Wirtschaft

China als Epizentrum für Börsebeben

An den Aktienbörsen rund um den Globus fühlte es sich so an, als stecke die Welt des Geldes mitten einer heftigen Finanzkrise. Praktisch überall rauschten die Kurse rasant in die Tiefe – noch rascher als am Freitag. Der Auslöser der Bebenwellen war erneut China. In Schanghai stürzten die Kurse um 8,49 Prozent, in Shenzhen um 7,83 Prozent ab. Nach dem Motto "Peking wird’s schon richten" hatten die Anleger dort gehofft, dass Regierung und Nationalbank übers Wochenende zu Hilfe eilen würden, um die Börsen zu stabilisieren. Es kam auch zu einem staatlichen Eingriff: Chinesischen Pensionsfonds wurde erlaubt, künftig auch in Aktien zu investieren. Den Anlegern war das aber zu wenig, sie hatten auf mehr gehofft – und stießen reihenweise Aktien ab.

Gesichter sagen mehr als tausend Kurse

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Angst ist es aber nicht allein, was die Chinesen zum Verkaufen zwingt. Viele ihrer Aktieninvestments sind mit Krediten finanziert. Fallen die Kurse, müssen sie verkaufen, wenn sie bei ihren Banken keine neuen Sicherheiten vorweisen können.

In Europa und – durch die Zeitverschiebung später – auch in den USA lösten die heftigen Verluste in China beinahe Panikreaktionen an den Börsen aus. Der Frankfurter Leitindex DAX etwa rauschte um bis zu sieben Prozent in die Tiefe, sämtliche 30 DAX-Werte wiesen bei Börsenschluss ein Minus auf.

Ebenso erging es den 20 Werten im Wiener ATX. Praktisch quer durch Europa gab es Verluste von durchschnittlich fünf bis sechs Prozent. Die US-Börsen eröffneten ebenfalls mit massiven Verlusten, im Handelsverlauf schmolzen diese etwas. Bei Börsenschluss hielt der Dow-Jones-Index bei einem Minus von 3,58 Prozent.

Beschwichtigung

"Die Konjunkturprobleme kriegt China in den Griff. Da gibt es noch viele Mittel", sagte Horst Löchel, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management und ausgewiesener China-Experte, kürzlich im KURIER-Interview. Martin Glatz, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Peking, bleibt mit Blick auf die Aktienmärkte ebenfalls gelassen. Nach den heuer heftigen Kurssteigerungen "kommt das jetzt nicht wirklich überraschend". Die Börsen in China seien wegen des hohen Anteils an privaten und kleinen Investoren immer schon riskanter gewesen als bei uns.

Tatsächlich schaut es so aus, als ob aus der chinesischen Aktienblase Luft abgelassen wurde. Im Vergleich zum Jahreswechsel sind die Börsen von Schanghai und Shenzhen jetzt hauchdünn im Minus. Für die vergangenen zwölf Monate können sie aber immer noch Gewinne von 57 bzw. fast 49 Prozent vorweisen.

Massiver Umbau

China steckt mitten im Umbau von der verlängerten Werkbank der Welt zu einem Wirtschaftssystem, das mehr auf Inlandskonsum setzt. "Es bestehen Überkapazitäten und jetzt wird die Effizienz gesteigert", sagt Wirtschaftsdelegierter Glatz. Alte Industrien würden einfach geschlossen – weil die Lohnkosten gestiegen sind und die Umweltauflagen verschärft wurden. Offen ist, ob China mitten in diesem Umbau die geplante Wachstumsrate von sieben Prozent schaffen kann.

Fällt China als Abnehmer von Waren aus Europa teilweise aus, sei das ganz gut zu verkraften, meinen die meisten Ökonomen. Der Export-Boom nach China sei ohnehin schon länger vorbei. Vielmehr profitiere Europa jetzt von den tiefen Ölpreisen, der Konsumenten mehr Geld für andere Ausgaben beschert. Die heftigen Reaktionen an den Börsen halten etliche Experten für übertrieben. Angst könnte aber weitere Verluste auslösen.

Die Lager sind übervoll und jetzt schwächelt mit China ausgerechnet der größte Ölverbraucher der Welt. Geringeres Wachstum heißt auch geringerer Energieverbrauch. Was der Umwelt nutzt, sorgt an den Rohstoff-Börsen für Panik und beschleunigt die Talfahrt bei den Ölpreisen. Am Montag rutschte der Preis für ein Fass (159 Liter) der Nordseesorte Brent auf unter 44 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit März 2009. Die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) fiel sogar unter die 40-Dollar-Marke.

Schon seit Anfang Juli geht es mit den Öl-Preisen bergab. Ursache ist auch ein zu hohes Angebot auf dem Weltmarkt. Vor allem die hohen Fördermengen der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) und die Schieferölproduktion in den USA – Stichwort "Fracking" – sorgen für eine weltweite Ölschwemme. Dazu kommt, dass der Bedarf in vielen Schwellenländern wegen der mauen Konjunktur weiter nachlässt.

Ein Ende der Talfahrt ist laut Rohstoffexperten der Commerzbank nicht in Sicht. Ihrer Einschätzung nach kehren spekulative Finanzanleger dem Ölmarkt "weiter fluchtartig den Rücken und verstärken damit den Preisrückgang". Das bekommen auch die Ölwerte wie Chevron, Exxon Mobil oder die heimische OMV zu spüren, deren Aktienkurse am Montag deutlich nachgaben.

Rubel-Absturz

Die Talfahrt beim Ölpreis, aber auch die negative Entwicklung in China erweist sich als Giftcocktail für den Ölproduzenten Russland. Die russische Währung Rubel fiel am Montag auf den niedrigsten Stand in diesem Jahr. Der Euro überschritt erstmals seit vergangenem Dezember wieder die 80-Rubel-Marke und lag bei bis zu 83 Rubel. Die russische Zentralbank bereitet derzeit Maßnahmen zur Stützung des Rubel-Kurses vor. So sollen etwa die wichtigsten Exporteure ihre Devisenreserven auf den Markt werfen.