Die Sozialunion muss warten
Laszlo Andor ist oft nicht zu beneiden. Als EU-Sozialkommissar muss er regelmäßig Hiobsbotschaften in Form von Arbeitslosen- und Armutsstatistiken überbringen. Der aktuelle Beschäftigungs- und Sozialbericht der Kommission, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, ist da keine Ausnahme.
Die Jugendarbeitslosigkeit bleibt auf einem Hoch: 23 Prozent im EU-Schnitt, 63 Prozent in Griechenland. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in den meisten Staaten weiter gestiegen und EU-weit auf Rekordstand.
Was Andor besonders große Sorgen macht: Die Kluft in Europa hat sich in den Krisen-Jahren vertieft. Während sich einige „Kern-Länder“ der Eurozone wie Deutschland und Österreich wacker durch die mageren Jahre geschlagen haben, stürzen „Peripherie-Länder“ wie Griechenland oder Spanien immer tiefer in eine Krise.
„Soziale Dimension“
Nachdem man die Eurozone und ihre Finanzindustrie jahrelang vor allem mittels Sparpolitik stabilisieren wollte, soll nun die Wirtschafts- und Währungsunion eine „soziale Dimension“ erhalten. Konkrete Maßnahme gibt es aber vorerst nur eine: Ein „Sozialanzeiger“ soll geschaffen werden, der Arbeitslosenquote, Unterschiede bei der (Aus-)Bildung, das verfügbare Haushaltseinkommen, das Armutsrisiko und Ungleichheit am Arbeitsmarkt misst. Anhand dieses „Scoreboards“ soll dann künftig früher gegengesteuert werden können.
Große Pläne vertagt
Dabei gäbe es in der Kommission größere Pläne in Richtung Sozialunion: In einem Entwurf aus Andors Büro war zuletzt noch von einem Solidaritätsfonds die Rede, einer Art Versicherung mit Umverteilungseffekt, in den die Länder bei guter Wirtschaftslage einzahlen und bei schlechter kassieren. In der Praxis hieße das: Stärkere Länder würden den schwächeren helfen, Krisenfolgen abzufangen – etwa steigende Arbeitslosenzahlungen. Auch von einem Ausgleichstopf, aus dem Krisen-Länder Gelder bekommen könnten, wenn sie sich zu Reformen verpflichten, wurde gesprochen. Und nicht zuletzt vom langfristigen Projekt gemeinsames Arbeitslosengeld.
Andor erwähnte am Mittwoch nichts dergleichen – nur, dass es leichter werden soll, Arbeitslosengeld zu beziehen, wenn man im Ausland auf Jobsuche ist.
Für größere Schritte – die oft auch einer Vertragsänderung bedürften – gab es offenbar zu großen Widerstand aus den Mitgliedsstaaten. So bleibt als Zwischenschritt der „Sozialanzeiger“: Mit dessen Daten könnte die Kommission dann in ein, zwei Jahren einen neuen Anlauf starten.
Mehrheit gegen Sparen
Ein schwacher Trost für Andor ist wohl, dass er für seinen Ansatz, Sparpolitik solle nicht die einzige Antwort auf die Krise bleiben, im Trend liegt. In einer EU-weiten Gallup-Umfrage sagen 51 Prozent der Befragten, dass die Sparpolitik nicht funktioniert. Am kritischsten sind die Griechen, wo 80 Prozent meinen, das Sparen bringe nichts. Knapp dahinter: Österreich mit 68 Prozent.
Die EU kümmert sich nur um die Wirtschaft und Banken, nicht um die Menschen: Diese Kritik ist so alt wie die Union. Angesichts von 26,6 Millionen arbeitslosen EU-Bürgern hat der Vorwurf aber mehr Gewicht denn je.
EU-Sozialkommissar Laszlo Andor hatte eine „soziale Dimension“ versprochen. Jetzt sind viele herb enttäuscht: Neu ist nur, dass Brüssel bei den Mitgliedstaaten nicht nur Schieflagen im Budget, bei den Schulden oder im Außenhandel beobachtet, sondern auch bei Arbeitslosigkeit und Armut. Das war’s. Ein Signal, nicht mehr. Zynisch könnte man hinzufügen: Dass viele von ihnen arbeitslos sind, wissen die Griechen und Spanier schon. Echte Antworten zur Bekämpfung der Malaise blieb Andor schuldig.
Nur: Was war die Erwartung? Wollen wir wirklich, dass Brüssel für die Sozialpolitik zuständig ist? Wollen wir, dass es einen EU-Geldtopf gibt, aus dem Krisenländern geholfen wird – oder in fernerer Zukunft sogar ein EU-weites Arbeitslosengeld? Falls nicht, sollten wir Brüssel auch nicht vorwerfen, unsozial zu sein ...