Wirtschaft

Fremdwährungskredite: Schaden ist beträchtlich

Polen ist ein Phänomen: In keinem einzigen Jahr seit Ausbruch der Krise ist die Wirtschaftsleistung geschrumpft – das hat kein anderes EU-Land geschafft. Getragen wurde die Wirtschaft des 39-Millionen-Einwohner-Landes durch die starke Binnennachfrage sagt Artur Tomala, Managing Director bei Goldman Sachs, zum KURIER: "Aber woher kommt das Wachstum für die nächsten fünf oder zehn Jahre?"

Alle Inhalte anzeigen
Heuer werden für Polen 3,5 Prozent BIP-Plus erwartet. Klingt viel, ist aber ein eher kleiner Bonus etwa zu 2,5 Prozent in Großbritannien. Das anfängliche Wachstumspotenzial des Aufholprozesses sei ausgeschöpft, sagt der Investmentbanker, der für Polen, Tschechien und die Slowakei zuständig ist. Billige Arbeitskräfte, der große Absatzmarkt. Diese Argumente würden nicht mehr ausreichen, damit Investoren frisches Geld in die Hand nehmen. Umso wichtiger sei es, die Mittel aus europäischen Fonds geschickt als Hebel einzusetzen.

Andere Voraussetzungen sind nicht die allerbesten:

Politische Unsicherheit Die Kämpfe im Nachbarland haben der Landwirtschaft und den Kleinbetrieben im Südosten Polens geschadet. Die Ukraine und Russland sind wichtige Absatzmärkte. Polen ist zwar ein Musterschüler in puncto finanzieller und politischer Stabilität. Die Präsidentenwahl im Mai und jene fürs Parlament im Herbst sorgen aber für Unsicherheit.

Wenig Innovation Ein Manko in ganz Osteuropa: "Die Forschungsausgaben sind noch zu niedrig", kritisiert Artur Tomala.

Kredite Ein "beträchtliches Schadenspotenzial" sieht der Investmentbanker bei den Fremdwährungskrediten, die vor der Krise üppig vergeben worden waren. Für die Kreditnehmer sind die Schulden durch die Frankenaufwertung explodiert, den Banken drohen Milliardenausfälle (Story unten). Das Risiko beläuft sich auf rund acht Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – das ist der größte Anteil aus Fremdwährungskrediten in Osteuropa außer Ungarn. Allerdings glaubt Tomala nicht an eine rasche Lösung. Die Regierung sei in dieser Frage deutlich weniger entschlossen als jene in Budapest.

Strenge Aufsicht In Polens Bankenlandschaft stehen einige Verkäufe an. Aber: "Die meisten europäischen Spieler sind oder waren schon dort. Asiatische Banken könnten Interesse haben – etwa die chinesische ICBC (Industrial and Commercial Bank of China) oder britische Institute", vermutet Übernahme-Experte Tomala. Die Frage ist, ob die Finanzmarktbehörde KNF mitspielen würde, sollte ein Akteur deutlich größer werden: "Aus Sicht der polnischen Aufsicht ist die Marktaufteilung ausgewogen, eine weitere Konsolidierung würde das Risiko vergrößern und wäre nicht in ihrem Interesse." Bei neuen Markteintritten würde sie sicher auf Transparenz pochen. Das könnte eher für Europäer als für Asiaten sprechen.

Generell macht es die Aufsicht den Banken nicht leicht. Davon kann die Raiffeisen Bank International ein Lied singen, die ihre Tochter Polbank verkaufen will. Entweder sie bringt Teile davon selbst an die Börse oder der Käufer muss es tun. Kein Einzelfall, sagt Tomala – ähnlich sei es BNP Paribas beim Kauf der Rabobank ergangen. "Das mag vielleicht für einen Außenstehenden stur erscheinen, aber die Aufsicht ist gut damit gefahren und stolz darauf, dass der Finanzsektor während der Krise stabil geblieben ist. Deshalb will sie keine Ausnahme machen."

Seit 15. Jänner hängt in vielen polnischen Mittelstandsfamilien der Haus- oder Wohnungssegen schief. An diesem Tag hob die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Kursobergrenze des Franken auf und dieser schnellte sofort in die Höhe.

Rund 700.000 polnische Haushalte hatten Kredite in Franken genommen – vor über zehn Jahren rieten die Banken der Mittelschicht, sich aufgrund der günstigeren Zinsen in der Schweizer Währung zu verschulden. Viele nahmen die Kredite zu Franken-Kursen auf, die nicht höher waren als 2,5 zum polnischen Zloty. Aktuell zahlt man für einen Franken aber mehr als 3,9 Zloty.

Gut hundert Klagen

Bereits mehr als hundert Schuldner haben nun Klagen gegen polnische Banken eingereicht. „Wir sind bezüglich des Risikos in die Irre geführt worden“, sagt Tomasz Sadlik, Gründer der Schuldner-Interessenvertretung „Pro Futuris“. Doch bisher verwiesen die Gerichte darauf, dass im Kleingedruckten der Verträge durchaus die Rede davon war, dass sich der Währungskurs ändern kann.

„Pro Futuris“ hat sich einiges einfallen lassen. Der Verein organisierte Straßenproteste, rief zum Banken-Boykott auf oder ließ Rentner und Studenten das Beratungsverhalten der Banken „ausspionieren“. Jetzt hofft man auf Generalstaatsanwalt Andrzej Seremeta, der Material gegen die Banken gesammelt haben soll.

Bisher galt Polen als Banken-Paradies für Privatkunden. Die Zeit des Kommunismus war in den 80er-Jahren besonders entbehrungsreich und der Hunger nach Eigentum und Wohlstand nach der Wende entsprechend groß.

Im neuen, wilden Kapitalismus herrschte zudem ein eklatanter Mangel an Mieterrechten. Deshalb wurde beim Verlassen der elterlichen Wohnung sofort eine neue Bleibe gekauft, auch wenn das Abstottern noch Jahrzehnte dauern sollte.

Nach der ersten Aufregung versprach die Regierung Hilfe, ließ das Thema jedoch bald schleifen. Immerhin will sie die Kompetenz des Amtes für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz ausweiten, um die Rechte von Einzelpersonen gegenüber Finanzinstitutionen zu stärken.

Viele Besserverdiener

Der Verband Polnischer Banken (ZBP) schlug vor, für Schuldner, die weniger als den Durchschnittslohn von 4000 Zloty (971 Euro) verdienen, einen Fonds einzurichten. In besonders harten Fällen könnte die Rückzahlungspflicht eingefroren werden. Doch das betrifft nur wenige „Frankowcy“, wie sich die mittelständische Schuldnergruppe nennt, die meist überdurchschnittlich gut verdient. Größere Hoffnungen setzen sie in die Finanzaufsicht, die fordert, dass die Kredite zwischen Banken und Schuldnern neu verhandelt werden. Doch so schnell wie ein Kreditabschluss wird das nicht gehen.

Artur Tomala über

. . . den Ausblick für Osteuropa

„Der Aufholprozess in Osteuropa wird sich fortsetzen, aber das anfängliche Wachstumspotenzial ist ausgeschöpft. Jetzt sind die Unterschiede zu Westeuropa nicht mehr so groß. Für Polen erwarten wir 3,4 bis 3,5 Prozent Wachstum, für Großbritannien etwa 2,5 Prozent. Unabhängig vom Risiko ist Polen in punkto finanzielle und politische Stabilität sowie Rechtssicherheit jedenfalls der Musterschüler in Ost- und Südosteuropa."

. . . Polens Wachstum

Polens Wirtschaft war in der Krise durch eine starke Binnennachfrage getrieben. Das wird sich fortsetzen. Für Investoren waren die Hauptargumente billigere Arbeitskräfte und für gesamteuropäische Player die Abdeckung des attraktiven 40-Millionen-Einwohner-Marktes. Aber woher kommt das Wachstum für die nächsten 5 oder 10 Jahre?

Die Forschungsausgaben sind in ganz Osteuropa noch zu niedrig. Die demographische Alterung wird ebenfalls, wie in vielen europäischen Ländern, ein Thema. Für Investoren, die schon in Polen sind wird es wichtig sein, die Mittel aus europäischen Fonds als Hebel einzusetzen.

Die Ukraine-Krise ebenso wie die bevorstehenden Wahlen in Polen im Mai und November 2015 haben sicherlich für Unsicherheit gesorgt. Positiv wird sich hingegen auswirken, wenn das Wachstum in der Eurozone weiter anzieht.

. . . das Problem mit den Fremdwährungskrediten

Polen hat das größte Risiko in Osteuropa aus Fremdwährungskrediten, nach Ungarn. Es liegt bei rund 8 Prozent der Wirtschaftsleistung. Jeder weiß um das beträchtliche Schadenspotenzial. Das könnte den Konsum der Haushalte bremsen. Es gibt zwar eine Reihe von Vorschlägen von der Regierung, der Aufsicht und den Banken. Polens Regierung ist weniger entschlossen als in Ungarn, eine rasche Lösung scheint also nicht wahrscheinlich.

. . . den Umbruch in der Bankenlandschaft

Die Frage ist: Für welche Bank, die noch nicht im Markt vertreten ist, wäre Polen eine strategisches Option? Die meisten europäischen Spieler sind oder waren schon dort. Asiatische Banken könnten Interesse haben – etwa die chinesische ICBC, oder britische Institute. Aus Sicht der polnischen Aufsicht ist die Marktaufteilung ausgewogen, eine weitere Konsolidierung würde das Risiko vergrößern und wäre nicht in ihrem Interesse. Bei neuen Markteintritten würde sie Transparenz sicher prioritisieren.

. . . die strenge Finanzaufsicht

Die polnischen Regulatoren machen Neuankömmlingen eine Reihe von Vorschriften, die vor einem Verkauf erfüllt sein müssen. Im Fall von Raiffeisen wird beispielsweise verlangt, dass Polbank wie versprochen an die Börse Warschau gebracht wird. Das mag vielleicht für einen Außenstehenden stur erscheinen, aber die Aufsicht ist damit gut gefahren und stolz darauf, dass der Finanzsektor während der Krise stabil blieb. Deshalb will man keine Ausnahme machen. Das war ganz ähnlich, als BNP Paribas die Rabobank vor einem Jahr kaufte.

. . . den Finanzplatz Warschau

Jedes Land, jede Stadt hätte gerne einen florierenden Finanzplatz. Das lässt sich aber nicht auf dem Reißbrett planen. Es geschieht von selbst, wenn es wie in London oder Frankfurt die Akteure, eine kritische Masse an Transaktionen und die nötige Infrastruktur gibt. In Warschau fehlt aus meiner Sicht die kritische Masse. Die Marktkapitalisierung aller gelisteten Unternehmen ist rund 160 Milliarden Dollar, das entspricht nur etwa zwanzig Prozent der Wirtschaftsleistung.

In Polen gibt es zudem kein großes öffentliches Bewusstsein, dass ein funktionierender Kapitalmarkt einen signifikanten Beitrag zur Wirtschaft leistet – eher im Gegenteil.

. . . die Börsen Warschau und Wien

Warschau und die CESEG (CEE Stock Exchange Group: Wien, Budapest, Prag, Ljubljana) haben ja bereits bekannt gegeben, dass sie andere Wege als eine Kooperation gehen. Zusammen genommen könnte das mehr Zukunftsmöglichkeiten eröffnen, aber ich sehe keine große Chance, dass die Warschauer Börse verkauft wird. Obwohl das öffentliche Interesse generell gering ist – da wäre der Aufschrei groß.