„China bleibt größter Automarkt“
Von Horst Bauer
Beim zweiten Nio-Day, der nach Peking im Vorjahr heuer in Schanghai begangen wurde, stellte das chinesische Elektroauto-Start-up - bei dem die Villacherin Angelika Sodian (inzwischen verheiratete Angelika Berger-Sodian) eine bedeutende Rolle im internationalen Management spielt) - mit dem Elektro-SUV namens ES6 sein drittes Modell vor. Und damit das erste, das von seinen Abmessungen her (4,85 m lang) auch auf dem europäischen Markt funktionieren könnte.
Wie weit man davon entfernt ist, wieso der erstmals schrumpfende chinesische Automarkt kein Problem darstellt und was die Autobranche von der Kaffehaus-Kette Starbucks und den Allianzen der Airlines lernen kann, darüber sprach Horst Bauer mit Nio-Gründer und Vorstandschef William Li.
KURIER: Wie steht es mit den Plänen zur Internationalisierung der Marke Nio? William Li: Als kleiner und junger Hersteller müssen wir diesen Schritt ganz genau vorbereiten. Zuerst sammeln wir Erfahrungen hier in China, wo wir heuer bereits knapp 10.000 Stück unseres ES8 (luxuriöser, über 5 m langer Elektro-SUV, Anm.d Red.) verkauft haben. Zudem müssen wir prüfen, wie wir unser Geschäftsmodell an andere Märkte anpassen können, das in China zu 60 Prozent auf dem Datenverkehr mit den Nutzern unserer Autos basiert. Dazu haben wir vor zwei Monaten einen Vertrag mit der norwegischen E-Auto-Vereinigung abgeschlossen. Aber da wir erst über Projekte reden, wenn wir genau wissen, wie wir sie umsetzen wollen, lässt sich derzeit noch nicht mehr darüber sagen. Außer, dass wir an dem grundsätzlichen Plan, mit Nio auch nach Europa und in die USA gehen zu wollen, nichts ändern.
Planen Sie auch einen Produktionsstandort in Europa, wenn Nio dort erst einmal auf dem Markt ist? Für den Start werden wir sicher aus China exportieren, wo die Autos beim Hersteller JAC in unserem Auftrag gebaut werden. Erst wenn wir eine gewisse Größe auf dem Markt erreicht haben, können wir uns einen Produktionsstandort in Europa überlegen. Wir werden aber sicher kein neues Werk bauen, sondern mit einem lokalen Partner kooperieren, wie wir es eben auch in China machen.
Wie sehr besorgt Sie der heuer erstmals seit seinem Bestehen schrumpfende Automarkt in China?
2017 wurden hier mit 28 Millionen Autos rund 10 Millionen mehr verkauft als im historischen Rekordjahr in den USA. Das war einfach zu viel für diesen Markt und seine Infrastruktur. Der Rückgang heuer bedeutet also nur eine Anpassung an normalere Werte, die für diesen Markt meiner Ansicht nach bei rund 20 Millionen pro Jahr liegen. Ich bin überzeugt davon, dass China der größte Automarkt der Welt bleiben und in den nächsten Jahren auch wieder wachsen wird. Aber eben nicht so überhitzt.
IT-Unternehmen wie Google oder Apple drängen massiv ins Autogeschäft. Wie lange werden sich die klassischen Autohersteller noch halten können?
Die Autoindustrie steht durch die Entwicklungen der Digitalisierung und des autonomen Fahrens in der stärksten Umbruchphase ihrer langen Geschichte. IT-Unternehmen investieren zwar in die Branche und beteiligen sich bei Autoherstellern. Sie werden diese aber nicht übernehmen, weil sie viel zu wenig Erfahrung im enorm komplizierten Management der Liefer- und Ersatzteilkette haben. Das haben die Autohersteller über hundert Jahre lang gelernt, die IT-Branche ist dafür mental nicht vorbereitet. Daher haben wir uns etwa entschlossen, kein eigenes Werk zu bauen, sondern die Produktion jenen zu überlassen, die damit ausreichend Erfahrung haben.
Wie viele Hersteller werden diesen Umbruch überleben?
Für mich ist der einzige Weg, diese großen Herausforderungen zu meistern, die Formung von Allianzen. Das wird nach dem Muster der Fluglinien mit Zusammenschlüssen wie Star Alliance oder One World passieren, wo sich am Ende ein paar große Zusammenschlüsse von Auto-Herstellern auf dem Weltmarkt konkurrenzieren werden.
Welche Rolle spielen die Nio-Häuser, die sie in vielen Städten Chinas bereits eröffnet haben und die exklusiv für Nio-Kunden geöffnet sind?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel für unsere Idee dahinter. China ist ein Land von Teetrinkern und dennoch hat es die Kaffehaus-Kette Starbucks geschafft, hier Fuß zu fassen. Und das eben nicht vornehmlich, weil sie Kaffee verkaufen, sondern weil sie den Kunden in ihren Filialen eine Art Wohnzimmer bieten, in das sie sich vor der Hektik auf den Straßen zurückziehen und Gleichgesinnte treffen können. Daher verkaufen auch wir nicht nur ein Auto, sondern haben mit den Nio-Häusern, von denen wir bis Ende nächsten Jahres 70 eröffnet haben werden und zu deren Club-Bereichen nur Nio-Kunden Zutritt haben, ein Angebot für ein angenehmeres Leben geschaffen. Und bauen darüber hinaus mit unserer Nio-App, die bei derzeit rund 10.000 verkauften Autos täglich rund 200.000 Nutzer hat, eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten auf, die damit auch untereinander kommunizieren. Wir bieten also in erster Linie die Chance auf eine angenehmeres Leben und eine Gruppenzugehörigkeit an, nicht einfach nur ein Auto.
Was machen Sie mit den Batterien, wenn sie wegen ihres Leistungsabfalls nicht mehr in Autos eingesetzt werden können?
In der Geschichte des Autos hat es noch nie so eine dominante und teure Einzel-Komponente gegeben wie es der Batteriesatz eines Elektroautos darstellt. Daher überlegen wir uns, wie wir das volle Potenzial der Akkus über deren gesamte Lebensdauer nutzen und deren Einsatzfeld diversifizieren können. Wir wollen den Batteriesatz, wenn er nicht mehr leistungsfähig genug für den Einsatz im Auto ist, teilen, um die kleinen Einheiten in den in China zahlreichen Elektro-Lastendreirädern weiter verwenden zu können. Das würde darauf hinauslaufen, dass man als Kunde nur das Fahrzeug kauft und die Batterie dazu jeweils bei einer unserer Batterietausch-Stationen mietet.
Was hat Sie als jemanden, der als junger IT-Unternehmer sehr erfolgreich war, dazu gebracht, eine Autofirma zu gründen?
Die Idee für ein Premium-Elektro-SUV ist mir 2012 in einer besonderen Phase meines Lebens gekommen. Nachdem ich mich nach dem Soziologiestudium vor allem mit Medien beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, dass sich durch die Digitalisierung auch das Vertriebs- und Geschäftsmodell der Autoindustrie tiefgreifend ändern wird. Das hat mich vor allem interessiert, nicht das Auto an sich. Zudem bin ich damals zum ersten Mal Vater geworden, was mir bewusster gemacht hat, wie schlecht die Luft in Peking ist. Daher habe ich dann 2014 die Firma gegründet, um die Situation verbessern zu helfen. Was auch zu unserem Firmenlogo und dem Kernsatz „Blue sky coming“ (Blauer Himmel wird kommen) geführt hat.
Über Nio:
Das von William Li 2014 gegründete Unternehmen verkauft bereits drei Serienmodelle: den zweisitzigen Sportwagen EP9, den SUV ES8 und nun auch den kleineren ES6, der ab Juni ausgeliefert wird. Im Jahr 2018 lieferte Nio 11.348 E-Autos aus. Der Konzern, an dem sich die Internetkonzerne Tencent und Baidu sowie einige Investmentfirmen beteiligten, ging im Oktober 2018 an die New Yorker Börse. mit den eingesammelten 1,8 Mrd. Dollar soll die weitere Expansion finanziert werden.
Über William Li:
Der aus einem Bauerndorf stammende 43-jährige besitzt heute dank des Aufbaus erfolgreicher Start-ups rund 1,2 Mrd. Dollar und gilt als Chinas Elon Musk.
Die Reise nach Peking erfolgte auf Einladung von Nio.