China: Giftmord und Polit-Intrige
Von Caecilia Smekal
1.100 Kilometer ist Hefei, die Hauptstadt der chinesischen Provinz Anhui, von Peking entfernt. Weit weg von der Macht des kommunistischen Politbüros. Wenn Gu Kailai am Donnerstag im grauen Gerichtsgebäude der Stadt aussagt, soll es wie ein alltägliches Strafrechtsverfahren aussehen. Die Parole lautet: Der Prozess hat mit Politik nichts zu tun. Gu aber ist die Ehefrau des ehemals mächtigen KP-Spitzenfunktionärs Bo Xilai. Und der hat sich in der Partei viele Feinde gemacht.
Die 53-jährige ehemalige Anwältin steht wegen Mordes am britischen Geschäftsmann Neil Heywood vor Gericht. Sie soll ihren ehemaligen Vertrauten zusammen mit einem Hausangestellten vergiftet haben. Gu habe sich mit Heywood gestritten – über Geld, Vertrauen und über die Sicherheit des Sohnes von Gu und Bo, der in Großbritannien an Eliteschulen studiert. Heywood hatte ihm den Weg nach Oxford geebnet.
Später, nach den Streitigkeiten mit der einflussreichen Familie, habe sich Heywood nicht mehr sicher gefühlt, schreibt das Wall Street Journal. Der in China lebende Brite wurde im vergangenen November tot in einem Hotelzimmer aufgefunden. Die Behörden ließen ihn ohne Obduktion einäschern und erklärten Alkoholmissbrauch als Todesursache.
Doch dann nahm der Fall eine überraschende Wendung: Der Polizeichef von Chongqing, Wang Lijun, einst engster Mitarbeiter von Bo Xilai, flüchtete in ein US-Konsulat und sagte dort, die Ehefrau seines Chefs habe den Briten ermordet. Seit er diese Information habe, fürchte er um sein Leben, sagte Wang.
Bo Xilai – ein "Prinzling" der Partei mit besten Aussichten, beim Generationenwechsel im Herbst in den innersten Machtzirkel der KP zu gelangen (siehe unten) – wurde sofort entmachtet, Gu angeklagt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua will bereits wissen, dass es "unwiderlegbare Beweise" gebe; manche meinen, das Urteil sei bereits in Peking gefallen.
Sturz
Auch dem Erfolgspaar – beide ehrgeizige Abkömmlinge der KP-Aristokratie – blieb ein harter Fall nicht erspart. Gu, Tochter eines angesehenen Generals, droht die Todesstrafe. Details wurden öffentlich über Depressionen und Paranoia, über ihre Angst, von Freunden betrogen zu werden. Einst wurde sie von Medien zur "Jackie Kennedy Chinas" stilisiert, nun zur "Lady Macbeth".
Die Juristin war früher sehr erfolgreich: Schnell stieg sie zu einer der führenden Anwältinnen Chinas auf, auch international war sie gefragt. Ihr Buch "So gewinnt man einen Rechtsfall in den USA" wurde zum Bestseller, seit Gu hinter Gittern sitzt. Die 53-Jährige hat nach Angaben Bos ihre glänzende Karriere auf Eis gelegt, um den Ehemann als Spitzenpolitiker zu unterstützen. Doch laut Medienberichten beriet sie weiter ausländische Geschäftsleute, die im China der Boom-Jahre ihr Glück versuchen wollten. Auch Heywood war in dieser Branche tätig, doch über das Verhältnis der beiden gibt es nur Spekulationen.
"Ich glaube daran, dass die Fakten für sich sprechen werden", sagt Gus Sohn Bo Guagua, um den sich der Streit gehandelt haben soll, zu CNN. Er ist nun Gus einzige Hoffnung: Falls die Staatsanwaltschaft einräumt, sie habe eine Verzweiflungstat aus Sorge um ihren Sohn begangen, entgeht sie der Todesstrafe.
Das ist auch, was sich die Führung in Peking wünscht: Ein gnädiges Verfahen gegen eine unpolitische Mörderin. Ehemann Bo könnte überhaupt verschont bleiben, trotzdem wäre er aus dem Weg geräumt und der Fall bis zum Herbst, dem großen Wechsel in der KP, abgehakt.
Hintergrund: Bo Xilai geriet im Machtkampf unter die Räder
Die Weichen, wer im Herbst in der KP-Führung die Zügel übernimmt, sind längst gestellt: Aller Voraussicht nach wird Hu Jinato seine Macht an Xi Jinping abgeben. Hundertprozentig sicher aber ist, dass Bo Xilai keine hohe Position mehr im neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros bekommt.
Dem Eklat von Bos Entmachtung und dem Prozess gegen seine Frau ist ein langer Richtungskampf in der KP vorausgegangen. Bo war als Vertreter des linken Flügels mit maoistischer Tradition der Elite rund um Hu Jintao ein Dorn im Auge. Die marktorientierte Führung hatte sich auf die Mittelschicht konzentriert, Bo auf die sozialen Probleme der Modernisierungsverlierer.
"Bo hat den alten Maoismus wieder hoffähig gemacht und die Kulturrevolution nostalgisch besetzt. Das hat nicht allen gefallen", so die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik von der Universität Wien. Zudem habe er sich als Parteichef der Metropole Chongqing Feinde gemacht: Von seinem harten Durchgreifen gegen Korruption fühlten sich auch einige in der Elite bedroht.
So entfaltete sich ein Machtkampf unter den "Prinzlingen", den Nachfahren der Revolutionshelden. In der KP ist die Nachfolge nicht per fixem Prozedere geregelt. Die Familien der Obersten leiten ihre Machtansprüche daraus ab, wie früh ihre Vorfahren sich der Revolution angeschlossen hatten. Mit Bo Yibo als Vater, einem der "acht Unsterblichen" der KP, galt Bo Xilai lange als unantastbar und als sicherer Kandidat für den mächtigen Ausschuss.
Nun aber sah die KP-Führung in dem Prozess gegen Bos Frau Gu die günstige Gelegenheit, den charismatischen Populisten loszuwerden. "Die Elite will Bo aber nicht zum Märtyrer machen. Deshalb könnte es sein, dass er hinterher wieder ein Angebot erhält", so Weigelin-Schwiedrzik. "Gu könnte eine milde Strafe erhalten und ihr Mann einen kleineren Posten bekleiden. Damit wäre der Fall für die Führung ausgestanden. Das heißt aber nicht, dass der Machtkampf damit beendet ist."