Unsittliche Bewegungen und Muriri Wurst
Von Guido Tartarotti
Der alte Musikantenstadl starb ja nicht daran, dass der volkstümliche Schlager unpopulär geworden wäre. Im Gegenteil: Er starb daran, dass er zu populär wurde. Denn der volkstümliche Schlager hat die Jugend und die Welt des Pop erobert. Im Zuge der vor wenigen Jahren ankündigungslos ausgebrochenen Welle der Verdirndltrachtung, der Verwienerundbrunnerwiesung, der Veratemlosdurchdienachtung hat der volkstümliche Schlager mitten in der Stadt Platz genommen.
Atemlos durch die Umnachtung
Menschen, die noch vor zehn Jahren schaudernd jede Örtlichkeit großräumig umfahren hätten, in der mit Volkstümelei zu rechnen war, frequentieren jetzt begeistert mitten in der Großstadt platzierte Skihütten oder tanzen bei den mittlerweile in jeder Sackgasse veranstalteten "Wiesen" auf den Tischen, bis "Atemlos durch die Nacht" stufenlos in "Atemlos durch die Umnachtung" übergeht. Manche verweisen dabei noch darauf, unter Einfluss von Substanzen namens "Ironie" und/oder "Alkohol" zu stehen, aber die meisten stehen längst fröhlich zur neuen Gaudi Quattro Turbo.
Der alte Musikantenstadl mit seinem Feuerwehrfest-Charme wurde den neuen Trends in keiner Weise gerecht. Die neue Stadlshow sieht dagegen aus, als hätte man versucht, "Wetten, dass...?" im Wellness-Bereich eines biologischen Alpen-Hotels nachzubauen.
Der Wellness-Bereich steht in Offenburg, der alte Animateur Andy Borg wurde durch Francine Jordi und Alexander Mazza ersetzt, denen man offenbar eher zutraut, das Publikum zur rhythmischen Sportgymnastik zu motivieren.
Erster Eindruck: Die Moderatoren wirken übermotiviert, das Umherwandern im Saal ist geblieben, auch das Mitpaschen. (Das zu unterbinden, wäre wohl zuviel Kulturschock gewesen.)
Schunkeln, Headbangen und Rasenmähen
Die Wolfgang-Lindner-Band spielt „Let Me Entertain You“ von Robbie Williams (hören Sie sich das Original an, es lohnt sich). Francine Jordi findet das „total gemütlich“. Und sagt: „Zu dieser Musik können Sie schunkeln und headbangen, und ganz Mutige machen beides gleichzeitig.“ Die meisten machen Schunkeln und Schunkeln gleichzeitig. Vor allem bei den Troglauer Buam, die singen eine Hymne auf ihren Rasenmäher, und man ist reflexartig froh, dass sie nicht bügeln oder staubsaugen. Der Troglauer-Oberbua sagt: „Ich kann Tag und Nacht die ganze Woche rasenmähen.“ Francine Jordi sagt darauf das einzige, was man darauf sagen kann: „Das ist schön.“
DJ Ötzi erscheint und richtet „I Want You To Want Me“ von Cheap Trick hin (hören Sie sich BITTE das Original an, es lohnt sich). Vier Damen in Unterhosen, die aussehen, wie DJ Ötzis Klopapierrollenhaube (die Unterhosen, nicht die Damen) betreiben dazu Leibesübungen.
Florian Silbereisen erscheint und wir lernen: „Dass DJ Ötzi und Florian Silbereisen sich getroffen haben, muss Schicksal sein.“ Bei „Schlag den Raab“ auf ProSieben werden zu diesem Zeitpunkt um die Wette Bleistifte spitz gemacht, was insofern auch musikalisch wertvoll ist, als die Bleistifte nicht singen. Silbereisen und Ötzi verüben ein Lied, in dem sich „gelacht“ auf „Tag“ reimt und das tatsächlich nicht davor zurückschreckt, die Melodie von Tschaikowskys Klavierkonzert in B-Moll zu missbrauchen (hören Sie UNBEDINGT das Original!). Ein Mann aus dem Publikum hüpft vor die Kamera, wedelt mit den Armen und erschlägt beinahe Florian Silbereisen, was doch ein kleinerer Skandal gewesen wäre.
Claudia Koreck erscheint und teilt mit den Mitteln des Gesangs mit, dass es unter ihrer Decke warm sei. Wolfgang Fierek erscheint und sieht tatsächlich aus wie Neil Young auf Rügen (hören Sie Neil Young, es lohnt sich!).
Unterm Moik hätt's das nicht gegeben
Wolfgang Fierek, Claudia Koreck und Alexander Mazza unterhalten sich über „Highway To Hell“ von AC/DC – DAS hätte es unterm Moik nicht gegeben!
Exakt zu diesem Zeitpunkt wird bei „Schlag den Raab“ das Lied „Highway To Hell“ rückwärts gespielt und erraten. Man ertappt sich bei dem Gedanken: Schade, dass in der Stadlshow die Lieder vorwärts gespielt werden.
Claudia Koreck sagt, was Heimat ist: Dass man Wasser aus dem Hahn trinken kann. Wolfgang Fierek sagt, dass er in seiner Wahlheimat Arizona „am Kaktus“ sitzt und Bier trinkt.
Da lernt man die Heimat und das Wasser aus dem Hahn zu schätzen. Bei „Schlag den Raab“ wird das Lied „Lieder“ von Adel Tawil rückwärts gespielt. Man hört die Worte „Muriri Wurst“. DAS würde doch gut in die Stadlshow passen.
Francine Jordi besucht eine Bollerhut-Manufaktur und sagt den schönen Satz: „Dort ist was Längliches, was ist das?“
Die (im übrigen wunderbaren) Poxrucker Sisters erscheinen und singen barfuß. „Wir sind zu faul zum Einkaufen“, sagt eine Poxrucker Sister. Alexander Mazza zeigt sich entsetzt: „Das habe ich noch nie gehört.“ Nur nicht an Klischees rütteln!
Jürgen Drews – DER Jürgen Drews! – erscheint und singt, inhaltlich sicher richtig, „Die Nacht ist heißer als in Mexiko“. Dann spielt er „Ein Bett im Kornfeld“ auf dem Banjo – und kann das richtig, richtig gut (wenn Sie unbedingt wollen, hören Sie halt das Original). Dann kommen eine Zaubershow und ein Film über Kuckucksuhren, und plötzlich wirkt die Show wie eine Mischung aus „Die große Chance“ (ohne Sido und Kinderturnen) und „Die Sendung mit der Maus“.
Marc Pircher erscheint, hat sichtlich schon lang nicht mehr getanzt, und reimt „bleiben“ auf „die Nacht mit dir zu teilen“ und brüllt „Alle Hände ausnahmslos nach oben“, was eher halbherzig bzw. –händig befolgt wird. Wir erfahren, dass Marc Pircher Angst vor Schlangen hat, aber nicht, ob die Schlangen Angst vor Marc Pircher haben.
Werkzeugkoffer und Kirschwasser
Jetzt darf auch die Moderatorin singen, und zwar unter anderem die Zeile „Ich bin drin/jetzt wo du bei mir liegst und mich liebst“. Danach kommen Menschen und machen Musik mit Werkzeugkoffern. Danach werden allen Ernstes „Vier lässig groovende Desperados aus dem Chiemgau“ angekündigt, und falls wer wissen will, wie sowas ausschaut – so: Vollbärte kombiniert mit Geigen.
Danach wird logischerweise eine ein Meter große Schwarzwälder Kirschtorte zubereitet (mit drei Litern Kirschwasser) und das Publikum wird damit gefüttert. Die daraufhin entstehende Unruhe (das Kirschwasser?) legt sich bis zum Ende der Sendung nicht mehr.
Es erscheint eine Musikgruppe, welche „An Po wie Gabalier“ auf „an coolen Schmäh“ reimt. Wie das behandelt wird, bleibt leider unbesprochen. Silbereisen erscheint zum zweiten Mal und singt solo zur Gitarre ein Lied des großen Fredl Fesl – und macht das richtig gut. Das Publikum wird noch unruhiger – Qualität im Stadl? Ist das erlaubt?
Eine Frau erscheint und reimt „Auf und davon“ auf „Liaison“.
Kunz ohne Hinz
Ein Mann namens Kunz erscheint (wo war Hinz?) und singt auf Schwyzerdütsch ein Lied, in dem ausschließlich die Worte „für immer“ verständlich sind, die aber gut.
Der seit 120 Jahren 30 Jahre alte Peter Kraus erscheint und singt Elvis-Lieder und klingt dabei wie ein Elvis-Imitator beim Mödlinger Weinfest. Im anschließenden Interview fällt der Begriff „unsittliche Bewegungen“, und genauer kann man den Unterschied zum alten Stadl nicht definieren. Unsittliche Bewegungen hatten dort Saalverbot. Dann singt Kraus gemeinsam mit den Baseballs „Roll Over Beethoven“, und es klingt wirklich gut, auch deshalb, weil Krausens Gitarrist geradezu unsittlich heftig das Instrument würgt. (Hören Sie sich, wenn Sie Lust haben, die Version der Beatles mit George Harrison am Mikro an!).
Dann singen alle „Ein Hoch auf uns“ und dann ist es aus.
Fazit:
All das muss man mögen. Aber wenn man es mag, ist es definitiv keine schlechte Show.