An den Börsen geht die Angst um: Konjunktursorgen schicken Aktien auf Talfahrt
Von Michael Bachner
Am Montag wurden Erinnerungen an den "Schwarzen Montag" 1987 wach. Damals fand eine lange Phase immer nur steigender Kurse ein jähes Ende und schickte die wichtigsten Börsen weltweit auf Talfahrt. Es war der erste Börsencrash nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals verlor etwa der japanische Leitindex Nikkei an einem Tag 14,9 Prozent.
Am heutigen Montag waren es in Tokio "nur" 12,4 Prozent. Zwischenzeitlich musste der Handel wegen der starken Kursausschläge sogar unterbrochen werden. Und wieder war es jene fatale Mischung aus mehreren Faktoren, die dazu angetan ist, ein weltweites Beben an den Märkten auszulösen.
Insbesondere ein weit hinter den Erwartungen gebliebener Arbeitsmartktbericht in den USA ließ dort schon am Freitag die Konjunktursorgen der Anleger neu aufflammen und schickte insbesondere die lange Zeit hochgejubelten Technologie-Aktien weit in den Minus-Bereich. Einzelne Unternehmen wie Intel hatten zudem enttäuschende Quartalsergebnisse vorgelegt, was den Abwärtstrend verstärkte. Es mussten auch wirkliche US-Tech-Schwergewichte wie Amazon und Microsoft nach der Vorlage ihrer Quartalszahlen-Zahlen erhebliche Kursverluste hinnehmen.
Kurz nach Handelsstart am Montag ging es für den US-Leitindex Dow Jones um starke 3,07 Prozent auf 38.519,17 Punkte abwärts, nachdem er bereits am Freitag um 1,5 Prozent an Wert eingebüßt hatte. Der S&P-500 reduzierte sich in den ersten Handelsminuten um weitere 3,81 Prozent auf 5.143,02 Zähler. Der Nasdaq Composite brach gar um 4,98 Prozent auf 15.940,43 Einheiten ein. Hier betrug das Minus zum Wochenausklang 2,4 Prozent. Seit dem Jahresbeginn liegt er trotz der jüngsten Talfahrt aber immer noch sieben Prozent im Plus.
Damit die US-Wirtschaft kurz vor der Präsidentenwahl jetzt keine harte Landung erfährt, dürfte die US-Notenbank Fed schon im September mit einer größeren Zinssenkung um 0,5 Prozentpunkte starten und in zwei weiteren Sitzungen im Herbst jeweils 0,25 Prozent nachlegen, erwartet Finanzmarktexperte Peter Brezinschek.
Auch Börsen in Europa spüren Auswirkungen
Auch an den Börsen in Europa gehen die negativen Vorgaben aus den USA vom Freitag und Asien vom Montag natürlich nicht spurlos vorbei. Der deutsche Leitindex sackte bis 14 Uhr fast drei Prozent auf 17.146 Punkte ab und ist damit nun zurück auf dem tiefsten Stand seit Februar.
An der Wiener Börse gab der ATX 3,5 Prozent (Stand 14 Uhr) nach, nur zwei Werte - CA Immo und Immofinanz - konnten zulegen. Am negativen Ende des Kurszettels fanden sich einmal mehr die Papiere des Leiterplattenherstellers AT&S, die rund sechs Prozent einbüßten.
Wie auch bei Infineon (minus 2,6 Prozent) wirkt der allgemeine Negativ-Sog, ausgelöst von den stark überbewerteten US-Tech-Werten wie Nvidia & Co. Es regiert momentan die Angst, dass der Hype um die künstliche Intelligenz möglicherweise übertrieben war und wieder einmal eine Blase platzt. Doch Experten wollen nicht den Vergleich mit dem überhitzten Tech-Aktienmarkt im Jahr 2000 ziehen, der in dem Platzen der dot.com-Blase gipfelte, denn die heutigen Tech-Werte schreiben allesamt Gewinne. Dennoch sind die Bewertungen der Aktien den dahinter liegenden realen Werten auf und davon gallopiert.
KI bleibt Megatrend
Brezinschek sagt dazu: "Nein, es platzt keine Blase. KI ist ein Megatrend auch für die nächsten 10, 15 Jahre. Was wir hier sehen, ist ein plötzlicher Abverkauf, der aber durchaus nicht aus der Luft gegriffen ist. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass hohe Investitionen in neue Technologien eben länger brauchen, bis sie sich in entsprechenden Gewinnen niederschlagen."
Fest steht, die Begeisterung für KI ist abgekühlt. Sie war der zentrale Treibstoff für die Kursrally der vergangenen Monate. Dieser Faktor ist nun mehr oder weniger weggefallen. ein Treibstoff für die jüngste Rally diesseits des Atlantiks erst einmal weggefallen ist. "Das Wachstum im Bereich KI kommt mit enormen Kosten daher, was die Margen der Unternehmen schmälert und hohe Aktienbewertungen plötzlich als übertrieben erscheinen lässt", sagt auch Jochen Stanzl, Marktanalyst vom Handelshaus CMC Markets.
Die Anleger werden sich in den nächsten Wochen und Monaten wohl auf eine Achterbahnfahrt an den Börsen einstellen müssen. Riskantere Anlageformen werden derzeit gemieden, besonders riskante Formen wie Bitcoin verlieren schon massiv. Neben den Konjunktur- und Zinssorgen wirkt natürlich auch die Angst vor einer weiteren Eskalation im Nahen Osten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines iranischen Angriffs auf Israel sind kaum auszudenken. Schon jetzt ist die Nervosität der Anleger wieder ähnlich hoch wie zuletzt in der Corona-Krise, was sich an der Volatilität der Kurse ablesen lässt.
Starke Nerven gefragt
"Erst einmal scheinen starke Nerven gefragt zu sein", schreibt Aktienstratege Markus Reinwand von der Landesbank Hessen-Thüringen. Allerdings könnte die Korrektur gerade bei den hochbewerteten Technologie-Werten eine allgemeine Überhitzung des Markts vermeiden. "Vielleicht hilft es da, sich zu vergegenwärtigen, dass Aktien ein mittel- bis langfristiges Anlageinstrument sind", sagt der Experte. Schließlich hatte der DAX 2009 zeitweise unter 3.600 Punkten notiert. Damals erlebten die Anleger am Aktienmarkt den Tiefpunkt der Finanzkrise; seitdem hat sich das Börsenbarometer fast verfünffacht.
Brezinschek ist für das zweite Halbjahr nur verhalten optimistisch. "Die Vorlaufindikatoren deuten eher auf Stagnation hin und zusammen mit den steigenden Lohn- und Lohnstückkosten bedeutet das ordentlichen Druck auf die Gewinnmargen der Unternehmen."