Wirtschaft

IHS-Chef: "Staat finanziert nicht mehr alles"

Christian Keuschnigg (54) ist Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität St. Gallen und seit Juni 2012 Direktor des Institutes für Höhere Studien (IHS) in Wien.

KURIER: Sie pendeln zwischen St. Gallen und Wien. Was macht unser Nachbarland besser?

Christian Keuschnigg: Die Schweiz ist sehr innovativ, das stärkt die Unternehmen. Und: Das Recht, Steuern einzuheben, haben die Gemeinden und Kantone – sie treten es nur per Volksabstimmung an den Bund ab. Dieser Steuerwettbewerb diszipliniert den öffentlichen Sektor, die Steuerlast ist viel geringer.

Was könnte Österreich lernen?

Unser Finanzausgleich belohnt das Sparen nicht. Vorarlberg hat nichts davon, wenn es sparsam ist, weil es seinen Bürgern die Vorteile nicht weitergeben kann. Aufgaben und Verantwortungen müssen zwischen Bund und Ländern entflochten werden, etwa bei der Gesundheit.

Mehr Autonomie für Länder? Wer verhindert da, dass Kärnten 20 Mrd. Haftungen abschließt?

Eine Schuldenbremse. In der Schweiz dürfen sich Länder nicht verschulden – oder nur für Investitionsprojekte mit exaktem Rückzahlungsplan.

Wie bringt Österreich seine hohe Steuerquote runter?

Ich bin nicht sicher, ob die künftige Regierung das schafft. Da werden heftige Konflikte aufbrechen. Man muss den Bürgern klarmachen, dass ihr verfügbares Einkommen steigt, sie aber mehr Aufgaben in Eigenregie zahlen müssen, weil der Staat nicht mehr alle Leistungen öffentlich finanziert.

Was denn zum Beispiel?

Viele Bereiche, die alle finanzieren, nehmen nur kleine Bevölkerungsgruppen in Anspruch. Ausgaben für Kultur oder Bildung kommen überproportional den Gebildeten und Besserverdienern zugute.

Soll sich der Staat aus der Kulturförderung zurückziehen?

Nein. Aber jene, die es sich leisten können, sollen für kulturelle Angebote mehr zahlen.

Erhält nur noch der Zugang zu höherer Bildung, der dafür zahlt?

Reiche werden ihren Kindern immer die beste Ausbildung ermöglichen. Das können einfache Arbeitnehmer nicht, sie zahlen aber noch für die oben über Steuern mit. Österreich muss ein Land von Aufsteigern werden. Das geht nur durch Bildung.

Wenn die Gratis-Uni das nicht geschafft hat, warum sollten es Studiengebühren ermöglichen?

Wer das Talent hat, muss Zugang zur besten Ausbildung erhalten. Das darf nicht vom Geld abhängen, dafür gibt es zinslose Kredite oder Stipendien. Studien zeigen: Der beste Indikator für Bildungserfolg ist derzeit die Zahl der Bücherregale, also der Bildungsstand der Eltern. Und: Defizite im Vorschulalter wirken bis in die Mittelstufe nach.

Ist das neue, verpflichtende Vorschuljahr noch nicht genug?

Es ist ein großer Fortschritt. Aber auch die Schulen sind gefordert, Kindern aus ärmeren Schichten oder von Zuwanderern eine Bildungshaltung zu vermitteln.

Sie kritisieren die Umverteilung von unten nach oben. Eigentlich müssten Sie damit bei der SPÖ offene Türen einrennen.

Ich habe nichts gegen Umverteilung, die einen wollen mehr davon, andere weniger. Aber: Reiche sollten keine Subventionen oder Transfers erhalten. In Österreich finden diese versteckt in alle Richtungen statt. Keiner weiß, ist er Nettozahler oder -Empfänger. Die Reichen zahlen gerne einen Preis, wenn dafür die Steuern etwas niedriger sind.

Um wie viel sollten die Steuern sinken – und bis wann?

Es müsste möglich sein, die Steuerquote bis 2020 um vier Prozentpunkte auf 40 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken. Das wären rund 12 Milliarden Euro.

Auch die Staatsschulden sollen runter. Wie geht sich das aus?

Wir müssen an vielen Hebeln drehen. Langfristig ist der Befreiungsschlag ein höheres Ruhestandsalter. Das haben wir aber auf die lange Bank geschoben. So wird erst ab 2024 das Pensionsantrittsalter der Frauen angeglichen.

Was bedeutet das für die zukünftigen Pensionen?

Es ist verhängnisvoll: Die Menschen werden immer älter, das System immer teurer. Dabei müssten wir sogar radikaler vorgehen als andere Länder. Sollen die Pensionen und die Beitragsbelastung für unsere Kinder 2030 in vernünftigen Proportionen sein, müssen wir etwas tun. Sonst steigen die Zuschüsse aus dem Budget weiter – und die werden aus der Lohn- und Mehrwertsteuer bezahlt.

Warum waren Privatisierungen im Wahlkampf gar kein Thema?

Das verstehe ich auch nicht. Manche verbinden mit staatlichen Leistungen eine besondere Versorgungssicherheit, siehe Wasser. Privatisieren heißt aber nicht, dass der Staat seine Verantwortung aufgibt – die muss er eben mit Verträgen sicherstellen. So, wie es alle Privatunternehmen mit ihren Lieferanten tun.

Berlin holt die Wasserversorgung nach 14 Jahren zurück in die öffentliche Hand. Haben Private nur den Profit im Auge?

Dann hat die Regulierung versagt. Die öffentliche Hand muss Verträge so gestalten, dass die Gewinne nicht exorbitant, aber Investitionen ins Netz sichergestellt sind.

Welche Staatsbeteiligungen kann Österreich privatisieren?

Ich verstehe nicht, warum der Staat bei Beteiligungen, die schon großteils in privater Hand sind, 25 Prozent halten soll.

Sie legen also gar keinen Wert auf eine Sperrminorität bei OMV, Post, Verbund oder den Landes-Energieversorgern?

Gibt es ein nationales Sicherheitsinteresse bei der OMV, wo die Welt voll ist mit privaten Ölkonzernen? Früher wurde dieses Argument für die Voest gebracht – heute ist sie ohne Staatsbeteiligung eines der erfolgreichsten Unternehmen.

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