Dagmar ist nackt da
Von Guido Tartarotti
20.15. Markus Lanz betritt die Bühne und sagt: „Die Abende werden länger, die Gesichter werden länger, und deshalb wollen wir dem heute entgegen wirken.“ Merkwürdig, bis jetzt dachten wir, „Wetten, dass...?“ wurde eben zu dem Zweck erfunden, die Abende länger zu machen.
Das Publikum klatscht wie wild (wer einmal bei der Show war, der weiß: Dem Publikum wird vorher gesagt, es müsse klatschen wie wild, und wenn der Showmaster sagt „Vielen Dank, ist gut, vielen Dank“ muss es klatschen wie noch wilder.)
Markus Lanz sagt: „Vielen Dank. Ist gut! Vielen Dank.“
Das Publikum klatscht wie noch wilder.
Markus Lanz sagt: „Dafür, dass es dieser Sendung angeblich so schlecht geht, sind Sie sehr gut drauf.“ Das Publikum klatscht wie am wildesten.
Lanz: „Bevor wir anfangen, erlauben Sie mir noch kurz eine persönliche Bemerkung. Es gibt im deutschen Fernsehen etwas Besonderes, die Liebesbeziehung zwischen Ihnen und dieser Sendung.“ Dann kommt irgendwas von wegen Ehekrise und „zweite Pubertät“. Lanz sagt, in Bezug auf die Show und ihr Publikum gelte das Motto: „Schatz, ich habe nie an Scheidung gedacht, aber dafür öfter mal an Mord.“
Manche im Publikum lachen.
Markus Lanz sagt die zu erwartenden Stars an. Es ist 20 Minuten nach acht, und die Show dauert jetzt schon so lang. Mein Sohn sagt: Papa, mir ist fad.
Lanz macht einen Berlusconi-Witz. Niemand lacht.
Lanz macht einen Witz über Beamte und Peitschen. Niemand lacht.
Was soll man im Gespräch mit einem Filmstar nie machen? Genau: Ihn mit seiner bekanntesten Rolle anreden. Lanz sagt zu Harrison Ford zum ersten, aber nicht letzten Mal „Indiana Jones“.
Mein Sohn sagt: Papa, ich muss Lulu.
Lanz schmeichelt Ford an: Sein Lachen, seine Augenbrauen seien so toll. Ford wundert sich weiter und hebt eine Augenbraue.
Es folgt ein besonders fader Ausschnitt aus Fords neuem Film. Der Film ist offensichtlich ein atemberaubender Blödsinn. Lanz sagt über Ford: „ Und da ist er wieder, dieser Blick.“ Fords Blick ist müde.
20.35. Zum dritten Mal dauert die Sendung zu lang. Mein Sohn sagt: Papa, sind wir bald da?
Die Imitation eines Oktoberfestes bricht in all ihrer systemimmanenten Widerlichkeit über die Halle herein. Harrison Ford ist sichtlich schwerst irritiert, wird aber von Lanz am Arm gepackt und so an der Flucht gehindert.
Lanz macht zum 200. Mal öde Indiana-Jones-Witze. Niemand lacht, besonders Harrison Ford.
Die erste Wette. Wovon wird sie wohl handeln? Bierflaschen, Eiern oder Lastwagen? Diesmal sind die Eier dran.
Lanz stellt sich mit Ford unter einen Regenschirm und macht einen Schwulen-Witz. Niemand lacht. Man kriegt Angst davor, was passieren wird, wenn Sylvester Stallone kommt.
Lanz sagt: „Es gibt sinnvollere Wetten, aber selten lustigere.“
Die Wette ist kein bisschen lustig.
Der Kandidat schafft zwei Eier statt der versprochenen fünf. Lanz sagt: „Schade. Und da ist es passiert. Wette verloren.“ Lanz putzt Harrison Ford Eier-Spritzer vom Sakko. Ford schaut drein, als ob Lanz in großer Gefahr wäre.
Lanz will wissen, was Harrison Ford auf seinem Anrufbeantworter sagt. Harrison Ford sagt, er wisse es nicht.
Ford bespricht den Anrufbeantworter einer Dagmar aus dem Publikum und sagt statt „Dagmar ist nicht da“ „Dagmar ist nackt da“. Lanz und die Halle finden das unfassbar lustig. Harrison Ford blickt drein, als befände er sich unter Geistesgestörten. Man würde nicht wagen, zu widersprechen.
Lanz sagt: „Helene Fischer, leicht wie eine Feder, sensationell.“
Harrison Ford sagt „That was great, I enjoyed that“ und blickt Hilfe suchend um sich. Lanz versucht sich als Gottschalk und macht Witze übers Anfassen. Helene Fischer schmachtet Harrison Ford an, dieser hat sichtlich Angst und murmelt „very nice“.
Fischer und Lanz spotten minutenlang über ihr Bild in der Boulevardpresse, versemmeln aber jede Pointe, das Publikum kennt sich nicht aus. Das Ganze wirkt eitel und zäh. Niemand lacht, weil völlig unklar ist, ob es ernst oder ironisch gemeint war.
Lanz fragt: „Helene, was macht dich zu einer, von der auch Fußballer sagen, die hör ich gerne?“ Fischer gibt die einzig mögliche Antwort: „Das ist eine schwere Frage.“ Lanz fragt: „Helene Fischer, in Jogginghose – gibt’s so was?“ Fischer gibt die keineswegs einzig mögliche Antwort: „Ich bin gerne eine Frau.“
Harrison Ford rückt währenddessen langsam und sehr vorsichtig von Fischer ab, sein Gesicht verrät nackte Panik.
Lanz sagt: „Helene, kannst du mich ganz kurz.“
Die nächste Wette handelt von Fettstiften, Lanz macht einen Fettnäpfchenwitz, niemand lacht.
Ein sehr, sehr nettes Mädchen namens Paula versucht, auf Fettstiften zu gehen, es scheitert, aber es wirkt dabei souveräner als der gesamte Rest der Sendung. Gebt Paula die Show!
Helene Fischer zieht sich die Schenkelstiefel aus, ist zum Glück nicht Karina Sarkissova, daher bleibt alles andere an. Lanz sagt zum 2000. Mal zu Harrison Ford „Indiana Jones“.
Lanz sagt Cher allen Ernstes so an: „Wir müssen jetzt sehr tapfer sein, denn jetzt kommt sie.“
Cher ist lustig, schlagfertig, zynisch, vor allem gegenüber sich selbst. Gebt Cher die Show!
Harrison Ford lächelt zum ersten Mal.
Cher geht, Harrison Ford nutzt die gute Gelegenheit und geht auch.
Lanz sagt: „Da sind sie weg. Da sind sie dahin.“ Es klingt so, als beneide er sie.
Der nächste Gast Matthias Schweighöfer küsst Markus Lanz, dieser sagt „Nicht, nicht“.
Lanz sagt zu Ruth-Maria Kubitschek „Ruthilein“. Schweighöfer sagt: „Das muss ich mir merken, Ruthilein.“ Lanz sagt: „Nö ne.“ Ruthileins Ohrring schabt am Mikro. Lanz sagt: „Dein Ohrring klappert.“ Ruth-Maria Kubitschek nimmt den Ohrring ab, Schweighöfer tut so, als ob er den Ohrring anlegen würde. Es vergeht sehr viel Zeit. Der Ohrring schweigt. Gebt dem Ohrring die Show!
Matthias Schweighöfer sagt 100 Mal „Ruthilein“ und schwatzt manisch. Gebt Schweighöfer die Show nicht.
Kubitschek nennt Älterwerden „einen wunderbaren Prozess“. Das ist nicht die einzige Lüge des Abends, aber die schönste. Im Publikum ruft jemand „Helene bleibt für immer jung“. Auch eine Lüge, aber weniger interessant.
Lanz sagt: „Alle Frauen, die gehört haben, Matthias Schweighöfer kommt, drehen komplett am Rad.“ Schweighöfer sieht so drein, als glaube er das. Schweighöfer verkündet, er werde Vater, und formuliert das so: „Ich habe gehört, dass so was im Anmarsch ist, ja.“
Mein Sohn sagt: Diese Sendung ist wie ein sehr langer Güterzug. Ich sage: Bitte? Ja, man steht an einem geschlossenen Bahnschranken, es ist Nacht, und es kommt ein Güterzug, der nie aufhört.
Ein gewisser John Newman, ausgestattet mit einer sehr gewagten Frisur, singt ein merkwürdiges Lied. Harrison Ford und Cher sind schon weit weg. Wenn sie sich beeilen, schaffen sie es über die Grenze nach Mexiko.
Anja Kling kommt. Lanz sagt „Bring mir die Kling und dann läuft das Ding“. Kling trägt einen Hosenanzug, der offenbar aus einem alten Vorhang genäht wurde. Lanz sagt zum Vorhanganzug: „Sensationell“. Alle setzen sich um.
Ruth-Maria Kubitschek sagt, zum Entspannen verbringt sie gerne den ganzen Tag im Bett und trinkt Wasser. Der Zuschauer verspürt den dringenden Wunsch, den Rest des Abends im Bett zu verbringen und etwas anderes als Wasser zu trinken.
Der nächste Wettkandidat, ein gewisser Niklas, tritt auf, sagt „Hallo Bremen, schönen guten Abend, liebe Zuschauer!“ Gebt Niklas die Show.
Seine Wette kommt einem – möglicherweise wird man mürbe im Laufe so eines Abends – wirklich originell vor: Anhand von Fingerschmierspuren auf Tablet-Computern Spiele erkennen.
Lanz macht einen NSA-Witz. Niemand lacht.
Lacht macht einen Witz über intellektuelle Überforderung. Niemand lacht.
Lanz macht einen Witz über Beziehungen. Niemand lacht.
Lanz macht einen Witz über bildende Kunst. Niemand lacht.
Sylvester Stallone ist sympathisch, lustig, ignoriert Lanzens Humorversuche, erzählt aus seinem Leben, weiß sichtlich nicht so genau, wo er sich befindet, wirkt aber ansteckend fröhlich. Gebt ihm die Show!
Man sieht einen Ausschnitt aus dem deutschen Rocky-Musical, und es sieht genauso aus, wie die Beschreibung „deutsches Rocky-Musical“ klingt. Ein junger Mann singt: „Kämpf ohne Hemmungen, kämpf ohne Angst, kämpf für dein Mädchen, zeig was du kannst.“ Daran kann man übrigens erkennen, dass eine Geschichte die Würde verloren hat: Sie wird zu einem Musical. Sylvester Stallone ist gerührt. Gebt ihm die Show doch nicht.
Lanz sagt: „Wir freuen uns auf einen großen Moment.“ Das Ende? Nein, schade, gemeint ist die Kür des Wettkönigs.
Lanz macht einen Witz über Eier. Niemand lacht.
Es gibt einen Wettkönig: Es ist die Straßenwalze.
Eine Frau Rosemarie Pöbel gewinnt den Publikumspreis.
Lanz sagt noch einmal „Ruthilein“ und bedankt sich bei „Matthias Schweighöf“.
Matthias Lanz überzieht nur fünf Minuten – da hätte bei Gottschalk die Sendung erst richtig begonnen. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, er habe den „länger werdenden Abenden“ nicht unbedingt entgegen gewirkt.
Harrison Ford sagt: „Grauenvoll.“ Allerdings schon im Film, der auf die Show folgt. Der Film heißt: „Auf der Flucht“.
Im Quotenduell mit Boxer Wladimir Klitschko, dessen Sieg im Kampf um den Schwergewichts-Weltmeistertitel gestern auf RTL zu sehen war, zog "Wetten, dass..?" jedenfalls den Kürzeren. Den Boxkampf verfolgten bis zu 12,3 Mio. Zuseher in Deutschland (35,4 Prozent Marktanteil), während der erste Herbstauftritt von Lanz im Schnitt 6,8 Mio. Seher vor die Bildschirme lockte, was einem Marktanteil von 22,1 Prozent entsprach. Damit lag man nur geringfügig über den Zahlen der Mallorca-Ausgabe, die im Sommer mit 6,74 Mio. Zuschauern bis dato die niedrigste Quote in der 32-jährigen Geschichte der Show eingefahren hatte.
In Österreich verfolgten im Schnitt 556.000 Menschen die Sendung auf ORF. Das ergibt einen Marktanteil von 24 Prozent und damit unter dem von Edgar Böhm angepeilten Wert.
(APA, red.)