Dow Jones & Co: Was ist nur an den US-Börsen los?
Von Michael Bachner
Es ist erstaunlich wie viel Optimismus an den US-Börsen herrscht. Die Corona-Pandemie müsste sich doch in den Kursen negativ bemerkbar machen - sollte man glauben. In New York ist das Gegenteil der Fall.
Am vergangenen Dienstag schloss der Dow Jones, das wohl prestigeträchtigste Börsenbarometer der Welt, erstmals über 30.000 Punkten. Sofort rückten Finanzexperten aus, um der staunenden Weltöffentlichkeit Erklärungen für den Rekord zu liefern. Noch-Präsident Donald Trump ließ es sich nicht nehmen, das Ereignis für sich zu reklamieren. Natürlich führt ein Politiker-Typ wie Donald Trump den Börsenrekord auf sein Wirken zurück, auch wenn ganz andere Faktoren ausschlaggebend sein mögen.
Wer an eine Eintagsfliege glaubte, wurde am Freitag eines Besseren belehrt. An einem verkürzten Handelstag nach „Thanksgiving“ stieg der wesentlich breitere Standard & Poor’s 500 auf 3638,35 Zähler und damit auf ein Rekordhoch. Und der Technologieindex Nasdaq steigerte sich auf 12.205,85 Zähler und erreichte damit ebenfalls ein Allzeithoch.
Drei Börsenrekorde in einer Woche? Ausgerechnet in den USA, dem nach Infektionen und Todesfällen am härtesten getroffenen Land der Welt? „Das wirkt auf den ersten Blick absolut überraschend, die Logik dahinter ist aber relativ klar“, sagt Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer zum KURIER. Der Experte sieht „drei wesentliche Treiber“ hinter der kräftigen Aufwärtsentwicklung an der Wall Street.
Corona-Impfstoff kommt schneller als gedacht
Als zentral bewerten Bruckbauer und so gut wie all seine Kollegen die positiven Nachrichten von weiteren Fortschritten bei den vielversprechenden Corona-Impfstoffen.
Vor allem die angekündigte baldige Verfügbarkeit aufgrund der unerwartet kurzen Zulassungsverfahren in den USA, aber auch in Europa, hat die Börsen beflügelt. „Der Impfstoff dürfte viel schneller zur Verfügung stehen, als von den Skeptikern erwartet wurde“, sagt Bruckbauer.
Milliarden-Programme und Null-Zins-Politik
Dazu komme, dass die fiskal- und geldpolitischen Interventionen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie wesentlich stärker und global breiter ausfielen, als ursprünglich erwartet wurde. Bruckbauer: „Zu diesem Mix kommt speziell in den USA, dass die Zinsen viel länger tief bleiben werden. Durch den grundsätzlichen Politikwechsel der US-Notenbank Fed, die nicht mehr die Inflation, sondern die Beschäftigung im Land als entscheidenden Faktor im Auge hat, können die Zinsen unten bleiben und das führt zu höheren Bewertungen für Aktien. Es ist wahnsinnig viel Geld vorhanden, das sucht nach Veranlagungsmöglichkeiten.“
Der Biden-Faktor
Nicht zuletzt spielt auch der Kampf um das Weiße Haus eine zentrale Rolle. Aufgrund seiner spendablen Ausgabenpolitik mit jährlich hohen Defiziten und Unternehmens freundlichen Steuerpolitik war Trump der an der Wall Street beliebtere Präsidentschaftskandidat. Seine Weigerung, das Wahlergebnis anzuerkennen, führte aber zu einer starken Verunsicherung, die erst zu weichen begann, als Trump in der Vorwoche Behörden und Mitarbeiter anwies, beim Übergangsprozess zur neuen Regierung von Joe Biden zu kooperieren. Der Senat bleibt aber absehbarerweise republikanisch, daher kann der Demokrat Biden höchstwahrscheinlich einige Wahlversprechen (höhere Konzernsteuern, Kampf gegen den Klimawandel) nicht umsetzen. Auch das freut die Anleger an der Wall Street.