Wirtschaft

Ausbilden statt abschieben

Eine Million Betriebe und 5,3 Millionen Beschäftigte: Das Handwerk hat in Deutschland eine gewichtige Stimme. Und einen Chef, der Konfrontationen nicht scheut. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer hat sich in der emotional geführten Asylwerber-Debatte klar positioniert. "Deutschland ist ein Einwanderungsland", steht unmissverständlich im Forderungspapier, das der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Ende März vorgelegt haben.

KURIER: Sie machen sich dafür stark, dass Flüchtlinge in Deutschland bleiben dürfen. Warum?

Hans Peter Wollseifer: Ja, die deutschen Wirtschaftsverbände haben eine Initiative ins Leben gerufen , um junge Leute aus Kriegsgebieten wie Irak oder Syrien in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir sagen: Flüchtling ist kein Beruf. Diese jungen Leute werden in fensterlosen Turnhallen oder leeren Baumärkten untergebracht, haben acht, neun Monate nichts zu tun. Das ist inhuman. Wir sollten erreichen, dass diese Menschen in die Sozialsysteme einzahlen, statt davon leben zu müssen.

Ist das nicht ziemlich unrealistisch?

Es gibt bereits Betriebe, die Flüchtlinge ausbilden – sie haben aber keine Planungssicherheit. Das ist nicht hinnehmbar. Wir fordern ein humanitäres Bleiberecht zumindest während der Ausbildung; am besten noch für ein bis zwei Jahre danach, damit die Betriebe einen Anreiz haben. Und Asylbewerber sollen vom zweiten Tag an Deutsch lernen.

Bewegungen wie Pegida sperren sich vehement gegen mehr Zuwanderung. Ihre Forderung dürfte nicht nur auf Zustimmung stoßen, oder?

Teilweise bekomme ich Kommentare unter der Gürtellinie, das muss man aushalten. Das Handwerk ist prädestiniert, die Integration voranzutreiben. Das ist zugleich ein kleiner Mosaikstein zur Fachkräftesicherung, auch wenn es unser Problem nicht lösen wird. Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung – darunter verstehe ich gut ausgebildete oder ausbildungswillige Menschen.

Es funktioniert doch noch nicht einmal die Integration der hier lebenden Migranten ideal …

Wir müssen daran arbeiten, dass es keine Vorbehalte gibt, wenn jemand nicht Schmitz und Müller heißt. Bei der Bewerbung um die Lehrstelle oder den Job müssen der Mensch und die Qualifikation zählen, nicht der Name.

Warum haben es sogar noch Zuwandererkinder in zweiter und dritter Generation schwerer?

In Berlin oder Köln hat mehr als die Hälfte der unter 25-Jährigen Migrationshintergrund. Wir haben Dolmetscher für fünf Sprachen – nicht für die Jungen, sondern für die Eltern. Ihnen müssen wir die Karrieremöglichkeiten erklären. Viele kennen unsere duale Ausbildung nicht, sie sind nur mit Helfertätigkeiten oder dem akademischen Weg vertraut. Die Glückseligkeit kann aber doch nicht nur in Kebab-Buden und Handyläden liegen.

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In Deutschland und Österreich bilden immer weniger Betriebe Lehrlinge aus. Woran liegt das?

An der Statistik.

An der Statistik? Warum das?

Es geht zwar die Zahl der ausbildenden Betriebe zurück, aber nicht die der ausbildungswilligen. Betriebe, die sich mehrmals ohne Erfolg um Azubis (Auszubildende) beworben haben, melden sich nicht mehr und fallen aus der Statistik. Dafür werden bei uns im deutschen Handwerk heuer mehr als 20.000 Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben.

Warum finden Jugendliche dann keine Lehrstelle?Das ist ein Passungsproblem: Es mangelt an der Mobilität oder an der Eingangsqualifikation.Viele der 130 Handwerksberufe und 340 Ausbildungsberufe sind auch viel zu wenig bekannt. Präzisionswerkzeugschleifer, Seiler, Kälteanlagenbauer: Da haben wir in Deutschland tolle Betriebe, wer da übernommen wird, hat einen Job bis ans Lebensende.

Oft klagen Lehrlinge, dass sie nur Hilfsarbeiten erledigen sollen und nichts Ordentliches lernen.

Das gibt es auch. Ein Drittel der Betriebe bildet wirklich super und zukunftsweisend aus. Ein Drittel gibt eine solide Grundlage fürs Leben. Und bei einem Drittel ist das nicht der Fall, daran müssen wir arbeiten.

Was kann man dagegen tun? Mehr Kontrollen?

Der Ausbildungserfolg wird ohnehin mit den Prüfungen kontrolliert. Junge Menschen, die sich schlecht behandelt fühlen, können sich an die Ausbildungsberater der Kammer wenden. Wir schlichten, suchen Lösungen oder notfalls sogar eine neue Lehrstelle.

Die ständigen Klagen der Betriebe über zu viel Bürokratie – überzogen oder berechtigt?

Das werfe ich der Politik seit Jahren vor: Ihr habt Papierfabriken aus unseren Betrieben gemacht. Und es wird immer noch mehr.

Kampf um jeden Lehrling

Von insgesamt 1,46 Millionen„Azubis“ werden 380.000 im Handwerk ausgebildet. Wie in Österreich sinkt aber die Zahl, 2014 gab es mehr Studienanfänger als Lehrlinge. Damit droht sich der Fachkräftemangel noch zu verschärfen. Die Kammer steuert mit Imagekampagnen dagegen und will ähnlich wie in Österreich die Berufsausbildung mit Abitur ermöglichen („Lehre mit Matura“).

Hans Peter Wollseifer (59) ist Chef der Kölner Handwerkskammer und seit 2014 Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Mit 21 Jahren übernahm der Maler- und Lackierermeister nach dem Tod des Vaters den Familienbetrieb, gründete danach weitere Bau- und Immobilien-Unternehmen.