Immobilienwirtschaft: Bauboom mit Unterbrechung
Mehr als zwei Wochen standen Bagger, Kräne und Mischmaschinen beim „Wohngarten“ in Wien-Simmering still. Das Projekt ist mit 680 geplanten Wohnungen eines der größten Neubauprojekte in der Bundeshauptstadt. Mitte dieser Woche wurde die Baustelle von der Baufirma wieder hochgefahren. „Wenn es bei den 2,5 Wochen Verzögerung bleibt, dann ist das bis zum Fertigstellungstermin im Herbst 2021 aufholbar“, sagt Michael Klement, Geschäftsführer des Projektentwicklers Invester. Doch ist das realistisch?
Derzeit werden in ganz Österreich die seit Mitte März stillgelegten Baustellen wieder sukzessive hochgefahren. Allerdings haben Bauunternehmen gleich an mehreren Fronten zu kämpfen: Sie müssen – nach einer entsprechenden Sozialpartnervereinbarung – umfangreiche Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Gesundheit ihrer Mitarbeiter treffen.
Dazu gehört etwa, dass Arbeiter – wenn der Sicherheitsabstand von einem Meter nicht eingehalten werden kann – einen Bauhelm mit Plexiglas bis zum Kinn tragen müssen. „Das Umsetzen dieser Maßnahmen ist aber in der Praxis schwierig. Das Hochfahren auf Baustellen wird daher nur kontinuierlich und teilweise auch erst nach Ostern möglich sein“, sagt Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz.
Außerdem gibt es noch weitere Schwierigkeiten: In der österreichischen Baubranche sind von den 140.000 Beschäftigten rund 36.000 Wochen- und Tagespendler, die aus umliegenden Ländern wie Slowakei und Ungarn kommen. Viele dieser Menschen können derzeit die geschlossenen Grenzen nicht passieren.
„Dazu kommen Engpässe in der Lieferkette sowie bei Subunternehmen und deren Personal aus dem Ausland“, so Muchitsch. „Die Baustellen können somit gar nicht voll hochgefahren werden.“
Bauunternehmen haben zudem schon angekündigt, sich vornehmlich auf „systemrelevante Baustellen“ wie Spitäler und Pflegeheime konzentrieren zu wollen. Die Errichtung von neuen Eigentumswohnungen gehört da wohl nicht dazu.
Auch der Wiener Projektentwickler Daniel Jelitzka muss auf beinahe allen Baustellen des Unternehmens Unterbrechungen hinnehmen. „Bis jetzt sind die Verzögerungen überschaubar, jedoch lassen sich aufgrund des nicht absehbaren Endes der Corona-Krise die tatsächlichen Auswirkungen noch nicht abschließend evaluieren“, so Daniel Jelitzka.
Auch wenn am Ende die Verzögerungen mehrere Monate betragen sollten, dürfte der Wohnungsmarkt in Wien unterm Strich heuer stabil bleiben: Für 2020 wurde nämlich zu Jahresbeginn noch ein Rekordjahr mit 18.000 neuen Wohneinheiten prognostiziert.
„Wenn es zu Verzögerungen kommt, so dürften diese angesichts des Rekords bei den Fertigstellungen nicht dramatische Auswirkungen haben“, sagt Michael Pisecky, Chef von sReal.
Und auch die hohe Nachfrage nach Immobilieninvestitionen dürfte erhalten bleiben. „Immobilien haben sich in der Vergangenheit sehr oft als harte und verlässliche Krisenwährung erwiesen. Und wir können davon ausgehen, dass es auch diesmal so ist,“ so Nikolaus Lallitsch, Sprecher von Raiffeisen Immobilien.
Ein anderes, weniger optimistisches Bild zeigt sich jedoch bei der Planung von neuen Wohnungsprojekten. Viele Immobilienentwickler nutzen zwar die Zeit, um neue Bauvorhaben auf den Weg zu bringen.
Allerdings: „Wir beobachten, dass die Banken mit der Bewältigung der Krise ausgelastet und bei neuen Geschäften restriktiv sind“, sagt Invester-Geschäftsführer Klement. „Die Banken sind derzeit der limitierende Faktor.“
Eine ähnliche Erfahrung hat Maxim Zhiganov, Geschäftsführer von WK Development, in Wien gemacht. Das Unternehmen entwickelt mehrere exklusive Wohnanlagen wie „The Shore“ an der Döblinger Donau.
Zhiganov sieht vor allem eine gewisse Vorsichtshaltung bei Bauunternehmen. „Viele warten mal ab, wie sich die Situation entwickeln wird. Derzeit gibt es noch viele unbekannte Faktoren, die für Unsicherheit sorgen“, so Maxim Zhiganov.
Eine längerfristige Prognose deutet deshalb darauf hin, dass aktuelle Bauvorhaben zwar fertiggestellt werden, es aber bei der Vorbereitung von neuen Projekten starke Verzögerungen gibt. sReal-Chef Michael Pisecky: „Man muss damit rechnen, dass die Neubauleistung ab 2022 deutlich geringer ausfallen wird.“