Wirtschaft

Keine Engpässe trotz Lieferstopp an Ukraine

Kurzfristig kann man Entwarnung geben.“ Die jüngste Eskalationsstufe im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine werde vorerst keine Auswirkungen auf die Gasversorgung in Österreich haben, ist Walter Boltz, Vorstand der Aufsichtsbehörde E-Control, überzeugt. „Österreich und die Europäische Union sind gut vorbereitet.“

Für diese Einschätzung gibt es trotz des Lieferstopps der Gazprom an die Ukraine gute Gründe. Die Gazprom will ja vorerst nur mehr gegen Vorauszahlung Gas an den Nachbarstaat verkaufen. Der ukrainische Energieminister Juri Prodan hat daraufhin garantiert, dass auch in Zukunft Gas im Transit an andere europäische Staaten weitergeleitet wird.

Gas abgezweigt

2009 hatte die Ukraine nach dem Lieferstopp durch die Gazprom begonnen, für den Transit bestimmtes Gas für den Eigenbedarf abzuzweigen. Die Regierung in Kiew wird es sich diesmal zwei Mal überlegen, ob sie wieder für den europäischen Markt bestimmtes Gas einbehält und so einen Konflikt mit der EU riskiert.

Wegen des geringen Verbrauchs im Sommer geht es derzeit ohnehin lediglich darum, die Speicher für den Winter zu füllen. Dafür bleiben noch mehrere Monate Zeit. Außerdem hat auch die Gazprom in Europa große Vorräte gespeichert.

Zeit für Kompromiss

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Es ist daher noch über den Sommer Zeit eine Lösung zu finden. Beide Seiten haben Klagen bei der internationalen Schiedsstelle für Handelsstreitigkeiten in Stockholm eingereicht. Die EU will noch im Juni einen neuen Vermittlungsversuch starten.

Wenn der Konflikt länger andauert, wird es allerdings für einige europäischen Staaten eng. „Für jene Länder, die keine Vorkehrungen getroffen haben und in hohem Ausmaß von russischen Gaslieferungen über die Ukraine abhängen wie Bulgarien oder Serbien, könne es schon bald zu Schwierigkeiten bei der Versorgung kommen“, lautet die Prognose des E-Control-Vorstands. Andere Staaten wie etwa Spanien beziehen überhaupt kein Gas von der Gazprom. Derzeit deckt Russland etwa ein Drittel des EU-Bedarfs.

Der heimische Energieminister Reinhold Mitterlehner sieht den Lieferstopp an die Ukraine vorerst noch entspannt: „Österreich wäre für eine eventuelle Verknappung bei Erdgas gut gerüstet, weil es deutlich mehr Speicher und auch mehr Bezugsquellen gibt als noch 2009.“ Die Specherkapazitäten seien massiv ausgebaut worden, derzeit seien die Speicher zu 65 Prozent – das entspricht 5,3 Milliarden Kubikmeter Gas – gefüllt. Selbst wenn die russischen Lieferungen völlig ausbleiben, ist laut Mitterlehner die Versorgung für acht Monate gesichert. Österreich verbraucht knapp 8 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, rund 60 Prozent kommen aus Russland.

Engpass im Winter droht

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Nicht ganz so rosig sieht es freilich EU-Energiekommissar Günther Oettinger: Müsse die Ukraine wegen des Lieferstopps ab sofort auf ihre eigenen Gasspeicher zugreifen, drohten im Winter Engpässe in der gesamten EU: „Gazprom kann dann nicht mehr Gas liefern.“

Ein Rückgriff der EU-Länder auf die eigenen Speicher zeichnet sich derzeit nicht ab. Die Gaslieferungen sind, teilte die EU-Kommission am Montag mit, auch nach dem Lieferstopp an die Ukraine nicht gestört. Auch der heimische Energieriese OMV ortet vorerst keine Beeinträchtigung der Lieferungen.

Langfristig wollen die EU-Staaten die Abhängigkeit von der Gazprom verringern und sich nach anderen Energie-Lieferanten umsehen. Die Gazprom sucht andere Abnehmer wie etwa China.

Samstag- und Sonntagnacht wurde verhandelt, Montagfrüh war es dann gewiss: Die Ukraine würde nicht, wie von Russland gefordert, bis 8 Uhr ihre Gas-Schulden in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar begleichen. Die Konsequenz: Moskau liefert Gas nur mehr gegen Vorkasse – vorerst also gar nicht.

Stundenlang hatten Vertreter aus Kiew und Moskau zuvor unter Vermittlung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger um einen Kompromiss gerungen. Dieser schlug zuletzt vor, die Ukraine solle eine Milliarde Dollar sofort überweisen und den Rest in sechs Raten bis Jahresende abstottern. Russland lehnte das ebenso ab wie Oettingers Vorschlag, die Ukraine könnte im Sommer nur 300 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas überweisen und im Winter, wenn die Nachfrage größer ist, 385 Dollar. Moskau will das ganze Jahr über 385 Dollar. Ob Russland und die Ukraine noch eine Lösung finden, ist unklar. Oettinger möchte aber auf jeden Fall eine neue Gesprächsrunde starten.

Seit Jahren ist das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland schwer beschädigt. Dass Moskau – wie von Kiew, Washington und NATO vermutet – die Separatisten in der Ostukraine mit Panzer- und Waffenlieferungen unterstützt, gab der Beziehung zwischen den Nachbarländern den Rest.

Rauer Ton

Gegenseitige Vorwürfe und Drohungen stehen auf der Tagesordnung – und der Ton wird immer rauer. Der neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko warnte nach dem Abschuss eines Militärjets mit 49 Toten durch die Rebellen am Samstag: Sollte Moskau nicht – wie auch von EU und USA gefordert – dafür sorgen, dass keine Waffen mehr über die Grenze in die Ostukraine gebracht würden, breche man alle diplomatischen Beziehungen ab. Zudem rief Poroschenko die EU zu neuen Sanktionen gegen Moskau auf.

Russlands Premier Dmitri Medwedew drohte seinerseits nach dem Scheitern der Gasgespräche: „Die nicht konstruktive Haltung Kiews wird sich extrem negativ auf die Wirtschaft der Ukraine auswirken.“ Und Außenminister Sergej Lawrow gab bekannt, nicht mehr mit seinem ukrainischen Kollegen Andrej Deschtschiza kommunizieren zu wollen. Dieser hatte Kremlchef Wladimir Putin am Wochenende mit einem derben Schimpfwort bedacht.

Mit dem Gaspipeline-Projekt, an dem rund ein Jahrzehnt gearbeitet wurde, sollte die Gasabhängigkeit Europas von russischen Lieferungen durch das Anzapfen aserbaidschanischer Gasquellen verringert werden. Im Juni 2013 gab jedoch das Shah-Deniz-Konsortium dem Nabucco-Projekt - das unter Federführung der OMV geplant war - den endgültigen Todesstoß, indem es für den Gastransport aus der kaspischen Region auf dem europäischen Teil dem Konkurrenzprojekt TAP (Transadriatische Pipeline) den Vorzug gab. Somit wird das Gas nicht zum Hub im niederösterreichischen Baumgarten transportiert, sondern auf den italienischen Markt.

OMV-Chef Gerhard Roiss hatte anlässlich des Scheiterns des Nabucco-Projekts die Planungskosten für die OMV mit rund 50 Mio. Euro beziffert.

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Über die Pipeline soll ab 2017 russisches Gas von der bulgarischen Schwarzmeerküste durch Serbien und Ungarn bis nach Österreich strömen. Bulgarien hatte kürzlich erklärt, an dem Bau festzuhalten, das Projekt aber erst nach Zustimmung der EU-Kommission fortsetzen zu wollen. Die serbische Regierung vermied zuletzt eine klare Festlegung. Der österreichische Erdöl- und Gaskonzern OMV hatte sich im Mai trotz der Ukraine-Krise mit Gazprom darauf verständigt, die Pipeline bis nach Österreich zu bauen.

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"Bis zu 32 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr sollen in Baumgarten angelandet werden", sagte Roiss im Mai. Es sei richtig, dass sich Europa jahrelang bemüht habe, von Gaslieferungen aus Russland unabhängiger zu werden, aber "Europa hat versagt bei Nabucco, und wir können es uns nicht leisten, hier nicht zu agieren", sagte Roiss. "Was ist, wenn in zehn Jahren kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa fließt?" Es gehe nicht um zusätzliche Gasmengen, sondern darum, dass Gas unter Umgehung der Ukraine nach Europa befördert werden könne.

Die Kosten des etwa 50 Kilometer langen South-Stream-Teilstücks in Österreich liegen laut Roiss im dreistelligen Millionenbereich. Wichtiger sei aber, dass der Gasknoten Baumgarten auch in den nächsten 50 Jahren Bestand habe, denn das sei nach dem Scheitern von Nabucco gefährdet gewesen.

Bis 2015 will man alle notwendigen Genehmigungen haben und dann auch sofort mit den Bauarbeiten beginnen, sagte Roiss, "wir haben einen Zeitdruck". Daher würden parallel auch Verhandlungen mit dem Regulator in Brüssel geführt, um auch seitens der EU grünes Licht zu bekommen. Erstes Gas über die South-Stream-Pipeline soll 2017 aus Russland über das Schwarze Meer, durch Bulgarien, Serbien und Ungarn in Baumgarten ankommen, die volle Liefermenge wird für 2018 erwartet. Von Baumgarten aus soll das Gas weiter in Europa verteilt werden - Österreichs Verbrauch beträgt knapp 8 Mrd. Kubikmeter pro Jahr.

Russland verfolgt das erklärte Ziel, mit dieser Leitung die Ukraine als Transitland für Gas zu umgehen.

Das Transitland Ukraine umgehen - diesem Zweck dient auch die Ostsee-Pipeline Nord Stream. In Lubmin, im äußersten Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns, endet die 1.224 Kilometer lange Gaspipeline Nord Stream durch die Ostsee, die den begehrten Rohstoff von Russland nach Deutschland bringt. Seit dem Jahr 2011 ist Nord Stream in Betrieb, im 2012 öffnete der zweite Strang der Röhre. Auf 55 Mrd. Kubikmeter Gas verdoppelt sich dadurch das mögliche Jahresvolumen.

Doch das soll bei weitem nicht alles sein - das Firmenkonsortium, an dem der russische Staatskonzern Gazprom die Mehrheit hält, hat weitreichende Pläne. Nord Stream prüft die Möglichkeit eines dritten und gar vierten Strangs - sprich eine Jahresleistung von bis zu 110 Mrd. m3.

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