Ditfurth: "Das Kapital lässt regieren"
Von Birgit Braunrath
Der Kellner sagt: "Grüß Gott." Jutta Ditfurth murmelt über den Tisch: "Immer dieser Gott. Ich bin Atheistin." Und es gibt noch etwas, das die deutsche Soziologin, Politikerin und Vertreterin der extremen Linken an Wien irritiert: mit "Frau Baronin" angesprochen zu werden. Knapper Kommentar: "Geht’s noch?"
Beide Eltern stammten aus Adelsfamilien, sie selbst hat das "von" abgelegt und kämpft für eine Welt, "in der alle gleiche sozialen Voraussetzungen haben, sich individuell zu entfalten".
Montagabend diskutiert sie unter anderem mit Jean Ziegler und Reinhold Lopatka in "Pro und Contra" auf Puls 4 (siehe unten). Im KURIER-Interview legt sie vorab ihre Standpunkte klar.
KURIER: Ihr neues Buch heißt "Zeit des Zorns". Wieso werden Sie zornig, wenn Sie hören: "Wir müssen die Krise gemeinsam bewältigen"?
Jutta Ditfurth: Dieses "Wir" soll vortäuschen, dass die Interessen der herrschenden Klasse mit denen der Normalbevölkerung identisch sind. Man zwingt die, die wenig haben, durch Schuldenbremsen und Sparpakete dazu, noch mehr Geld herzugeben – angeblich für Menschen, etwa in Griechenland, denen es schlecht geht. Aber keine arbeitslose griechische Studentin, kein verarmter Handwerker sieht etwas von dem Geld. In Wirklichkeit fließt es in die Geschäfte des Kapitals.
Sie wollen auch nicht hören, dass die Griechen selbst schuld an ihrer Lage sind.
Ich muss mich beherrschen, keine Gewaltphantasien gegen Leute zu entwickeln, die sich so ahistorisch und wahrheitswidrig äußern.
Was erwidern Sie jenen, die sagen: "Die Griechen haben Steuern hinterzogen; jahrelang die Pension für den toten Großvater bezogen ..."?
"Die" Griechen gibt es genauso wenig wie "die" Deutschen. Griechenland ist über Jahre von deutschem Kapital, mit Unterstützung der jeweiligen deutschen Regierung, ausgeplündert worden. Allein im Jahr 2010 wurden deutsche Rüstungsgüter im Wert von 400 Millionen nach Griechenland verkauft. Wozu braucht eine griechische Bäuerin 40 U-Boote, Leopard-Panzer, Heckler-&-Koch-Gewehre? Wofür?
Sie geben als Deutsche den Deutschen die Schuld?
An der griechischen Misere ist die herrschende Klasse in Deutschland an vorderster Front schuld. Auch dadurch, dass die Löhne in Deutschland so niedrig sind, dass deutsche Exportgüter Märkte in südeuropäischen Staaten platt machen konnten. Wenn kranke griechische Kinder nicht ins Krankenhaus können, weil Vorkasse verlangt wird, wenn Migranten gejagt werden, wenn gut ausgebildete junge Leute auf die Äcker ihrer Großeltern zurück müssen, ist das auch Schuld des Landes, in dem ich lebe.
Kritisieren Sie den Staat oder die Wirtschaft?
Beide. Der Staat beschafft den verschiedenen Kapitalfraktionen die nötige Infrastruktur, bedient einflussreiche Leute, drückt Lohnarbeitende und sozial Benachteiligte nieder. Politiker sind, wie Tucholsky einmal gesagt hat, "nur an der Regierung, nicht an der Macht".
"Wutbürger? Eine Worthülse"
Bringen wir es platt auf den Punkt: Es regiert das Kapital?
Ja, aber es regiert nicht selbst, sondern lässt regieren. Um den Menschen Mitbestimmung vorzugaukeln, müssen aufwendige Festspiele inszeniert werden, man nennt sie Wahlen.
Sie fordern die "soziale Revolution" und sagen: "Der Kapitalismus ist nicht reformierbar." Wieso?
Das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise ist es, Mensch und Natur auszubeuten und zu vernichten, um Profit zu machen. Man muss gegen den Kapitalismus sein, wenn man will, dass Menschen sozial gleich sind und dann wirklich frei. Das Kapital stattet seine Verteidiger mit viel Geld, Repressionsmitteln, Medienmacht und Ideologieproduktion aus, um diesen Gedanken zu bekämpfen. Aber es gibt viele, die diese Verhältnisse nicht mehr ertragen. Die "da oben" haben keine Ahnung wie groß der Hass "da unten" ist.
Woran spüren Sie das?
Vor allem in meiner politischen Arbeit, aber auch an den Reaktionen nach bestimmten deutschen Fernsehdiskussionen: Fünf Prozent Schmähungen, Obszönitäten und Morddrohungen, die meisten anderen sagen: "Endlich sagt es wer, ich dachte, ich wär allein."
In Österreich kam 2011 der Begriff "Wutbürger" auf ...
Eine Worthülse, die Proteste denunzieren soll.
Es hieß dann aber rasch, Wutbürger sei nicht konstruktiv, man solle Mutbürger sein.
Typisch. Sobald ein Mensch endlich "Nein" sagt und nicht mehr alles hinnimmt, soll er schnell integriert werden. Wenn man eine humane Gesellschaft will, muss man sich in den Gegensatz zu den herrschenden Verhältnissen stellen.
"So sülzen sie immer"
Sie haben Anfang der 80-er Jahre die deutschen Grünen mitbegründet, sind 1991 ausgetreten und lassen kein gutes Haar an der Partei ...
Um die Haare geht`s mir weniger, sondern darum, dass die Grünen eine Kriegsfähige Pro-Kapital-Partei geworden sind. Nicht anders als FDP, CDU und SPD.
Und wie sehen Sie die österreichischen Grünen?
Die waren ja immer eher bieder, konservativ, opportunistisch und kein bisschen Kapitalkritisch, oder hab ich da irgendwas verpasst?
Es gab vor einiger Zeit Gespräche der Grünen über eine eventuelle Koalition mit der SPÖ nach der Wahl 2013.
Hat denen das deutsche Beispiel nicht als Abschreckung gereicht?
In Österreich verlangte ein Grün-Politiker und Mitglied der Habsburg-Familie dieser Tage die Wiedereinführung der Adelstitel ...
Hat der einen Knall? Wer so etwas will, ist ein Antidemokrat, der sagt: "Es gibt Eliten von Menschen, und ich will sichtbar machen, dass ich zu einer solchen gehöre."
Er sagte, er wolle die historische Rolle des Adels würdigen.
So sülzen sie immer. Aber nie in der Geschichte wurde ein Adelstitel für eine humane Tat vergeben. Es waren immer Verbrechen: Bauernmorde, Kreuzzüge, Landraub.
Sie selbst haben die Aufnahme in den deutschen Adelsverband abgelehnt und ihr "von" abgelegt. Was erwidern Sie, wenn Sie jemand "Frau von Ditfurth" nennt?
Je nach Stimmung, Manchmal sag ich: "Ich schenk Ihnen das von, wenn Sie so scharf auf den Quatsch sind." Übrigens, wenn ich nach Österreich komme, höre ich plötzlich dauernd: "Frau Doktor" oder "Baronin." Ist das hier ein Untertanenstaat?
TV und Buch: Die Aktivistin als Autorin und Diskutantin
Zur Person Jutta Ditfurth, 61, ist die Tochter des deutschen Wissenschaftlers und Publizisten Hoimar von Ditfurth. Die Politikerin, Autorin und Soziologin studierte in Deutschland und den USA. 1980 war die Feministin und Internationalistin an der Gründung der deutschen Grünen beteiligt. 1991 verließ sie die Partei, die ihr "zu rechts" geworden war, und gründete mit Freunden die "Ökologische Linke", für die sie ehrenamtlich in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung sitzt.
Zur Sendung "Pro und Contra" auf "Puls 4" geht heute, Montag, ab 22.20 Uhr der Frage nach: "Warum werden die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher?" Unter dem Titel "Ungerechte Welt" diskutieren neben Jutta Ditfurth der Globalisierungskritiker Jean Ziegler, Staatssekretär Reinhold Lopatka und der Journalist Eric Frey. Erstmals wird Corinna Milborn, die vom "Club 2" zu "Pro und Contra" wechselte, die Diskussion leiten.
Zum Buch "Zeit des Zorns. Warum wir uns vom Kapitalismus befreien müssen" ist soeben im Westend-Verlag erschienen (220 Seiten, 17 Euro). Darin schildert Ditfurth, fundiert recherchiert, die Ursachen und Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise.
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Hintergrund
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Interview