Wirtschaft

Christian Kern: "Ich bin kein Salonmarxist"

Donnerstagabend. 1200 Leute – mehr als sonst beim Sommercocktail der Raiffeisen Bank International – warten im großen Saal des Palais Liechtenstein. Der Bundeskanzler hat sich angesagt, aber er steckt noch im Stau. Mit knapp 30 Minuten Verspätung beginnt er seine rund halbstündige Rede. Vor den Wirtschaftstreibenden thematisiert Christian Kern zunächst die "zunehmenden Abstiegsängste der unteren Mittelschicht. Mehr Menschen denn je arbeiten Vollzeit, haben aber dennoch zu wenig Einkommen". Daher würden viele nicht mehr an das Versprechen von Wohlstand und Sicherheit glauben. Das gebe Populisten Auftrieb.

Wohin dies führe, skizziert Kern am Beispiel Brexit. "Dieser wird uns noch massiv herausfordern, wenn ab 2020 im EU-Budget 20 Milliarden Euro fehlen." Das dürfe nicht zu Mehrbelastungen führen, ein Verwaltungsabbau alleine werde das Problem nicht lösen. Auch bei den Förderungen müsse angesetzt werden, wobei davon 40 Prozent in die Landwirtschaft fließen. "Mit der Bauernlobby darüber zu diskutieren, ist keine einfache Herausforderung", ist sich Kern bewusst.

In Qualität investieren

Die EU-Osterweiterung sei richtig gewesen, meint er. Aber es gebe noch immer ein großes Gefälle bei Löhnen zwischen den Ländern. Die Folge: In Österreich seien zwar 200.000 Jobs geschaffen worden, wovon aber nur die Bürger aus Nachbarländern profitiert hätten.

Die Globalisierung wird sich aus Kerns Sicht noch beschleunigen, die typisch österreichische Haltung "mach ma halt a bissl was" werde in diesem Zusammenhang zu wenig sein. Österreich müsse in Qualität investieren.

Das betrifft auch die Bildung. Es sei bedrückend, wenn hier Migranten der zweiten oder dritten Generation in einer Parallelwelt leben würden.

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit RBI-Chef Johann Strobl und IV-Präsident Georg Kapsch wehrt er sich gegen den Vorwurf, seine Partei sei gegen den Kapitalmarkt. "Wir sehen Aktien völlig unideologisch." Ideologiefrei sei auch sein eigenes Leben. In Simmering aufgewachsen, trägt er jetzt Designeranzüge. "Ich bin aber kein Salonmarxist." Kern hat die Lacher auf seiner Seite. In Sachen Freihandel hat Kern positive Botschaften für sein Publikum: Er bekennt sich prinzipiell dazu, hegt aber Zweifel an eigenen Schiedsgerichten.Nach dem Talk drängen einige Zuhörer Richtung Podium, um mit dem Kanzler noch ein paar Worte zu wechseln. Er nimmt sich für sie Zeit – aber nicht mehr für den sozialen Teil im prächtigen Garten des Palais. Dort unterhält man sich später ohne Kern.

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Sebastian Kurz: "Der Brexit wird uns weh tun"

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Donnerstagabend. Sommerfest der Industriellenvereinigung Wien in Kursalon Hübner. 500 Gäste warten auf Außenminister Sebastian Kurz, VP-Bundesparteiobmann und Spitzenkandidat für die Nationalratswahl. Er wird mit Siemens-Boss und IV-Wien-Präsident Wolfgang Hesoun KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter Rede und Antwort stehen. Es soll um die Unternehmensstadt Wien gehen. Sebastian Kurz steht konzentriert auf der Bühne. Schmaler Anzug, keine Krawatte. Er spricht die Themen direkt an. Kurz hat klare Botschaften. Das klingt dann so: "Von einem großen Jubel zu meinem Amtsantritt kann innerhalb der ÖVP keine Rede sein. Aber ich habe in zehn Jahren vier Parteiobleute erlebt und auch, wie interveniert wurde. Darauf kann ich mich nicht einlassen und habe volles Durchgriffsrecht gefordert. Dass das diktatorisch ist, ist ein Blödsinn: Wenn jemand führen will, muss er sich sein Team und die Linie aussuchen können."

Oder: "Wien ist ein guter Wirtschaftsstandort. Aber anderswo auf der Welt gibt es von Wirtschaftstreibenden viel mehr Hunger nach Erfolg. Bei uns macht Innovation Angst. Wir sind ein Land, wo man glaubt, dass die Jobs vom Staat geschaffen werden. Die Wirtschaftslokomotive, die wir einmal waren, sind wir nicht mehr." Ein Raunen an den Tischen erzeugt Kurz mit einem Sager in Richtung Unternehmen: "Die Politik darf sich auch etwas wünschen. Ich wünsche mir eine lautere Stimme der Wirtschaft, damit sich das Klima ins Positive dreht."

Keine Chance

Auch beim Thema Brexit zeigt sich Kurz direkt. "Ich sehe es nicht positiv, dass Großbritannien austritt. Das ist keine Chance, sondern wird uns wehtun. Ich hoffe, dass es in der EU Veränderungen gibt. Die Länder brauchen mehr Freiraum. Wir haben, bei aller Demokratie, verlernt, unsere Werte und Interessen in der Welt zu vertreten. Wir lassen uns alles gefallen, anstatt unsere Macht einzusetzen." Die Integration sieht er kritisch: "Es gibt zu viele Menschen, die hier geboren sind und nicht Deutsch sprechen. Dagegen müssen wir etwas tun. Ich wünsche mir mehr Frühförderung und ein zweites, verpflichtendes Kindergartenjahr, das dann hoffentlich nicht in einem islamischen oder tschetschenischen Kindergarten stattfindet. Und bei Flüchtlingen ist die Sache noch hundert Mal schwieriger. Wer nicht alphabetisiert ist, kommt am Jobmarkt nicht unter. Dieser Realität müssen wir ins Auge schauen."

Nach dem Auftritt bleibt Kurz eine weitere Stunde beim Fest. Er sucht die Gespräche. Für ihn ist die IV ein Heimspiel mit vielen potenziellen Wählern. Die Menschen tänzeln um ihn herum. Ein Selfie mit dem ÖVP-Mann – davon gab es hier viele.