Wirtschaft/Immo

"Wir müssen die Ressource Boden radikal schützen"

KURIER: Frau Hammer, hinsichtlich guter Baukultur ist Österreich in einem Punkt besonders gut: Es gibt keine Wohn-Ghettos wie in anderen Ländern. Sehen Sie das auch so?

Innerhalb der Städte trifft das tendenziell zu. Dort ist die soziale Durchmischung vielerorts gut gelungen. Wir sehen aber eine Segregation entlang der Bruchlinie Stadt und Land, die zunehmend auch eine Bruchlinie zwischen Jung und Alt ist. In schrumpfenden Regionen bleiben die älteren Menschen zurück und junge Erwerbstätige ziehen weg. Diese Entwicklung hat sehr viel damit zu tun, was und wie wir bauen.

Wie müsste gebaut werden, damit die Jungen am Land bleiben oder dorthin zurückkehren?

Was wir aus der Geschichte lernen können ist, dass schnellere Straßen nur kurzfristig helfen. Für die erste Pendler-Generation ist die schnelle Autoverbindung in die Stadt von Vorteil. Für die zweite Generation trifft das nicht mehr zu. Wenn die Qualität vor Ort nicht stimmt, dann sind diese Menschen weg und haben keine Lust mehr, am Land zu wohnen. Wenn Ortskerne leer stehen, wird es sehr schwer. Es braucht schon kreativere Konzepte, um Junge am Land zu halten oder sie zurück zu holen.

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Sind es nicht günstige Baugrundstücke, die Zuzug fördern?

Das ist derzeit der gängige Mechanismus. Gemeinden versuchen, Bewohner über günstige Grundstücke zu halten oder neu zu bekommen. Damit sichern sie ihre Finanzierung ab, weil Zuwendungen aus dem Finanzausgleich nach Einwohnerzahl vergeben werden. Die Menschen verwirklichen sich dann ihren Traum – und dieser ist nach wie vor oft das neu gebaute Einfamilienhaus. Es gibt allerdings auch die Gruppe von Menschen, die länger in der Stadt gelebt hat und aufs Land will. Allerdings kaum in ein sanierungsbedürftiges Einfamilienhaus aus den 1970er oder 80er Jahren.

Welche Immobilien suchen Stadtmenschen am Land?

Diese Leute suchen die Qualität eines schönen Orts, ein altes Bauernhaus, ein ehemaliges Geschäftshaus am Platz. Einfamilienhaussiedlungen, die nach freiem Geschmack der jeweiligen Generation errichtet wurden, interessieren da kaum. 30 Jahre nach deren Errichtung wohnen hier oft die nun gealterten ehemaligen Häuslebauer, die hohe Sanierungskosten schultern müssten .

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Sollten weniger neue Einfamilienhäuser gebaut werden?

Aus ökologischer Sicht müssen wir bedenken: Unsere Flächen sind begrenzt. Wenn wir davon jeden Tag ein Stückchen verwenden, sind sie irgendwann aufgebraucht. Jeder kann spüren, dass hier eine Ressource endlich ist. Wir brauchen ungenutzte Flächen, um ein ökologisches Gleichgewicht zu halten. Und ja, Einfamilienhäuser haben einen besonders hohen Flächenbedarf, weil pro Quadratmeter aufgeschlossener Fläche nur wenig Nutzfläche generiert wird. Sinnvoller ist es, nachzuverdichten oder in die Höhe zu bauen, damit mehr Wohnfläche auf einem Quadratmeter Grund entsteht. Wir müssen die Ressource Boden im eigenen Interesse radikal schützen und sagen: mit dem Flächenverbrauch ist jetzt Schluss.

Sie als unabhängige Expertin tun sich leicht, so etwas zu fordern. Wäre ein Flächenstopp politisch überhaupt umsetzbar?

Ich habe den Eindruck, dass die Dringlichkeit dieser Problematik bei allen politischen Parteien angekommen ist. Ich war kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung eingeladen, wo ein ÖVP-Politiker einen Flächenstopp vorgeschlagen hat: Wenn neues Land erschlossen werden soll, muss im Ausgleich dafür die gleich große Fläche als Naturreserve zurückgegeben werden. Das wäre sinnvoll.

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Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet in Österreich der Bodenverbrauch so hoch ist?

Das liegt vor allem an einer systematischen Schwäche der Raumordnung. Die Flächenwidmung obliegt den Gemeinden. Diese stehen unter dem großen und unmittelbaren Druck, Grundstücke entsprechend den Wünschen der Bürger zu widmen. Das sind oft schwierige Vis-a-vis Situationen, in denen es eine Überforderung bedeutet, ein abstraktes Gemeinwohl über das Bedürfnis des bekannten Gemeindemitglieds zu stellen. In Bayern können sich die Gemeinden hier auf Vorgaben auf Bezirksebenen berufen, hier liegt die Raumordnungsverantwortung eine Ebene höher.

Was muss geschehen, dass die CO2-Emissionen rund ums Bauen, die ja einen großen Brocken des gesamten Ausstoßes ausmachen, sinken?

Ein Drittel des CO2-Ausstoßes im Bereich des Bauens entfällt auf die Gebäude selbst, dort vor allem auf Wärme. Zwei Drittel entstehen aber durch den Verkehr, der durch die Siedlungsstrukturen induziert wird in denen die Gebäude stehen. Diese Siedlungsstrukturen werden seit Jahrzehnten für das Auto ausgelegt: Aktuell gibt es in rund 30 Prozent der Gemeinden keine Nahversorgung mehr – ohne Auto geht es hier kaum. Es ist eine große Herausforderung für die Zukunft, die Strecke zur Arbeit, zur täglichen Versorgung, zu Ärzten und Schulen so zu gestalten, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden kann.

Sie betonen immer wieder, gute Baukultur muss schön sein. Das verwundert: Ist Architektur nicht eher eine Geschmacksfrage?

Es stimmt, Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Aber weil man nur sieht, was man weiß, braucht das Auge Schulung. Bauen ist nur vermeintlich Privatsache, denn das Ganze – die Siedlung, das Quartier – entsteht aus vielen einzelnen Gebäuden. Es braucht gestalterisches Wissen und einen roten Faden. Wir wünschen uns deshalb, dass die natürliche Neugier von Kindern auf Raum und Ästhetik gelenkt wird. Kinder zu fragen, was ihnen gefällt und warum sie einen Ort mögen oder nicht, lassen sie bewusster hinsehen. Wir glauben uns vermeintlich in Räumen auszukennen , weil uns der Computer fantastische 3D-Welten anbietet. Aber das Erlebnis eines realen Raums, etwa das Eintreten in ein hohen, düsteres Kirchenschiff ist nicht vergleichbar mit dem Erlebnis am Bildschirm. Die echte Raum-Zeit-Bewegungserfahrungen ist viel prägender.

Wie gut ist Österreichs Baukultur?

Österreich verfügt immer noch über eindrückliche Landschaften und intakte Orte. Wien hat zum wiederholten Mal das Prädikat „die lebenswerteste Stadt der Welt“ bekommen. Das alles sollte man nicht kleinreden und es hat viel mit gelungener Baukultur zu tun. Außerdem verfügt Österreich über ein beträchtliches baukulturelles Erbe und über eine gute Architekturausbildung. Aber,- und ich wiederhole mich –: um Qualität zu bewahren und zu entwickeln müssen wir verstehen, dass unser Raum eine endliche Ressource ist.