Wirtschaft

Griechenland: Mit Sonne und Wind aus der Krise

Zurück aus dem Urlaub auf dem Peloponnes steckt Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), voller Ideen, wie das Krisenland auf die Beine kommen kann. Und wo Jobs für die vielen arbeitslosen jungen Griechen entstehen könnten.

KURIER: Dass man in Restaurants oder Shops in Griechenland keine Rechnung bekommen hat, war früher üblich. Hat sich das verändert?

Karl Aiginger: Ja, Rechnungen haben sich durchgesetzt. Sogar beim Ab-Hof-Verkauf von Obst oder Gemüse. Im Kleinen funktioniert es, da wird auch kontrolliert. Im Großen funktioniert es aber überhaupt nicht. Die Griechen ab dem Mittelstand haben die letzten Jahrzehnte praktisch keine Steuern gezahlt.

Wie kann man die vielen Milliarden, die vermögende Griechen im Ausland gebunkert haben, zurückholen?

Durch eine Steueramnestie für die "Steuervermeider". Das will Griechenland auch jetzt wirklich angehen.

Kann Griechenland durch das neue Hilfspaket auf die Beine kommen?

Ich glaube nicht, dass die bisherige Politik richtig war. Weder aufseiten der Griechen noch aufseiten der EU-Kommission. Es ging nie um Ziele wie das Senken der Arbeitslosigkeit oder um Investitionen. Im neuen Memorandum ist alles anders, das muss ich schon loben. Da geht es etwa darum, dass Produktmarktreformen wichtiger sind als Arbeitsmarktreformen. Oder um das Ausschöpfen europäischer Fonds und Innovationen.

Mit Produktmärkten sind zum Beispiel die Taxis gemeint?

Ja, diese abgeriegelten Gewerbe gehören geöffnet. Ich bin dafür, dass Junge, die zwei Jahre unfallfrei gefahren sind, als Taxifahrer arbeiten dürfen.

Wo sehen Sie Potenzial für Innovationen?

Bei erneuerbaren Energien könnte Griechenland Spitzenreiter sein. Die Handelsbilanz könnte hochaktiv sein, müssten sie nicht fossile Rohstoffe importieren. Man könnte Elektro-Fahrräder, Elektro-Motorräder oder Solarmodule für Autodächer perfektionieren. Oder der ganze Schifffahrtsbereich: Ein Schiff, das das ganze Jahr über bei Sonne und Wind unterwegs ist – das muss doch zu machen sein, um den CO2-Ausstoß zu senken.

Verspricht das Arbeitsplätze auch für Junge?

Das wäre einer meiner Vorschläge: Junge sollen eine höhere Arbeitslosenunterstützung bekommen, wenn sie sich in Sachen erneuerbarer Energie engagieren. Und wenn sie nur in der Nachbarschaft beim Montieren von Solarmodulen helfen.

Könnte Griechenland durch Stromexport verdienen?

Wohl nicht, aber durch den Export von Technologien. Und das Land würde von Energieimporten unabhängiger werden.

Woher soll denn das Geld für die Innovationen kommen?

Zum Teil durch das Ausnützen von EU-Fonds. Aber auch aus anderen Quellen. Ich bin zum Beispiel für einen Fonds der Auslandsgriechen. Als Stiftung oder als Investitionsvehikel, das ist egal. Hauptsache, die Griechen investieren wieder in ihr eigenes Land. Außerdem müssen eigene Industriezonen eingerichtet werden, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Muss Griechenland mit günstigen Steuersätzen locken?

Nein, die Hauptsache ist, dass es rasche administrative Prozesse gibt. Mir wird immer wieder erzählt, dass das vor den Olympischen Spielen funktioniert hat – mit Sonderbehörden. Solche Sonderbehörden müssen wieder her. Für die Industrie und für Jugendarbeitsplätze muss es Schnellverfahren geben.

Haben Sie jetzt in Griechenland so etwas wie eine Aufbruchstimmung bemerkt?

Sie wissen, dass es so nicht weitergeht. Jetzt ist der Moment, in dem Bewegung möglich ist. Wirklich aufwärts wird es gehen, wenn sie merken, dass sie das Problem haben und nicht Frau Merkel. Reformen finden aber meist mit neuen Personen statt. Mit den alten Eliten geht es nicht.

Haben Sie auf dem Peloponnes etwas vom Flüchtlingsproblem bemerkt?

Nein, dort nicht. Auf den Inseln ist das aber ein großes Problem. Griechenland ist für Europa auch deshalb so wichtig, weil es ein Brückenkopf ist. Ein Grexit würde hohe Instabilität bedeuten. Für das vereinte, friedliche Europa sind die Flüchtlinge vielleicht die größte Herausforderung seit Jahrzehnten.

Kann Griechenland mit dem Problem alleine zurandekommen?

Natürlich brauchen sie Hilfe. Mazedonien will einen Zaun aufbauen, Ungarn hat schon einen. Wenn das Flüchtlingsproblem nicht gelöst wird, kehrt sich die Integration in Europa um. Wir haben ein europäisches Wertesystem. Wenn wir das auch bei den Nachbarn anwenden, hätten wir weniger Probleme. Wir kommen mit dem Problem auch deshalb nicht zurecht, weil jeder versucht, das Problem abzuschieben. Das ist in Österreich genauso wie in Griechenland. Beim Flüchtlingsproblem sehe ich auch die Kirche in der Pflicht.

Sie meinen die orthodoxe Kirche in Griechenland?

Ja, primär ist Griechenland gemeint, unsere tut sehr viel. Die orthodoxe Kirche ist reich und verfügt über ein enormes Grundstücksvermögen. Die müssen Geld geben, auch als moralische Instanz.