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Marie Bäumer: "Man muss laut werden!"

KURIER: Sie haben am 5. Mai Geburtstag: Ein wichtiger Tag?
Marie Bäumer:
Ich hab eine Wunschliste geschrieben und meiner Mutter auf den Küchentisch gelegt. Ganz schön kühn, ich weiß. Ob wir in Frankreich oder zu Hause feiern, weiß ich noch nicht.

Wo ist derzeit „zu Hause“?
Im Moment München, aber nicht mehr lange, in Bayern geht’s mir nicht gut. Mein Sohn sagte, Wien könnte er sich noch einmal vorstellen. Wir haben ja mal hier gewohnt, im achten Bezirk, in der Lenaugasse, ich bin jetzt hingeflitzt und hab’ meinen ehemaligen Nachbarn getroffen. Der Vater meines Sohnes (Anm. Nicki von Tempelhoff ) war damals am Burgtheater. Ich liebe Wien.

Die erste Heimat ist Frankreich?
Ja, die längste Beziehung, die ich jemals hatte ...

Sie sind „Chevalier des Arts et des Lettres“: Wie wird man das?
Indem man vom Französischen Kulturminister einen Orden verliehen bekommt. Damals war das Frédéric Mitterrand. Mir hat noch nie jemand eine so schöne, persönliche Rede gehalten.

Sie sprechen neben Französisch auch Italienisch?
Ich habe meine Ausbildung in der Scuola Dimitri im Tessin begonnen. Damals begann auch meine Liebe zum Film. Ich hatte davor keine Beziehung dazu, wir hatten kein Fernsehgerät zu Hause.

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Sie haben die Waldorfschule besucht. Ist Rudolf Steiners Weltanschauung wichtig für Sie?
Diese Zeit hat mich im sozialen Umgang sehr geprägt, Bildungspolitik ist eines meiner Lieblingsthemen: Sie schreit nach Reformen. Es ist unfassbar, wie Kinder in aufgeklärten westlichen Ländern acht Stunden in Kästen hocken, wo sich kein Erwachsener freiwillig reinsetzen würde. Wie soll so jemand ins Leben begleitet werden? Mein Sohn hat viele Schulen besucht, weil wir immer auf der Suche waren: Die reformpädagogischen Schulen haben ihm am meisten gegeben. Aber das sollte doch keine elitäre Veranstaltung bleiben! Da gibt es einiges zu tun. In Deutschland wird ja immer rückwärts diskutiert.

Überlegen Sie, Ihren Ärger zu kanalisieren und sich politisch zu engagieren?
Ne. Was soll ich noch alles machen? Ich engagiere mich für eine Organisation, die heißt Medica Mondiale für traumatisierte Frauen aus Kriegsgebieten. Ansonsten hab ich keine Zeit. Aber ich äußere gern meine Meinung. Man muss laut werden!

Sie sind vielseitig. Sie schreiben, führen Regie, unterrichten.
Ich hab jetzt eine Filmklasse zum Thema „Demut und Demütigung“ unterrichtet, das war sehr spannend. Ich will versuchen, solche Kurse öfter zu machen. Und wenn ich es mir leisten könnte, würd ich dieses Jahr nur schreiben und erst nächstes Jahr wieder drehen. Da brauch’ ich aber einen Sponsor – ich esse wahnsinnig gerne Schokolade!

Welche Erinnerungen haben Sie an ihre Rolle als Buhlschaft?
Ich fand Regisseur Christian Stückl großartig. Die Probenzeit war toll.

Die Aufregung darüber steht in keinem Verhältnis zur Rolle. Da geht es mehr um die Gesellschaftsseiten. Liegt Ihnen das?
Tja, ich glaub’, ich bin dafür zu linksliberal und bodenständig. Das interessiert mich nicht.

Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal mit Romy Schneider verglichen wurden?
16. Ich find’ das immer witzig, weil ich ja niemanden in der Familie habe, der irgendwas mit Schauspiel zu tun hat ... sie kommt mir mittlerweile schon wie ’ne Tante vor. Sie bleibt für mich einer der Schauspielerinnen, die ich am liebsten sehe. Bei meinen Studenten nehme ich sie als Beispiel, wie körperlich sie arbeitete. Man soll ja nicht denken, dass Film bloß Gesicht ist. Die Energie muss vom Erdkern durch die ganze Physis gehen.

Hätten Sie gerne mit Schneiders Leibregisseur Claude Sautet gearbeitet?
Ja. Er ist für mich der intelligenteste und spannendste Regisseur. Und Fellini. Ich kann mich erinnern, als er starb, dachte ich: Was für eine Unverschämtheit! Ich habe Rotz und Wasser geheult.

Energisch frankophil

Marie Bäumer, geboren am 7. 5 1969 in Düsseldorf, lebt in Südfrankreich und München. Drehte über 40 Filme, u. a. „Das Adlon“. Die Liebe zu Frankreich liegt in der Familie: Die Oma nannte ihren Sohn „Monsieur Didier“. Bäumer liebt „César und Rosalie“ von Claude Sautet mit Romy Schneider und Yves Montand: „Brüchigkeit, Verletztheit, Kraft, Charme. Mit einer gewissen Unverschämtheit. Immer mit Arbeiterhintergrund. Das liegt mir.“