Hohe Inflationsrate in den USA setzt Biden unter Druck
Der Braten fürs Weihnachtsfest ist teurer, der Preis für viele Geschenke ist gestiegen, und auch das Benzin kostet mehr als noch im vergangenen Jahr: Die Sorge um die hohe Inflationsrate hat die USA vor den Feiertagen fest im Griff - und verursacht im Weißen Haus große Unruhe. Die Wirtschaft brummt, der Arbeitsmarkt hat sich weitgehend von der Corona-Krise erholt, aber die Teuerungsrate läuft aus dem Ruder.
Viele Menschen geben der Regierung dafür die Schuld. Das ist für Präsident Joe Biden und seine Demokraten weniger als ein Jahr vor den Kongresswahlen gefährlich: Je stärker die Preise steigen, desto mehr sinken Bidens Umfragewerte.
Für Biden ist die Inflation inzwischen das dringlichste politische Problem, für seine Gegner ist es ein gefundenes Fressen. "Die Politik der Demokraten hat die Inflation für Alltagsgüter auf ein erschütterndes 40-Jahres-Hoch getrieben", zürnte jungst Kevin McCarthy, der Top-Republikaner im Repräsentantenhaus. "Die Preise für alles - von Benzin bis zu Lebensmitteln - gehen durch die Decke." Ex-Präsident Donald Trump wirft Biden vor, eine "Inflationsnation" geschaffen zu haben. Der Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte jüngst, trotz aller Versprechen der Regierung sei keine Besserung in Sicht. "Es wird schlimmer", sagte er.
Die Kritik könnte vielen Wählern einleuchten, denn sie spüren die Inflation selbst, ihre Kaufkraft sinkt: Wenn die Preise steigen, können sie sich vom gleichen Einkommen weniger leisten. Das sorgt für Frust. Und viele Menschen müssen den Gürtel enger schnallen.
Die US-Inflationsrate lag im November im Vergleich zum Vorjahr bei 6,8 Prozent, dem höchsten Wert seit fast vier Jahrzehnten. Die Kosten für Lebensmittel etwa stiegen um 6,1 Prozent. Fleisch, Fisch und Eier wurden sogar um knapp 13 Prozent teurer. Die Kosten für Wohnraum stiegen um 3,8 Prozent. Am deutlichsten zeigt sich die Entwicklung beim Tanken: Die Kosten für Benzin waren im November zeitweise 58 Prozent höher als ein Jahr zuvor, Erdgas war rund 25 Prozent teurer.
Biden räumt ein, die Inflation drücke auf das Budget der Familien. Er betont jedoch: "Jeder andere Aspekt der Wirtschaft brummt". Der Jobmarkt erhole sich, die Löhne stiegen. Die Inflation sei größtenteils eine Folge der wirtschaftlichen Verzerrungen infolge der Corona-Krise und von Problemen globaler Lieferketten. Andere Industriestaaten hätten das gleiche Problem, betonte Biden. In den USA ist die Inflationsrate allerdings noch höher als in Europa.
Bidens Kritiker machen daher auch die umfangreichen Konjunktur- und Investitionspakete seiner Regierung für die Inflation verantwortlich. Die Verabschiedung von Bidens nächstem Prestigeprojekt, einem Paket für Investitionen in Klimaschutz und Soziales, hängt in der Schwebe. Um das Vorhaben durch den Senat zu bringen, braucht Biden die Zustimmung aller Demokraten, inklusive des eher konservativen Senators Joe Manchin. Dieser hat den Umfang des Pakets bereits nach unten gedrückt, doch auch die zuletzt erwogenen rund 1,75 Billionen US-Dollar sind ihm noch zu viel. Die Inflation sei "alarmierend", sagte Manchin jüngst. "Sie geht hoch, nicht runter."
Biden argumentiert, das geplante Paket werde die Mittelklasse entlasten und die Ausgaben von Familien jährlich um mehrere Tausend Dollar senken. Es zu verabschieden, werde den Kostendruck auf Familien reduzieren. Für Biden hängt viel an dem Paket: Er und die Demokraten wollen damit im kommenden Jahr in den Wahlkampf ziehen. Falls viele Wähler vor der Abstimmung im November Entlastungen spüren sollten, dürften sie Bidens Regierung die Inflation eher verzeihen.
Bei der Kongresswahl 2022 werden das komplette Repräsentantenhaus und etwa ein Drittel der Sitze im Senat neu gewählt. Falls aktuelle Umfragen richtig liegen, könnten die Demokraten dabei in beiden Parlamentskammern ihre knappe Mehrheit verlieren. Käme es so, dürfte Biden in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit kaum mehr etwas durch den Kongress bringen - die Republikaner könnten seine Vorhaben blockieren. Biden schlecht und regierungsunfähig aussehen zu lassen, käme ihnen vor der Präsidentenwahl 2024 sicher gelegen.
Das Verflixte an anhaltend steigenden Preisen ist, dass sie zu einer immer stärkeren Inflation führen könnten: Wenn alles teurer wird, fordern Eigentümer eine höhere Miete, Arbeitnehmer wollen mehr Gehalt und Unternehmen heben Preise an, um gestiegene Kosten wettzumachen. Es droht das, was Ökonomen als Preisspirale bezeichnen: Ein gegenseitiges Aufschaukeln der Preise, das die Inflation antreibt.
Der mächtige US-Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte hat indes nur wenige Hebel, um die Inflation zu dämpfen. Die Regierung hat Initiativen angestoßen, um den Preisdruck zu senken, sie sind aber im Umfang begrenzt. Schlagkräftige Munition zur Bekämpfung der Inflation findet sich in Washington nicht im Weißen Haus, sondern am Sitz der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die Zentralbank entscheidet über die Höhe des Leitzinses und kann damit die wirtschaftliche Entwicklung und die Inflation stark beeinflussen.
Während der Corona-Krise hatte die Zentralbank ihre Geldpolitik massiv gelockert, um Konjunktur und Finanzmärkte zu stützen. Inzwischen hat die Fed angesichts des robusten Wachstums und der hohen Inflationsrate eine Kehrtwende eingeleitet. Ein wichtiges Hilfsprogramm soll im März auslaufen, danach soll es erste Erhöhungen des Leitzinses geben. Das würde die Inflation dämpfen, aber auch das Wirtschaftswachstum ausbremsen. Falls die Fed zu hart eingreifen sollte, könnte die Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte einbrechen - ausgerechnet vor der Kongresswahl, die Biden gewinnen will.