Die Irrwege der "Crowd"
Von Karl Oberascher
Fast hätten sie es geschafft. Diese Onliner. Fast hätten sie uns weisgemacht, die "Intelligenz der Crowd" hätte im Zeitalter der Alles-Vernetzung die "Dummheit der Massen" abgelöst. Für viele Bereiche mag das sogar stimmen. In der IT-Branche zum Beispiel, wo Open-Source-Projekte wie Android seit Jahr und Tag den Beweis liefern. Oder auch auf politischer Ebene: Ohne Twitter wäre der arabische Frühling 2010 wohl undenkbar gewesen. Die Folgen nicht.
In einem Bereich, der einen zusehends größeren Teil des Alltags einnimmt, zeigt sich aber genau gegenteilige Wirkung: Soziale Netzwerke forcieren die Schwarmdummheit in noch nie gekanntem Ausmaß. Jede (mehr oder weniger) "Dummheit" eines Einzelnen – vom Gangnam Style bis zum Hassposting – wird durch die massenhafte Reproduktion innerhalb von Stunden wahlweise zum neuen Trend oder zum nächsten Shitstorm. Zeit zum Durchschnaufen und kurz darüber nachdenken? Nicht in den sozialen Medien.
Welche Auswirkungen das beim Shitstorm hat, musste zuletzt ORF-Moderatorin Lisa Gadenstätter erfahren. Dass das Herdenverhalten aber auch bei den harmlosen Internet-Trends zu gröberen Blödsinnigkeiten führen kann, zeigt ein Beispiel aus den USA, das dort in den vergangenen Wochen für viel Aufregung gesorgt hat. Unter dem Twitter-Hashtag #Womenagainstfeminism erklärten dabei Frauen, weshalb sie Feminismus nicht (mehr) brauchen würden: „Weil der Gehaltsunterschied nicht Sexismus, sondern die Wahl der Frau ist“. Oder: „Weil eine Familie großzuziehen stark ist, eine potentielle Familie zu verlassen aber feige“, war da zu lesen. Und die amerikanischste aller Begründungen: „Weil ich selbst verantwortlich bin für meine Taten.“ Zu Tausenden veröffentlichten überwiegend junge Frauen Bilder von sich, in dem sie ein Schild mit Stehsätzen wie diesen in die Kamera hielten.
Wer nicht an massenspontane Eingebungen glaubt, muss auch hier - analog zur Bier-Challenge, die zu Beginn des Jahres auf Facebook kursierte - annehmen, dass die jungen Frauen nur vom neuen Taktgeber namens soziale Medien motiviert wurden, diese Bilder von sich zu posten. Dass sie dabei den griffigen Parolen, wie sie von Gegnern des Feminismus seit Jahr und Tag gebracht werden, aufgesessen sind, ist der traurige Teil dieses Netz-Trends.
In dem vor allem auf Twitter offenbar immer unwiderstehlicher werdenden Reflex, zu allem nicht nur eine Meinung zu haben, sondern diese auch der Welt mitteilen zu müssen, haben sie nämlich schlicht aufs Überlegen vergessen. Hätten sie sich die Zeit genommen und sich näher mit dem (historischen) Begriff des Feminismus auseinandergesetzt, hätten sie erkennen müssen, dass sie hier von falschen Begrifflichkeiten ausgehen und also gegen etwas auftreten, was nie damit intendiert war.
Entsprechend scharf fielen auch die Reaktionen in diversen englischsprachigen Medien aus. Denn was Feminismus vor allem und in seiner dringlichsten Bedeutung meint, ist Gleichheit. Persönliche und strukturelle.
Welche Frau im Jahr 2014 glaubt, gegen Feminismus sein zu müssen, "weil ich nichts dagegen habe mir die Beine zu rasieren", versteht das entweder absichtlich falsch, oder beweist, dass die "Crowdintelligence" in den sozialen Medien wirklich nicht über das übliche Herdenverhalten hinausgeht.
Nachsatz: Dass Online-Foren und Communities doch auch schwarmintelligentes Verhalten an den Tag legen können, zeigt dieser eigens eingerichteter Tumblr-Blog: Auf ConfusedCatsAgainstFeminism wehren sich Katzen auf ihre ganz eigene Art und Weise gegen das Konzept des Feminismus.