Immer mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger
Die deutschen Jobcenter verhängen immer mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die ihren Pflichten bei der Arbeitssuche nicht nachkommen. Die Zahl der Leistungskürzungen stieg 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 13.700 auf 952.840, wie die Bundesagentur für Arbeit mitteilte. 77 Prozent der Sanktionen wurden verhängt, weil Hartz-IV-Empfänger einen Termin beim Jobcenter nicht wahrnahmen.
Im vergangenen Jahr sprachen die Jobcenter 733.800 Leistungsberechtigten aus diesem Grund eine Sanktion aus und kürzten die reguläre Regelleistung um jeweils zehn Prozent ab. "Drei von vier Sanktionen entstehen schlicht deshalb, weil vereinbarte Termine im Jobcenter gar nicht erst wahrgenommen werden", sagte BA-Vorstandschef Detlef Scheele.
Für die Weigerung, eine Arbeit oder Maßnahme aufzunehmen - oder den Abbruch - wurden demnach 98.860 Sanktionen ausgesprochen. Pflichtverletzungen gegen die Eingliederungsvereinbarung führten in 83.380 Fällen zu einer Leistungskürzung.
Sonderregelung bei Jugendliche
Von den Sanktionen sind junge Menschen unter 25 Jahren besonders betroffen. So sieht das Gesetz bei Jugendlichen bereits beim ersten Regelverstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, eine Sanktion der Regelleistung vor. Kommt innerhalb eines Jahres ein weiterer Pflichtverstoß dazu, kann auch die Zahlung für die Miete gekürzt werden. "Das bereitet uns Sorge, weil die strikten Sonderregelungen bei Jugendlichen zu besonders einschneidenden Leistungskürzungen führen", sagte Scheele. Er zeigte sich hier offen für Veränderungen: "Drohende Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter."
Kritik von Linken und Grünen
Linke und Grüne erneuerten anlässlich der Zahlen ihre Kritik an den Sanktionen. Linken-Chefin Katja Kipping erklärte, die Zahl von fast einer Million zeige, "wie unmenschlich das Hartz-IV-System ist". Während die Bundesregierung gegenüber Reichen und Konzernen stets nachsichtig sei, "wird den Menschen, die wenig haben, nichts, aber auch gar nichts gegönnt".
Der Grünen-Sozialexperte Sven Lehmann erklärte, die Sanktionspraxis der Jobcenter "ist und bleibt weiter falsch". Die Sanktionen belasteten das Klima in den Jobcentern und seien zudem "hoch bürokratisch". Die Berechnung und Durchsetzung von Sanktionen gehe für das Personal in den Jobcentern mit großem Verwaltungsaufwand einher. Dies gehe zulasten von Beratung und Vermittlung.
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte die Abschaffung der Sanktionen. Diese brächten "Menschen nicht schneller in Arbeit und sind keine pädagogischen Antworten", erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Sie würden lediglich als Drangsalierung und Ausdruck sozialer Ignoranz wahrgenommen. "Menschen, die ohnehin am Existenzminimum leben, werden durch Sanktionen noch weiter in die Not und schlimmstenfalls sogar in die Obdachlosigkeit gedrängt."