damit zufrieden.

Der 60-Jährige wuchs in Obertilliach, Osttirol, auf, besuchte das Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare in Salzburg mit Internat. Nach der Matura studierte Obrist in Innsbruck Medizin und absolvierte die Ausbildung zum Unfallchirurgen in Krankenhäusern in Feldkirch, Innsbruck, Klagenfurt und Salzburg.
Von 1983 bis 1996 war Obrist als Notarzt tätig. 1983 startete er am UKH Salzburg, 1987 wurde er Facharzt für Unfallchirurgie und dienstführender Oberarzt. 1988 gründete er am UKH eine Schulterambulanz. Ab 2006 war er stv. ärztlicher Leiter der Abteilung
Unfallchirurgie, seit November 2013 ist er deren ärztlicher Leiter und Primar.

Chirurgie in Zahlen

50 tausend Stunden war Josef Obrist bisher im UKH Salzburg tätig.11 tausend Operationen hat er bisher durchgeführt.