Auf der grünen Welle: Das Auslaufmodell Plastiksackerl
Von Simone Hoepke
Aus den hippen Stadtvierteln sind sie nicht mehr wegzudenken: Die Jutesackerl, die mit Logos von Diskontern, Yoga-Studios oder aufgedruckten Sprüchen wie „Dieser Zustand ist nicht tanzbar“ oder „Sei amol leiwand“ daherkommen.
Die grüne Welle rockt. Leiwand ist, wer auf die Umwelt schaut, so das Credo der Szene. Sie kauft Bio-Baumwolle statt Wegwerfkleider aus Polyester, bestellt an der Bar Cocktails nachdrücklich ohne Trinkhalm, nippt in der U-Bahn an Glas- (nicht PET-Flaschen) und ist gegen Plastik- und Wegwerfprodukte. Allerdings weniger dogmatisch als die Ökos der 1970er Jahre. Und mit immer mehr politischer Begleitmusik.
Weniger Sackerl
Die EU hat sich die Reduktion von Plastik auf die Agenda gesetzt. Bis 2019 soll die Zahl der in Verkehr gebrachten Plastiksackerl um 50 Prozent reduziert werden (ausgehend von 2014). Einwegprodukte aus Kunststoff, wie Trinkhalme oder Plastikbesteck, sollen überhaupt von der Bildfläche verschwinden. Ein Zug, auf den Händler aufgesprungen sind.
Schon im Juli 2016 ging in Österreich die „Pfiat di Sackerl“-Kampagne an den Start. 14 Branchenriesen – von Deichmann bis zu MediaMarkt – haben sich angeschlossen und fortan keine Gratissackerl mehr ausgegeben. Das ist für viele gewöhnungsbedürftig. Dieselbe Konsumentin, die ohne mit der Wimper zu zucken den 200-Euro-Stiefel zur Kasse trägt, zuckt dort lautstark aus, weil sie ein paar Cent fürs Sackerl zahlen soll. Eine Prinzipsache, argumentiert sie. Eine Umweltabgabe, kontert der Händler. Eine Erziehungsfrage, werfen Politiker ein.
Laut einer MediaMarkt/Saturn-Sprecherin halten sich die Beschwerden in Grenzen. „Die Kampagnen zur Sensibilisierung für das Thema Plastikmüll hat offenbar gegriffen.“ Die Elektronikhandelskette hat die Ausgabe von Plastiksackerln mittlerweile überhaupt eingestellt – es gibt nur noch Mehrwegtragetaschen (freilich gegen ein Entgelt).
Währenddessen hat Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger kürzlich eine Zwischenbilanz zum Plastiksackerl gezogen. Im Vergleich zu 2014 hätten die Österreicher im Vorjahr um 20 Prozent weniger Plastiksackerln verschlissen. In absoluten Zahlen wurden so 112 Millionen Teile eingespart. Wenn das Sackerl etwas kostet, will es plötzlich keiner. Eine Erfahrung, die auch die Handelskette Tchibo bestätigt: Die Nachfrage nach Sackerln ist um 74 Prozent eingebrochen, seit sie nicht mehr gratis sind.
Die Lebensmittelhändler heften sich die Reduktion von Plastik auf die Fahnen. Rewe rühmt sich damit, im Vorjahr 480.000 Kilogramm Plastik eingespart zu haben. „Das entspricht 640 vollen Müllwägen“, veranschaulicht Rewe-Chef Marcel Haraszti. Bis Ende 2019 will er das Bio Obst- und Gemüsesortiment umweltfreundlicher oder gleich ganz ohne Verpackung in die Regale schlichten. Klingt einfach, ist es nicht.
Gurken-Frage
Die Folie, in der die Gurke eingeschweißt ist, sorgt dafür, dass diese drei bis fünf Tage länger haltbar ist. So gesehen kann die Gurke im Plastik-Mantel die bessere Öko-Bilanz haben als eine unverpackte, die in der Produktion viel Wasser und Energie gebraucht hat, letztlich aber auf dem Müll gelandet ist. Auch Konkurrent Interspar setzt auf die Öko-Schiene. Beim Obst- und Gemüseregal gibt es nun 100 Prozent biologisch abbaubare Papiersackerl als Alternative zur Plastikvariante.
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Pro und Contra: Zahlen fürs Sackerl?
Pro
Das Jutesackerl liegt daheim gut verstaut im Schrank – mit vielen papierenen Artgenossen. Doch der Einkauf kann wie so oft nicht warten. Dass man an der Kassa für die Papier-Tragtasche zur Kasse gebeten wird, ist eben so. Mehr noch, es ist berechtigt: nicht nur im Lebensmittelhandel, auch in Boutiquen. Denn jedes Verpackungsmaterial – ob Plastik, Biokunststoff und Papier – verursacht Müll, der entsorgt werden muss. Die Umwelt leidet und Konsumenten sollen weitermachen wie bisher? Bezahlen leitet einen Lernprozess ein. Die eben erstandene Tragtasche kommt in den Schrank, eine ältere wird zum Altpapiersackerl. Der Kreislauf beginnt. Bis zum nächsten Mal – zahlen, bitte.
Contra
Zugegeben, wer sich im Auto zum Wocheneinkauf im Großmarkt aufmacht und dabei keine Tragemöglichkeiten dabei hat, soll ruhig extra fürs Sackerl zahlen. Denn dass er dort viel einkaufen wird, ist wohl keine Überraschung. Nicht so jedoch beim spontanen Bummel durch die Stadt, wo einem plötzlich das Paar Stiefel oder die Jacke in der Auslage anlacht. Auf Verdacht trägt dafür niemand ein großes Sackerl mit sich herum. Daher kann sich der Kunde zu Recht erwarten, dass es bei einem Kauf von Waren im dreistelligen Eurobereich das Sackerl gratis dazu gibt. Das schaffen kleine Einzelhändler doch auch. Aber vielleicht haben sich diese noch nicht die üppige Marge bei einem 30-Cent-Sackerl ausgerechnet.
Robert Kleedorfer