Wirtschaft

China übt den freien Markt

Geld wechseln, ein Konto eröffnen, Aktien kaufen oder in ein Unternehmen investieren: Im Westen sind solche Transaktionen völlig alltäglich. In China nicht: Dort ist das für Ausländer verboten – oder nur einem kleinen Personenkreis und mit großen Hürden zugänglich. Selbst in Schanghai, das seit 1990 einen Status als Sonderwirtschaftszone genießt.

Jetzt lässt Chinas Regierung ein Stück mehr freien Markt zu – beschränkt auf 26 Quadratkilometer: Die Hafen-, Industrie- und Finanzmetropole Schanghai wird ab Sonntag zur Freihandelszone. Viele Investoren warten gespannt, was das bedeutet. Angekündigt ist, dass Ausländer in Bereiche investieren dürfen, zu denen sie bisher keinen Zugang hatten.

Angeblich wird die staatliche Regulierung für 19 Bereiche gelockert – von Banken bis Kultur. Ausländische Telekom-Firmen sollen Internet-Lizenzen erhalten. Auch von einer Börse für Metalle und Nahrungsmittel ist die Rede. Spielcasinos sind weiterhin nur in der Sonderverwaltungsregion Macau erlaubt. Die größten globalen Folgen hätte eine Öffnung der Landeswährung Renminbi (die Zähleinheit heißt Yuan). Deren Wechselkurs-Bestimmungen sollen in der Freihandelszone Schanghai nicht gelten. Wie das umgesetzt wird, stellt aber selbst Experten vor ein Rätsel: Der Renminbi-Kurs wird nämlich nicht (wie international üblich) durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern von Chinas Zentralbank festgesetzt.

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Umbau der Wirtschaft

Aller Ungewissheit zum Trotz: „Wir sehen diese Öffnung sehr positiv“, sagt Veronika Lammer, Schwellenländer-Expertin bei Raiffeisen Research. Es passe gut zu den Reformen, die Präsident Xi Jinping und Premier Li Keqiang angekündigt haben.

Die neue Führung hat versprochen, die Wirtschaft umzubauen. China soll weniger stark vom Export von (Billig-)Produkten abhängig sein. Dafür sollen die Chinesen selbst mehr verdienen und konsumieren – und es soll in die Produktion von höherwertigen Gütern investiert werden. Da wäre es hilfreich, wenn sich das Reich der Mitte für Geldgeber öffnet. „In Schanghai sind schon sehr viele ausländische Firmen vertreten, die Stadt eignet sich sehr gut“, argumentiert Lammer. Horst Löchel, China-Experte und Professor an der Frankfurt School of Finance, dämpft zu große Euphorie: „Die Freihandelszone wird unmittelbar keine großen real- oder finanzwirtschaftlichen Auswirkungen haben“, sagt er zum KURIER. Es sei ein Signal: Peking will, dass Schanghai als internationales Finanzzentrum ausgebaut und der Renminbi internationaler wird. „Wie rasch und wie weit das gehen wird, ist nicht absehbar.“

Facebook-Zugang

China ist ein Land der extremen Gegensätze: Knapp 500 Millionen Einwohner leben von kargen Einkünften aus der Landwirtschaft. Zugleich gibt es so viele superreiche Aufsteiger wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die Meinungsfreiheit wird in dem kommunistischen Land weiterhin unterdrückt. Seit Mitte 2009 blockiert die Regierung in Peking den Zugang zu Facebook, Twitter & Co.: Die sozialen Medien hätten die Unruhen in der chinesischen Provinz Xinjiang geschürt. In Schanghai soll die Zensur nun gelockert werden – damit sich Ausländer „wie zu Hause fühlen“.

KURIER: Welche Folgen wird die Öffnung Schanghais und Einrichtung einer Freihandelszone haben?

Horst Löchel: Die Freihandelszone wird unmittelbar keine großen real- oder finanzwirtschaftlichen Auswirkungen haben, aber es ist eine Botschaft, ein Symbol: Die Regierung will Schanghai weiter als internationales Finanzzentrum ausbauen und ihr Finanzsystem, insbesondere ihre Währung, den Renminbi, weiter internationalisieren. Wie rasch und wie weit das gehen wird, ist noch nicht absehbar."

Welche Erleichterungen darf sich ein westliches Unternehmen dadurch erwarten?

Die Details sind noch nicht bekannt. Der bürokratische Apparat für grenzüberschreitende Transaktionen verschlingt momentan enorm viele Ressourcen. Würde das verschlankt, wäre schon viel gewonnen: Beispielsweise die freie Konvertierbarkeit des Renminbi oder die Möglichkeit für ausländische Unternehmer, sich an der Börse in Schanghai zu listen bzw. als Ausländer chinesische Aktien zu kaufen. Das ist derzeit nur für Ausgewählte möglich."

Erwarten Sie Folgen oder gar Konkurrenz für Hongkong?

Schanghai ist unbestritten das Finanzzentrum des chinesischen Festlandes. Allerdings ist Hongkong als internationales Finanzzentrum Shanghai um viele Jahre voraus. Das ist noch ein langer Weg.

Muss sich Singapur Sorgen machen?

Singapur muss sich als nicht-chinesischer Standort womöglich tatsächlich größere Gedanken machen. Der internationale Stellenwert könnte gefährdet sein, wenn Schanghai jemals völlig geöffnet werden sollte.

Wie kann eine Teil-Freigabe der Landeswährung Renminbi funktionieren?

Der Renminbi ist weit davon entfernt, eine völlig frei handelbare Währung zu sein. Dazu müsste er frei umtauschbar sein, es dürfte keine Kapitalverkehrskontrollen geben, der Wechselkurs müsste frei auf dem Markt gebildet werden. All das ist in China nicht erfüllt, aber erste Schritte sind erkennbar: China hat beispielsweise eine schrittweise Flexibilisierung des Wechselkurses begonnen und baut in der Welt sogenannte Offshore-Zentren für den Renminbi auf.

Wie einfach wäre es, die Markt-Öffnung von Schanghai auf den Rest Chinas auszuweiten?

Auf andere Städte schon. Die Chinesen neigen nicht dazu, das übereilt zu machen, aber Städte wie Shenzhen oder Peking würden sich als nächste Freihandelszonen anbieten, wenn das gut läuft.

Wie stabil sind Chinas Banken?

Die fünf größten Banken sind in Staatshand, das darf man nicht vergessen. Damit sind sie finanziell auf der sicheren Seite, sollte es zu Schwierigkeiten kommen. Allerdings ist das Geschäftsmodell der chinesischen Banken nicht gerade wettbewerbsintensiv: Die Zinssätze waren festgesetzt, somit war die Zinsspanne fix - etwa doppelt so hoch als bei westlichen Banken. Das war ein Anreiz, viele Kredite zu vergeben. Nach dem Ausbruch der Krise 2008 und 2009 wurde die Krediteflut sogar von der Regierung gewollt - sie ebbt erst jetzt erst allmählich ab. Auf Risiken wurde dabei nicht so sehr geachtet. Angesichts dieses Modells kann man gut verstehen, dass die großen, chinesischen Staatsbanken bisher nicht gerade als Vorreiter bei Reformen im Finanzsektor aufgefallen sind. Es wird spannend sein zu sehen, wie die chinesische Regierung und die zuständigen Behörden diesen Konflikt entschärfen, wenn es zu weiteren Liberalisierungen und Internationalisierung kommt.

Die Webseiten von Facebook, Twitter, New York Times werden in China zensuriert bzw. gesperrt. In Schanghai sollen sie künftig zugänglich sein. Könnte die Lockerung der Internet-Zensur soziale Auswirkungen für den Rest Chinas haben?

Die Menschen haben bereits Internet-Zugang, wenn auch nicht zu allen Seiten. Große soziale Auswirkungen sehe ich nicht, wenn nun drei Seiten mehr zugänglich sein sollten. Dennoch ist es ein Fortschritt und zeigt, dass China auf dem richtigen Weg ist.

Zur Person

Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management und ein ausgewiesener China-Experte und Schanghai-Kenner: Er ist Gastprofessor an der China Europe International Business School (CEIBS) in Schanghai. Dort hat er zudem von 2003 bis 2009 das Shanghai International Banking and Finance Institute (SIBFI) aufgebaut und bis 2012 als Aufsichtsratsvorsitzender geführt. Von 2008 bis 2012 leitete er ein von der Europäischen Union finanziertes EU-China-Business-Management-Training-Projekt.