Wirtschaft

Euro-Krise: "Alle müssen Nerven bewahren"

Weitersparen oder lieber Wachstum fördern? Oder am besten beides? Über die Frage, wie Griechenland am besten aus der Krise kommt und warum Österreich die wirtschaftlichen Turbulenzen wesentlich besser als andere Länder überstanden hat, diskutierten Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und AK-Chefvolkswirt Markus Marterbauer mit dem KURIER.

KURIER: Der extreme Sparkurs ist den Griechen zu viel geworden. War das Rezept der EU, durch Sparen aus der Krise zu kommen, falsch?
Mitterlehner: Genau das ist das Problem. Sparen ist wichtig, aber Griechenland braucht auch Wachstum, sonst wird es nicht aus der Krise kommen. Es ist bei der Bevölkerung der Eindruck entstanden, dass die Sparbemühungen der EU bei den Banken landen und dass sich die Reichen entfernt haben mit ihren Vermögen und der Normalbürger die ganze Angelegenheit ausbaden kann. Daher muss sich die EU einen Marshall-Plan überlegen, wie man für die Bevölkerung spürbare Hilfe leistet.

Ist das Einschwenken der Politik auf Wachstums-Hilfen jetzt nicht zu spät?
Mitterlehner: Ich glaube, dass jetzt alle die Nerven bewahren müssen, sowohl die Politiker in Griechenland als auch in der EU.
Marterbauer: Nach den Erfahrungen in Griechenland, Portugal und Spanien wird zunehmend erkannt, dass man sich in eine Krise leicht hineinsparen, dass man aus ihr aber nur herauswachsen kann. Die Kredite der EU können nur zurückgezahlt werden, wenn sich diese Länder wirtschaftlich stabilisieren.

Wäre ein Austritt Griechenlands aus dem Euro eine Lösung?
Mitterlehner: Griechenland muss im Euro bleiben. Alles andere brächte Kosten, die wir in dieser Wirtschaftssituation nicht brauchen können. Wir hätten dann nicht nur bei den Exporten Probleme, weil die Griechen abwerten, sondern auch im Tourismus.
Marterbauer: Es ist eine Illusion, dass der Ausstieg Griechenland aus dem Euro die Probleme lösen würde. In Griechenland würde sich die Talfahrt beschleunigen, in Europa die Finanzmarktkrise verschärfen.

 

Alle Inhalte anzeigen

Die einzige Lösung scheint also in der Wachstumsförderung zu liegen. Wie kann das am Beispiel Griechenland funktionieren?
Marterbauer: Das ist nicht einfach. Griechenland und Portugal waren die Verlierer der Ostöffnung. Sie müssen dort beginnen, wo wir in der 1950er-Jahren waren: eine Industrie aufbauen, Stärken im Tourismus weiterentwickeln, einen funktionierenden Staat und eine Sozialpartnerschaft aufbauen. Das ist ein langfristiger Prozess, der 20, 30 Jahre dauern kann.
Mitterlehner: Wir werden auch Aufbauhilfe leisten müssen, etwa das Know-how der EU nach Griechenland bringen und mit Coaching begleiten. Im Regionalfonds der EU gibt es Mittel dazu. Wir können den Griechen auch Ausbildungen bei uns anbieten. Unser Haus und unsere Tochtergesellschaften haben Hilfe angeboten. Die Griechen müssen das aber auch wollen. Und auch Griechenland selbst kann mehr tun – etwa die Militärausgaben stärker kürzen.
Marterbauer: Die EU muss primär die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. Wenn für die EU bei einer Jugendarbeitslosenquote von 51 Prozent die Alarmglocken nicht schrillen, dann läuft etwas grundlegend falsch. Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme schaffen Hoffnung in Griechenland wie Spanien. Wir benötigen auf EU-Ebene mehr Mittel für den Sozialfonds, denn die Schuldnerländer haben kein Geld.

Das heißt für Österreich gesprochen aber auch, dass wir noch Jahre in dieses Land werden hineinzahlen müssen...
Marterbauer:
Gerade eine kleine Volkswirtschaft wie Österreich, die 55 Prozent ihrer produzierten Güter und Dienstleistungen exportiert, muss großes Interesse am wirtschaftlichen Wohlergehen der Handelspartner haben. Jetzt sind nicht Buchhalter, sondern Ökonomen mit gesamtwirtschaftlichem Verständnis gefragt. Wir sind zwar in einer tiefen Krise, aber gleichzeitig war der Wohlstand in ganz Europa noch nie so groß wie heute. Außerdem haben die europäischen Steuerzahler für die Bankenrettung sehr viel mehr bezahlt als für Griechenland.
Mitterlehner: Einige haben bei uns noch immer nicht verstanden, dass wir in einem wirtschaftlichen Boot mit Griechenland sitzen. Das, was dort an Schulden entstanden ist, ist teilweise von uns, von Deutschland und anderen auf Pump geliefert worden. Unser Wohlstand ist von denen mitfinanziert. Zu meinen, wenn wir dorthin nichts zahlen, kostet uns das auch nichts, ist eine Fehlinterpretation.

 

Alle Inhalte anzeigen

Wegen der Schulden-Krise quer durch Europa muss auch bei uns gespart werden. Können Sie das den Menschen erklären?
Mitterlehner: Da muss man schon die Kirche im Dorf lassen. In Griechenland geht es um Existenzen, bei etwa bei den Pensionen nicht einmal um Kürzungen sondern um differenzierte Erhöhungen. Im Endeffekt haben wir die Krise gut bewältigt. Sowohl Österreichs Wirtschaft, als auch die Staatsfinanzen stehen deutlich besser da, als der Durchschnitt der EU. Wir haben Wachstum und die niedrigste Arbeitslosigkeit Europas. Das Vertrauen des Bürgers in Richtung Lösungsfähigkeit der Politik sollte eigentlich besser sein.
Marterbauer: Wir sind sicher besser durch die Krise gekommen als fast alle anderen Länder. Dennoch: Diese Krise ist durchs Finanzsystem verursacht worden. Daher müssten wir die Banken an den Kosten beteiligen und das Finanzsystem verkleinern sowie Einkommen und Vermögen umverteilen. Denn die Deregulierung des Finanzsystems war die Eröffnung des Casinos. Und gespielt und verdient haben dort die Reichen.
Mitterlehner: Dass wir bei den Lösungsmechanismen der Finanzkrise erst auf halbem Weg stehen, stimmt. Aber die Banken können nicht alles tragen. Die Vermögensverteilung ist kein Grund für die Krise. Der Grund war, dass sich die Finanzwirtschaft zu sehr von der Realwirtschaft entfernt hat. Wir müssen umdenken und mehr in Richtung Industrie und Dienstleistung Fortschritte und Wachstum erzielen. Der entscheidende Faktor ist also, dass wir auf Innovation und Produktivität setzen.

Warum steht Österreich nach der Krise besser da als viele andere Staaten?
Mitterlehner: Wir haben das Glück des Tüchtigen in zweifacher Hinsicht: Unsere Wirtschaft ist sehr flexibel. Als Europa als Markt Wachstumsschwäche gezeigt hat, haben sich die Firmen unter anderem mit Förderungen unseres Hauses in anderen Regionen umgesehen – etwa in Asien. So sind zum Beispiel die Exporte nach China im Vorjahr um 47 Prozent gestiegen. Unsere Märkte sind nicht nur Europa. Der zweite Aspekt ist, dass Deutschland das genauso sieht, davon profitieren unsere Zulieferer. Die Diversifikation der Exporte hat gut funktioniert. Zudem gehen wir stark in innovative Bereiche – erneuerbare Energien, Abwasser, Medizintechnik. Und die Betriebe haben in der Krise umstrukturiert und Kosten gesenkt. Jetzt stehen sie gut da.

Stimmen Sie dem zu?
Marterbauer: Wir haben eine extrem wettbewerbsfähige Exportindustrie, die in den richtigen Bereichen aufgestellt ist. Unser Problem ist eher, dass die Exportgewinne in Dividendenausschüttungen verpuffen, statt durch Investitionen und Konsumnachfrage den Wohlstand zu erhöhen. Dass der Konsum in der Krise dennoch gewachsen ist, hat mit dem Sozialstaat zu tun, weil es bei uns kein Angstsparen gegeben hat.

Mehr zum Thema

  • Hintergrund

  • Hintergrund