Wirtschaft

Ausblick 2017: "In Europa fehlt der Optimismus"

Nach dem Jahreswechsel ist der Blick in die Kristallkugel beliebt – für Finanzexperten sind solche Prognosen Alltag. Der Ausblick auf 2017 jongliert aber mit besonders vielen Fragezeichen. Besonders politisch: Wie wird Trump agieren? Was tun die Briten nach dem EU-Austritt? Wie gehen die Wahlen in Frankreich und Deutschland aus?

Die Strategen von Goldman Sachs Asset Management (GSAM) sehen 2017 als ein Jahr von vier großen Übergangsthemen. Das Zeitalter der Globalisierung werde durch populistische Tendenzen (Brexit, Trump, Wahlen in Europa, Protektionismus) in Frage gestellt. Der Einfluss der Notenbanken gehe allmählich zurück; die Rolle der Geld- bzw. Zinspolitik trete in den Hintergrund, dafür soll die staatliche Fiskalpolitik die Lücke füllen. Vor allem in den USA löse die Sorge vor Inflation die Stagnation als dominierendes Thema ab. Und nach dem Ausschlag in Richtung (Über-)Regulierung könnte das Pendel 2017 wieder stärker in die Gegenrichtung schwingen.

Was bedeutet all das ökonomisch? Bisher schlägt sich die große Unsicherheit kaum auf die Wirtschaftsentwicklung nieder. "Der Wachstumszyklus nach der Krise setzt sich fort", sagt auch Sandra Grabenweger-Straka, Executive Director bei GSAM in Frankfurt. Wie im Vorjahr traf der KURIER die Österreicherin für einen Investment-Ausblick auf das Jahr 2017. (Wie treffsicher die Prognosen von Anfang 2016 waren, lesen Sie unten).

Wie sieht Ihre generelle Erwartungshaltung für 2017 aus?

Die große Überschrift lautet: Der Wachstumszyklus nach der Krise setzt sich fort. Für die globale Wirtschaftsleistung erwarten wir 3,2 bis 3,5 Prozent Plus. Das mag verglichen mit der Vorkrisenphase 2000 bis 2007 wenig erscheinen, liegt aber langfristig im Durchschnitt der 1980er oder 1990er-Jahre.

Wo liegen dabei für Goldman Sachs Asset Management die Investment-Schwerpunkte?

Aktien sind unserer Meinung nach derzeit über Unternehmensanleihen zu stellen, diese wiederum über Staatsanleihen – hier bleiben die Zinsanhebungen in den USA ein Thema. Bei Anleihen hatten wir jahrelang einen Bullenmarkt, einen der längsten seit 1800. Die Herausforderung ist nun für Anleger: Wohin sollen sie sich bewegen? Aktien sind eine Möglichkeit, Schwellenmarkt-Renten eine andere. Hochrisiko-Anleihen haben sich 2016 nach schwachem Start stark entwickelt.

Welche Aktien würden Sie dabei bevorzugen?

Generell sind Aktien bei uns im Portfolio übergewichtet. Kurzfristig Titel aus den USA und Japan, auf Sicht von zwölf Monaten würden wir die USA etwas zurücknehmen, weil in den Bewertungen viel vorweggenommen wurde. Den S&P500-Index sehen wir in drei Monaten bei 2400 Punkten, bis Ende des Jahres bei 2300. In einem solchen Szenario würden wir danach Europa stärker gewichten.

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Wie erklären Sie sich die Euphorie der Märkte nach dem Trump-Sieg in den USA?

Es hat überrascht, wie positiv die kurzfristigen Aspekte der angekündigten expansiven Fiskalpolitik bewertet wurden. Die ersten 100 Tage unter Trump werden wir genau beobachten. Mögliche negative Folgen von Handelsbeschränkungen werden im Markt noch zu wenig wahrgenommen.

Droht ein Handelskonflikt?

Dass die USA querbeet Zölle verhängen ist unwahrscheinlich. Die US-Industrie leidet am meisten unter China, vor allem die Sektoren Technologie, Kleidung, Automobil. Danach folgen das übrige Asien und Mexiko – dort sind erste Maßnahmen zu erwarten. Entscheidend ist, wie China dann reagiert. Denkbar wäre eine stärkere Abwertung des Renminbi oder höhere Infrastrukturausgaben, was aber die Sorgen wegen Chinas hoher Verschuldung nähren würde.

Wie attraktiv sind 2017 die Schwellenländer noch?

Emerging-Market-Bonds und -Aktien bleiben ein Thema, obwohl die Aktienkurse nach der Trump-Wahl bereits Verluste einstecken mussten. Wir erwarten, dass Brasilien und Russland die Rezession 2017 abschütteln können. Bei China sind wir tendenziell vorsichtiger, weil wir Staatsbetriebe generell skeptisch sehen. Wir füllen diese Lücke mit Klein- und Mittelbetrieben, die durch ihren Fokus auf den Heimat wenig vom Dollar und steigenden Zinsen beeinflusst werden.

Wo liegen die Risiken in Europa?

Populismus ist 2017 ein großes Thema, mit den Wahlen, die in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland anstehen. Wir glauben nicht, dass etwas für einen Euro-Zerfall spricht, aber der Rechtsruck stellt den Zusammenhalt auf den Prüfstand und könnte Zurückhaltung bei Investitionen oder Kursschwankungen auslösen. Generell fehlt in Europa der Optimismus. Das sehen wir auch in Österreich, wo eine negative Grundstimmung dominiert.

Wo erwarten Sie den Euro?

Falls die US-Notenbank Fed wie von uns erwartet zwei bis drei Zinsanstiege umsetzt, sehen wir Ende 2017 den Gleichstand zum Dollar. Auch Renminbi und Yen erwarten wir eher schwächer.

Wird Öl jetzt wieder teuer?

Im ersten Quartal gehen wir von 55 Dollar aus. Kurzfristig kann es wegen stärkerer Nachfrage auf 59 Dollar hochgehen, aber dann wird die US-Produktion stärker in den Markt zurückkommen, was die Preise senken dürfte. Dass der Preis pro Fass auf 80 oder 90 Dollar hochklettert, glauben wir nicht.

Und Gold?

Bei Gold sind unsere Prognosen fast schon traditionell zurückhaltend. Die Absicherung gegen hohe Inflation ist noch nicht das ganz große Thema. Wir erwarten den Preis bis Ende des Jahres bei 1250 Dollar je Feinunze.

Wären nicht Sorgen wegen höherer Inflation angebracht?

In Europa sehen wir das Problem gar nicht. In den USA eher, beim Arbeitsmarkt wird es da schon eng, was für höhere Löhne spricht. Hier könnte die Notenbank gefordert sein, mit einem rascheren Zinsanstieg zu reagieren. Aber wenn sie im Rahmen bleibt, kann ein bisschen Inflation positiv wirken.

Was braucht ein Anleger noch, um das Risiko gut zu streuen?

Ein Portfolio nur mit Aktien und Anleihen reicht womöglich nicht aus, weil sich diese Assetklassen zuletzt untypischerweise in dieselbe Richtung bewegt haben. Als Absicherung könnten Rohstoffe helfen oder inflationsgesicherte Anleihen, bei denen der Spielraum aber schon gering wird. Eine andere Möglichkeit sind alternative Investments, wobei die Frage ist, ob sie transparent und täglich liquide sind.

Spannend finden wir Small Caps, also Aktien kleinerer Unternehmen, gerade in den USA: Sie sind oft auf den Heimmarkt fokussiert, könnten also von einer „America first“-Politik profitieren. Strafzölle oder Wechselkurse spielen für sie kaum eine Rolle. Ein starker Dollar bereitet übrigens nicht allen US-Konzernen automatisch Probleme. Viele multinationale Unternehmen produzieren in mehreren Währungsräumen und können das ausgleichen.

Wie viel Return darf sich ein Anleger 2017 erwarten?

Der Zyklus ist vielfach recht weit fortgeschritten, die Bewertungen sind hoch. Langfristig betrachtet sind im Aktienmarkt 5 Prozent im Jahr realistisch. Wir glauben, dass ein guter Manager in diesem Marktumfeld eher den Unterschied ausmacht als die Wahl der richtigen Region. Ein gutes aktives Management kann noch einmal 40 bis 50 Prozent on top bringen.

Vor genau einem Jahr hatte der KURIER ebenfalls mit GSAM-Expertin Sandra Grabenweger-Straka gesprochen (den Artikel finden Sie hier). Haben die Prognosen von damals gestimmt? Grosso modo gilt das Fazit: Gemessen an den vielen Überraschungen, die 2016 parat hatte, war der Ausblick erstaunlich treffsicher.

So haben US-Aktien die positiven Erwartungen übertroffen: Der S&P500-Index, der für Ende 2016 bei 2100 Punkten prognostiziert war, landete letztlich bei 2240 Punkten. Die „Trump-Jahresendrallye“ und das Zögern der US-Notenbank bei Zinserhöhungen ließen – anders als erwartet – die US-Titel letztlich besser abschneiden als Aktien aus Europa und Japan.

Der fallende Eurokurs war korrekt prognostiziert, auch wenn der erwartete Gleichstand zum Dollar bis Jahresende mit 1,05 nicht ganz erreicht wurde. Fast eine Punktlandung gelang bei Rohöl: Dort hatte GSAM für möglich gehalten, dass der Preis pro Fass auf 25 Dollar sinkt und sich bei 50 stabilisiert (das Tief lag bei 27,1 Dollar, beendet wurde das Jahr mit 56,8).

Noch besser als erhofft fiel das BIP-Wachstum in Indien (7,2 statt 6 Prozent) aus, die Eurozone blieb mit 1,6 Prozent Plus so anämisch wie prognostiziert (plus 1,4 Prozent). Japan blieb mit 0,7 Prozent Plus etwas hinter den Erwartungen (1,1 Prozent) zurück, während China diese übertreffen konnte (6,7 Prozent statt prognostiziert 6,3 Prozent).

Zu vorsichtig war GSAM beim Goldpreis: Der Preis pro Unze ist nicht wie erwartet auf 1000 Dollar gesunken, sondern bis Jahresende leicht auf 1140 Dollar gestiegen.