Ungleiches Einkommen von Anfang an
Von Anita Staudacher
Frauen verdienen in Österreich im Schnitt um 24 Prozent weniger als Männer, sagt die Statistik Austria. Exakt 9,1 Prozent dieser Ungleichheit ist sachlich erklärbar: Alter, Ausbildung, Berufswahl, Teilzeit-Quote, Branchenzugehörigkeit, Unternehmensgröße oder Regionsunterschiede verursachen einen wesentlichen Teil der Gehaltsschere. Es bleibt aber ein sogenannter "unerklärter Anteil" von 14,9 Prozent, der sich auf betrieblicher Ebene abspielen muss. Um dieses Rätsel aufzuspüren, müssen größere Betriebe seit 2011 ihre tatsächlichen Gehälter auf Verlangen des Betriebsrates getrennt nach Männer und Frauen genau aufschlüsseln.
Die Gewerkschaft GPA-djp befragte Betriebsräte über ihre Erfahrungen mit Einkommensberichten und fand bisher eher verborgene Ursachen für Gehaltsunterschiede.
Arbeitsantritt Selbst bei exakt gleicher Qualifikation starten Frauen häufig schon mit einem geringeren Anfangsgehalt im Betrieb. "Ein Drittel der Ungleichheit passiert schon beim Einstieg. Männer verhandeln einfach besser, bestehen mehr auf die Anrechnung diverser Vordienstzeiten", weiß Eva Scherz, Kollektivvertrags(KV)-Expertin bei der GPA. Die Grundlage für ein Aufgehen der Lohnschere ist gelegt: Verdient eine Frau zu Dienstbeginn um 100 Euro weniger als ein Mann, sind es nach 25 Dienstjahren immerhin schon 1000 Euro. Arbeitgeber würden das geringere Anfangsgehalt von Frauen oft mit Einschulungsbedarf begründen und sie deshalb niedriger einstufen, erzählt Scherz. Wirtschaftskammer-Sozialexperte Rolf Gleißner sieht darin grundsätzlich keine Diskriminierung, oft hätten Männer schon mehr Praktika vorzuweisen. "Wenn eine Frau sagt, ich arbeite nicht um dieses Geld, würde sie wahrscheinlich auch mehr kriegen, aber höchstwahrscheinlich sagt sie es nicht", meint Gleißner. Um den Verhandlungsspielraum zu minimieren, will die GPA ähnlich wie im öffentlichen Dienst mehr Einstufungen nach Formalqualifikationen im KV durchsetzen.
Überstunden Ein Teil der ungleichen Löhne machen die Überstundenpauschalen aus. Männer leisten mehr bezahlte, Frauen mehr unbezahlte Überstunden – auch wegen der hohen Teilzeitquote. Ein einfacherer Wechsel von Teilzeit in Vollzeit und ein genereller Abbau der vielen Überstunden könnte aus GPA-Sicht Abhilfe schaffen.
Anrechnungen In den ersten zehn Jahren der Karriere fallen Frauen vor allem wegen fehlender Vorrückungen oder Gehaltserhöhungen nach Karenzzeiten, aber auch durch weniger individuelle Gehaltserhöhungen gegenüber Männern zurück. Inzwischen müssen zwar bei mehr als 100 Kollektivverträgen zumindest Teile der Karenzzeit bei Vorrückungen berücksichtigt werden, jedoch bei Weitem nicht flächendeckend.
Prämien Die Höhe von Boni oder Prämien bemisst sich zumeist an der Höhe des Gehalts, was gering verdienende Frauen in Teilzeit benachteiligt. Gleich hohe Prämien für alle könnte die Ungleichheit minimieren.
Während für die Gewerkschaft Einkommensberichte ein gutes Instrument sind, ungerechtfertigte Lohnunterschiede im Betrieb aktiv zu bekämpfen, bringen sie für WKO-Experten Gleißner bisher "wenig spektakuläre Ergebnisse". Unterschiede am Arbeitsmarkt werde es wegen unterschiedlicher Tätigkeiten von Frauen und Männern immer geben.
Gleichbehandlung: Der Einkommensbericht ist laut Gleichbehandlungsgesetz verpflichtend für alle Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern und muss alle zwei Jahre neu erstellt werden.
Offenlegung: Betriebe müssen dem Betriebsrat auf Anfrage offenlegen, wie viele Frauen und Männer jeweils in einer kollektivvertraglichen Verwendungsgruppe eingestuft sind und wie hoch das (arbeitszeitbereinigte) Durchschnittseinkommen inkl. Überstunden von Frauen und Männern in den jeweiligen Gruppen ist. Die Daten dürfen keinen Rückschluss auf Einzelpersonen ermöglichen, der Betriebsrat unterliegt der Verschwiegenheitspflicht.
Rund 24 Prozent, so viel beträgt der Lohnunterschied zwischen vollzeitbeschäftigten Männern und Frauen in Österreich. In Tagen gemessen, müssen Frauen noch weitere 62 Tage arbeiten, um gleich viel zu verdienen wie die männliche Bevölkerung. Diese Kluft werde sich zwar schließen, aber vor 2095 sei mit einer Gleichbehandlung nicht zu rechnen, heißt es im Global Gender Gap Report 2014 des Weltwirtschaftsforums.
Angesichts dieser Zahlen nehmen sich viele Organisationen und Politiker den Equal Pay Day (jener Tag, bis zu dem Frauen ins nächste Jahr hineinarbeiten müssen, damit sie so viel verdienen wie Männer 2014) zum Anlass, gegen die Lohnungleichheiten zwischen Männern und Frauen aufzutreten. SPÖ-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek forderte eine Verringerung der Einkommensunterschiede und ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhlem pochte auf eine Neubewertung der Arbeit.
Unerklärter Rest
Wie der KURIER berichtete, schlug der Wirtschaftspublizist Michael Hörl in einer Aussendung einen ganz anderen Weg ein. Ganz nach dem Motto, Lohndifferenzen fallen nicht einfach vom Himmel, schob der Salzburger den schwarzen Peter den Frauen selbst zu. Denn diese würden Berufssparten präferieren, die zumeist weniger produktiv seien als die der Männer und deshalb würden sie auch "zu Recht weniger verdienen". Auch wegen ihrer Wahl des Studiums würden sich solche Unterschiede ergeben, so Hörl.
Gesellschaftliche Strukturen
Hörls Argument, Frauen würden zu Recht weniger verdienen, kann Weichselbaumer nicht nachvollziehen. "Man muss sich auch mit der gesellschaftlichen Struktur beschäftigen", erklärt die Wissenschaftlerin. Frauen hätten zum Teil nur zu Berufssparten Zugang, in denen der Verdienst generell niedriger sei. "Zahlreiche Studien beweisen, dass Bewerberinnen trotz hoher Qualifikationen geringere Chancen haben in typische Männerberufe einzusteigen." Bei Männern, die sich für typische Frauenberufe bewerben, sei es zwar ähnlich, aber weil Männerberufe üblicherweise besser bezahlt werden als Frauenberufe, können Frauen auch seltener höhere Einkommen erwirtschaften.
Das bedeutet, auch wenn Berufserfahrung, Wahl des Studiums und Branche verschiedene Gründe für ungleiche Löhne identifizieren, "reicht es noch lange nicht, um Lohnungleichheiten zwischen Männern und Frauen vollständig zu erklären." Umso wichtiger sei es, auf Lohndifferenzen hinzuweisen und die aktuelle Situation zu hinterfragen. "Der Equal Pay Day und der unerklärte Rest sollen vor allem zum Nachdenken über geschlechtsspezifische Strukturen und unterschiedliche wirtschaftliche Möglichkeiten von Männern und Frauen anregen", so Weichselbaumer.
Die 2013 veröffentlichte Studie "The gender wage gap in Austria" ist die umfassendste, die sich mit dieser Thematik in Österreich beschäftigt. Die Autoren untersuchten anhand von Mikrozensus, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsdaten (inkludiert: Ausbildung, tatsächliche Berufserfahrng, Karriereunterbrechungen, Jobcharakteristika, Unternehmensgröße, Industrie, etc.) aus dem Jahr 2007 die Bruttostundenlöhne von vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer (11.698) und Arbeitnehmerinnen (6.064)im privaten und öffentlichen Sektor.
Im Jahr 2007 verdienten Frauen 19,1 Prozent weniger als Männer (3,3 Euro/Stunde). Zurückzuführen ist dieser Prozentsatz auf die erklärenden Faktoren - Ausbildung/Berufserfahrung (2,71 Prozent) , Beruf/Branche (1,11 Prozent) und firmenspezifische Eigenschaften (4, 39 Prozent) - und den unerklärten Rest (10,89 Prozent).
Interpretation
Die erklärenden Faktoren identifizieren Gründe für die Lohnungleichheit und deren Bedeutung, sind jedoch selbst von ökonomischer oder kultureller Diskriminierung beeinflusst. Zum Beispiel haben Frauen früher einen schlechteren Zugang zu Bildung gehabt.
Autoren der Studie: Rene Böheim, Christine Zulehner, Helmut Mahringer, Klemens Himpele