Graeber: Schulden als Instrument der Mächtigen
Von Anita Staudacher
Schon Kindern wird gelehrt: "Schulden muss man zurückzahlen." Muss man nicht, sagt David Graeber, neuer Popstar unter den Kapitalismuskritikern und geistiger Kopf der globalen "Occupy-Bewegung", in seinem Buch "Schulden. Die ersten 5000 Jahre."Wer fordert, Schulden seien in jedem Fall zu begleichen, verwechsle Ökonomie mit Moral. Es hänge immer davon ab, wer wem etwas schuldet.
Rein ökonomisch betrachtet ist ein Kreditausfall auch Teil des Geschäftsmodells der Kreditgeber, ansonsten müssten ja keine hohen Zinsen verlangt werden. Oder wie es Graeber formuliert: "Wenn eine Bank eine Garantie hätte, dass sie Geld plus Zinsen zurückbekommt, ganz gleich was sie tut, würde das gesamte System nicht funktionieren." Schulden sind für den bekennenden Anarchisten Instrument der Machterhaltung der Kreditgeber, die letztlich immer am längeren Ast sitzen. "Schulden erzeugen immer ein Machtverhältnis", schreibt Graeber, die alten Eroberer hätten das ebenso verstanden wie ein Mafioso heute.
Schuld und Sühne
Das flott geschriebene, faktenschwere, aber chaotisch aufgebaute Schulden-Buch beginnt mit abstrakten Schulden, die nie beglichen werden können, etwa die "Milchschuld", die Kinder gegenüber ihren Müttern hätten. Ganze "Schuldsysteme" gab es bereits im alten Mesopotamien, erinnert der Autor, Athen etwa steckte auch schon 600 vor Christi in der Schuldenkrise. Aristoteles schrieb später: "Die Armen werden von den Reichen versklavt." Die stets labilen Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner ziehen sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte.
Die Folgen? Aufstände, Revolutionen, ja sogar Kriege; aber auch immer wieder Schuldenerlässe, Gesetze gegen Zinswucher oder Sklaverei. Das 536 Seiten starke Geschichtsbuch oder besser die Streitschrift eines Andersdenkenden, lässt die aktuelle Euro- und Schuldenkrise und die Hysterie darüber jedenfalls in einem völlig neuen Licht erscheinen. Als Anthropologe stellt Graeber viele bisher kaum hinterfragte Thesen der Ökonomen völlig auf den Kopf oder ersetzt sie durch seine eigenen. Der gezielten Panikmache vor dem Zusammenbruch des Finanzsystems hält er lapidar entgegen, dass die Menschen auch ganz anders, mitunter sogar sehr viel besser als jetzt, zusammenleben können: Ganz ohne ökonomischen Wachstumszwang, ohne "Finanzialisierung des Alltagslebens".
Der 51-jährige New Yorker David Graeber, unterrichtete bis zu seiner umstrittenen Entlassung 2007 (aus politischen Gründen) in Yale und lehrt seither am Goldschmiths College in London.