Wirtschaft

Börse Wien seit 2002 erfolgreicher als Frankfurt

Birgit Kuras, die im März in den Vorstand der Börse eingezogen ist, über die Chancen für Anleger und Emittenten, die Wichtigkeit von Eigenkapital für die gesamte Volkswirtschaft und hinderliche Steuern.

KURIER: Der Leitindex ATX hat sich heuer gut geschlagen. Wie liegt er im Vergleich?
Birgit Kuras:
Wirklich sensationell. Die Dividenden eingerechnet hat er heuer fast 32 Prozent gewonnen. Damit liegt er sogar besser als der Frankfurter DAX. Und weit vor dem Dow Jones, der um 9,0 Prozent gestiegen ist. Wir hatten eine Renaissance der Aktie, aber keiner hat’s bemerkt.

Irgendwer muss doch aber gekauft haben ...
Das ist ein typischer Ablauf. Zuerst betreiben institutionelle Großanleger Stock Picking, dann investieren sie breiter. Dann erst kommen die Privatanleger. Heuer war schon noch das Jahr des Stock Pickings.

Die Handelsumsätze in Wien sind stark zurückgegangen. War es bei den Stückzahlen auch so schlimm?
Die Anzahl der Transaktionen ist bei Weitem weniger stark gesunken. Bei den Handelsumsätzen dürfte das Tief im Sommer gewesen sein. Im Juli waren es knapp 2,3 Milliarden Euro, im November 2,6 Milliarden.

Ist bei internationalen Präsentationen schon mehr Interesse an der Wiener Börse zu merken?
US-Investoren waren vor ein paar Monaten noch sehr, sehr skeptisch, was Europa betrifft. Das hat sich sehr geändert, es gibt bereits großes Interesse. So wirklich zugeschlagen haben sie aber noch nicht. Das wird noch kommen – auch deshalb, weil Amerika selbst massiv an Schwung verloren hat.

Etliche Börsen haben jetzt Fünf-Jahres-Höchststände erreicht. Wien ist weit davon entfernt. Woran liegt das?
Man darf nicht vergessen, dass sich die Wiener Börse ganz anders entwickelt hat. Bis 2007 hat die Ostfantasie den ATX hochgetrieben. Danach wurde das Ostengagement der heimischen Unternehmen als Belastung betrachtet, mit dem ATX ging es runter. Im Vergleich eines längeren Zeitraums schaut es ganz anders aus. Seit Anfang 2002 hat der ATX etwa 107 Prozent gewonnen, der DAX nur 47 Prozent.

Sind österreichische Aktien jetzt schon zu teuer?
Nein, durchaus attraktiv. Von den Bewertungen her ist das sicher spannend. Wir liegen bei einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von durchschnittlich 0,9. Das heißt, der Kurs liegt unter dem Buchwert. Beim DAX macht dieses Verhältnis 1,4 aus.

Woran hapert es dann?
In Krisenzeiten wird das Research (Aktienanalyse, Anm.) bei kleineren Titeln natürlich schneller eingestellt als bei großen Titeln. Nur ein Vergleich: Nestlé hat einen Börsenwert von 160 Milliarden Euro, die ganze Wiener Börse hat 70 Milliarden. Wir haben sehr, sehr viele Weltmarktführer in Nischen, das ist eine tolle Sache in Österreich. Aber ohne Research gibt es keine Investoren und ohne Investoren keine Liquidität. Es geht um die nachhaltige Betreuung von Emittenten. Das muss gefördert werden.

Durch Förderung von regelmäßigen Aktienanalysen?
Ja, wir brauchen auch Förderungen für IPO (Börsenneuzugänge, Anm.).

In den letzten Jahren hat es mit der Amag nur einen Börsengang gegeben. Wäre bei den steigenden Kursen heuer nicht ein gutes Zeitfenster gewesen?
Ja, aber die Unternehmen sind sehr vorsichtig, was das weitere Wachstum betrifft. Sehr wohl gab es aber großes Interesse an Fremdkapital. Bei den Corporate Bonds war heuer wirklich ein Boomjahr mit 27 Anleihen. Das ist der erste Schritt auf den Kapitalmarkt. Eigenkapital wird aber jetzt auch zunehmend interessanter. Bei den IPO-Workshops verzeichnen wir Rekordanmeldungen.

Die Kursgewinnsteuer hat die Handelsumsätze kräftig nach unten gedrückt. Wie wird sich die Finanztransaktionssteuer auswirken?
Man weiß ja noch immer nicht, wie die funktionieren soll. Alles, was beunruhigt, ist schlecht für den Kapitalmarkt. Wenn die Steuer kommt, dann sollte sie nur für die außerbörslichen Umsätze gelten. Wenn schon die Börsenumsätze besteuert werden, dann sollte die Steuer für das Außerbörsliche höher sein. Das hätte wenigstens Lenkungseffekte. Nur die Börse zu besteuern, wäre ein Albtraum.

Was wünschen Sie sich noch von der Regierung?
Dass es wieder einen Kapitalmarktbeauftragten der gesamten Regierung gibt. Es gibt zum Thema Kapitalmarkt so viele Interessen, die müssen gebündelt werden. Und es muss klar gemacht werden, dass die Marktkapitalisierung von Börsen zu den Wohlstandsziffern gehört. Corporate Bonds sind ein erster Schritt, können aber kein Ersatz für Eigenkapital sein.

Zur Person: Birgit Kuras

Karriere
Die 1957 in Wien geborene Birgit Kuras startete nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien 1984 in der Aktienanalyse der Raiffeisen Zentralbank (RZB). Nach mehreren Karriereschritten bei Raiffeisen war sie zuletzt Chefanalystin bei der RZB- Tochter Raiffeisen Centrobank und leitete dort zwei Abteilungen.

Privat
Kuras ist verheiratet und hat eine 25-jährige Tochter. In ihrer Freizeit geht sie gerne ins Theater.

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