AK-Chef Kaske: "Bildung ist wie eine Schutzimpfung"
Von Christine Klafl
Die Horrorvision von unzähligen Robotern, die mehr und mehr Arbeitsplätze übernehmen, ängstigt viele Beschäftigte. Mit Qualifizierung wird der Mensch die Maschinen kontrollieren und nicht umgekehrt, sagt Rudolf Kaske, Präsident der Arbeiterkammer. Er fordert ein Bündeln der Geldmittel und ein Recht auf eine Bildungswoche pro Jahr, um für die Digitalisierung gerüstet zu sein.
KURIER: In der U-Bahn auf dem Weg zu Ihnen waren die meisten Menschen auf ihr Smartphone konzentriert. Sind wir nicht schon längst im digitalen Zeitalter angekommen?Rudolf Kaske: Beim Wischen sind wir super (lacht). Das Computerzeitalter ist aber noch nicht ganz angekommen. Laut OECD-Studie fehlen 900.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter in Österreich ausreichende Computerkenntnisse.
Aber nicht alles und jeder in der Berufswelt wird digitalisiert ...
Nein, aber vieles. Was hat früher ein Lagerlogistiker gebraucht? Zwei starke Arme, zwei schnelle Beine, eventuell einen Staplerführerschein. Heute braucht er IT-Kenntnisse, damit die Ware just in time raus und rein kann.
Sie haben vor kurzem kritisiert, dass es in Berufsschulen an vielen Ecken fehlt. Was zum Beispiel?
Ich war wirklich erstaunt über die Infrastrukturerhebung des Bildungsministeriums. Die hat gezeigt, dass es in fast der Hälfte der Berufsschulen kein WLAN gibt. Und nur in der Hälfte ist E-Learning umgesetzt. Bei höheren Mittelschulen sind das schon 90 Prozent. Die Berufsschulen müssen sich mehr der Digitalisierung stellen.
Braucht es für mehr Qualifizierung auch mehr Stunden in der Berufsschule?
Bei etlichen Berufen sind es 1260 Stunden in drei Jahren. Das zumindest wollen wir für alle Branchen. Bei der Branche, aus der ich komme, dem Hotel- und Gastgewerbe, sind es nur 1040. Eine Angleichung wäre schon gut. Eine gute Ausbildung ist wie eine Art Schutzimpfung. Sie schützt nicht vor allem, aber sie bietet eine gute Basis, um zu bestehen.
Sollten die Kompetenzen für die digitale Arbeitswelt nicht schon viel früher entwickelt werden?
Ja, sicher, spätestens in der Volksschule. In der Schule sollte mehr auf diese Kompetenzen Wert gelegt werden. Da gehört auch die Ausbildung der Lehrer dazu. Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft.
Wie können Beschäftigte, auch die Älteren unter ihnen, in die digitalisierte Berufswelt hineinwachsen?
Da schlagen wir das Recht auf eine Bildungswoche pro Jahr für alle vor. Auch für die Generation 50+. Qualifizierung muss allen zur Verfügung stehen. Für diese Bildungswoche sollen das Fachkräftestipendium, die Bildungskarenz, die Bildungsteilzeit und das Selbsterhalterstipendium zusammengeführt werden. Es braucht ein System der neuen Chancen. Menschen sollten das Recht haben, die berufsbezogene Qualifizierung einzufordern.
Wie viel an Einkommen können Mitarbeiter erwarten, wenn sie diese Bildungswoche in Anspruch nehmen?
Wir stellen uns ein Qualifizierungsgeld vor, das in jedem Fall existenzsichernd ist. Gelder aus dem AMS und aus anderen Budgets sollen zusammengezogen werden.
Sollen die Unternehmen für das Qualifizierungsgeld mitzahlen?
Wenn die Weiterbildung gut für betriebliche Maßnahmen ist, ja natürlich.
Eine Woche pro Jahr klingt für viele wie ein Fortschritt. Ist es aber für jene, die Bildungskarenz in Anspruch genommen haben, nicht ein Rückschritt?
Bei längerfristigen Geschichten sollte die Weiterbildungswoche angespart werden können. Zum Beispiel über fünf Jahre hindurch. Die Weiterbildungen sollen in einen Kompetenzpass eingetragen werden, um sie beim nächsten Arbeitgeber nachweisen zu können.
Sie sprechen für die Arbeitnehmerseite, aber wären Sie dafür, dass die vielen Ein-Personen-Unternehmen auch ein Recht auf Qualifizierungsgeld haben?
Ja, die EPUs sollten auch von diesen Maßnahmen erfasst werden. Die EPUs machen ja überwiegend Arbeitnehmer-ähnliche Tätigkeiten.
In Zeiten von 4.0 verschwimmen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Wie sehen Sie die künftige Arbeitszeit?
Die Menschen brauchen Freizeiträume, Arbeit und Familie muss vereinbar sein. Genaues zur Arbeitszeit verhandeln die Sozialpartner bis Ende Juni.
Sollten Roboter uns wirklich viele Arbeitsplätze wegnehmen – sind Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Nein. Arbeit fördert auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Arbeit ist sinnstiftend, der Mensch will gebraucht werden. Gesundheit und ein guter Job sind wichtig für die Lebenszufriedenheit. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist keine "Versicherung" mehr, sie schafft Abhängigkeit vom Staat.
Was wird, Ihrer Meinung nach, in Sachen digitaler Arbeitswelt noch auf uns zukommen?
Die Routinetätigkeiten werden von Robotern übernommen. Die Frage wird sein, ob die Maschine den Menschen beherrscht oder umgekehrt. Ich glaube nicht, dass es Massenarbeitslosigkeit geben wird. Aber die Jobprofile verändern sich, siehe Lagerlogistiker.
Infrastrukturminister Leichtfried meint, dass Computerkenntnisse eine wichtige Kulturtechnik sind ...
Online-Banking, Finanz Online, You Tube, Facebook, 3-D-Drucker, selbstfahrende Autos, digitale Preise am Supermarktregal – das alles ist ein ständiger Prozess, der immer schneller wird. Wie gehen wir mit dem Datenschutz um? Das wird ein spannendes Thema.
Ein Aspekt der schönen neuen Arbeitswelt ist, dass der Stresspegel steigt. Und dass es teilweise zur Vereinsamung kommt, weil der nächste Kollege in der Fertigungsstraße viel zu weit weg ist.
Da sind die Betriebsräte gefordert und es sind Betriebsvereinbarungen zu schaffen oder zu adaptieren. Wir sind schon dabei, Betriebsräte zu schulen. Das reicht bis zum Datenschutz der Arbeitnehmer.
Zur Person: Rudolf Kaske
Der Wiener (Jahrgang 1955) absolvierte eine Koch-Lehre im Hotel Intercontinental. Schon damals engagierte er sich in der Gewerkschaft. 1974 startete er eine Gewerkschaftskarriere, Ende 2006 wurde er zum Vorsitzenden der neuen Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida gewählt. Seit März 2013 ist Rudolf Kaske Präsident der Arbeiterkammer. Kaske gilt als Mann mit Handschlagqualität.