Andy Borg: "Ich singe Halb-Playback"
Von Birgit Braunrath
Freitagnachmittag, Innsbruck, Olympiahalle. In der „Stadlwirtschaft“, der Kantine des Musikantenstadl, wandern die Wiener Schnitzel über die Theke. Stärkung für die abendliche Generalprobe.
In der Halle beginnen die Stellproben. Als Erste an der Reihe: die Kastelruther Spatzen. Nachdem ihr Langzeit-Produzent „aufgedeckt“ haben will, dass die Kastelruther – abgesehen von Sänger und Frontman Norbert Rier – ihre Parts im Studio von Profi-Musikern einspielen haben lassen, trommelte das Erste Deutsche Fernsehen im Vorfeld des Innsbruck-Stadls: „Die Kastelruther Spatzen treten den Beweis an, dass jeder von ihnen ein hervorragender Musiker ist und singen und spielen ihren neuen Titel ,Leben und leben lassen’ live.“ (wie der Live-Auftritt gelaufen ist, lesen Sie weiter unten im Abschnitt "Musikantenstadl Innsbruck")
Die ersten Proben lassen jedoch zu wünschen übrig. „Wenn wir im Studio wären, würd’ ich jetzt sagen: ,Noch einmal!‘“, brummt Norbert Rier. Niemand lacht. Dann werden alle Journalisten und Kamerateams aus dem Saal gebeten. Auch Moderator Andy Borg darf kurz Pause machen – und stellt sich in der Stadlwirtschaft den KURIER-Fragen.
Trotz der perfekten Tarnkleidung – sein Hemd ist genauso groß kariert wie die rot-weiß-roten Tischtücher (er sagt, das sei Zufall) –, wird er alle paar Sekunden von Neuankömmlingen entdeckt und unterbrochen.
Umarmungen, Schulterklopfen, Lachen. Hier wird Gelassenheit zur Schau gestellt. Doch die Nervosität ist spürbar. Andy Borg (legt den Kopf auf den Tisch in Richtung KURIER-Diktiergerät und spielt Moderator): Interview Andy Borg, 8. November, nein, heute ist schon der Neunte, morgen ist Sendung. Jetzt wird’s knapp.
KURIER: Sind Sie nervöser als sonst?
Andy Borg: Weil?
Hier heute extrem viel Medienrummel ist. Kamerateams aus Deutschland, Journalisten aus allen Eurovisionsländern. Steht der Stadl diesmal unter besonderer Beobachtung?
Nein, der Rummel ist immer so groß. Das Thema Kastelruther Spatzen ist nur ein bisschen im Vordergrund.
Wir halten fest: Andy Borg ist nicht nervöser als sonst.
Ich könnte nicht noch nervöser sein, als ich sonst beim Stadl bin. Jedes Mal, wenn diese schreckliche Eurovisionsfanfare erklingt, merke ich: „Ui, ich dusche!“ Und wenn ich dann die Treppe runtergeh’, ist mein Hemd so nass wie sonst nur nach einer Stunde Auftritt. Ich mach’ mir’s aber auch schwer, weil ich Halb-Playback singe.
Was heißt das?
Die Musik kommt aus der Dose, ich singe live.
Sind Sie also echt?
Fragen Sie das nicht, das outet Sie als völlig inkompetent. Es ist schwierig, das technisch für Nichtwisser zu erklären. Da müsste man damit anfangen, wie meine Stimme ins Mischpult kommt, von dort in den Saal, dann gesplittet wird, das Originalsignal danach in den Ü-Wagen geht und so weiter ...
Das heißt, mit dem Wort „echt“ fangen wir gar nicht erst an?
Echt oder unecht setzt ein Grundwissen voraus, das haben die Zuhörer nicht.
Die Zuhörer sind ziemlich verblüfft von der großmundigen Ankündigung des deutschen Fernsehens, es sei quasi eine Sensation, dass die Kastelruther diesmal live musizieren.
Also, da hab ich im ersten Moment auch geschmunzelt. Weil im Stadl ohnehin alles aus der Dose kommt?
Nein! Wir haben als einzige Sendung die Möglichkeit, auch live zu machen. Das kann sich jeder aussuchen.
Und wie viele machen’s live?
Diejenigen, die’s können.
Hand aufs Herz: Wieviel Prozent?
Die Hälfte. Oder mehr. Aber ich kann doch einem Nachwuchskünstler, der noch nervöser ist als ich, das nicht zumuten. Da sitzen die Eltern im Publikum, sind so nervös, das überträgt sich auf den Künstler!
Die Kastelruther Spatzen sind keine Nachwuchskünstler.
Genau. Sie sind die gefragteste Gruppe, die wir haben. In einer Liga mit Hansi Hinterseer, Helene Fischer und Andrea Berg.
Es soll angeblich 184 Fanclubs der Kastelruther Spatzen geben, von Italien bis Belgien.
184 Fanclubs und doppelt so viele Auftritte pro Jahr. Das bedeutet: Wenn ich die Kastelruther Spatzen hierher bestelle und sie live haben möchte, müssten die mit mir schon am Dienstag anreisen. Das hat technische Gründe. Wer zahlt da die Ausfallgagen? Sie müssten am Donnerstag und Freitag anderswo auf Auftritte verzichten. Das steht für einen Drei-Minuten-Auftritt in keiner Relation. Ich weiß, das ist sehr technisch gesprochen und interessiert die Leute nicht ...
Die Leute interessiert weniger der Live-Act, als die Tatsache, dass im Studio Fremdmusiker eingesetzt wurden.
Ohne da jetzt jemanden verteidigen oder anklagen zu wollen: Bei mir spielt auch Christian Zierhofer die Instrumente ein, und ich singe dann. Rein von der Musik her ist es doch bei den Kastelruthern in Wirklichkeit so: Die Stimme von Norbert Rier geht den Leuten unter die Haut. Was er singt, öffnet irgendwelche Poren. Warum das so ist, weiß man nicht. Es ist wie mit der Geige von David Garrett. Alle anderen spielen auch Geige, aber bei ihm öffnet sich etwas. Und so ist es mit Norbert Rier. Er ist die Kastelruther Spatzen.
Das Branchenblatt "Musikmarkt" prognostiziert gar einen „Kapitalschaden, der alle Vorurteile, die dem Genre seit Jahrzehnten nachhängen, bestätigen wird“.
Also das sehe ich nicht so. Ich glaube, all jene, die jetzt negativ schreiben und mit den Blättern rascheln, mögen die Kastelruther Spatzen sowieso nicht und würden sich im Leben keine CD von denen kaufen. Die, die ihr schwer verdientes Geld ausgeben, um bei einem Konzert zu sein oder eine CD zu kaufen, tun das, weil sie etwas dabei empfinden. Und ob da der Rudi oder der Schorsch der Bassist ist, ist dem Fan egal.
Geht es denn gar nicht um Leistung oder Können?
Schau’n Sie, das, was ich mache, kann von der Leistung her jeder. Ich bin ein Alleinunterhalter aus Floridsdorf, steh’ auf der Bühne und sage (macht ansatzlos die melodiöse Moderatorenstimme) : „Und als Nächstes kommen aus Südtirol die Kastelruther Spatzen ... Der Nächste: Hansi Hinterseer.“ Dann kommen alle zu mir und jubeln: „Hey, Suuuper-Show!“ Was hab ich denn gemacht? Ein paar Musiker angesagt, die die Leut’ gern sehen. Das war’s.
Sie klingen so erfrischend ehrlich. Dennoch hat ihre Branche einen leicht anrüchigen Ruf.
Was glauben Sie, wie oft jemand die Nase rümpft und sagt: „Was, du trittst in Festzelten auf?“ Ja! Weil man die Stimme, die ich habe, nur für diese Sparte Musik einsetzen kann. Und das ist gut so. Ich sag’ Ihnen was: Ein Klavier ist nie traurig, dass es keine Gitarre ist, und eine Gitarre will kein Klavier sein. Ich bin Schlagersänger und damit bin ich mehr als zufrieden.
In der Schlagerbranche wird ständig gesungen von großen Gefühlen, Ehrlichkeit, und der Liebe bis ans Ende aller Tage ...
Aber das ist doch überall so. Auf Deutsch versteht man nur besser, was die singen. Wenn Joe Cocker singt: „You Can Leave Your Hat On“ will der doch auch nur mit der Frau ins Bett. Ich singe (singt) : „Du hast so etwas, das reizt mich. Doch das ist's nicht nur allein. Ich fühle, ich möchte gerne ein Leben lang bei dir sein.“ Da landet man früher oder später auch im Bett.
Wieso muss man Menschen die heile Welt vorgaukeln?
Nicht vorgaukeln! Um Gottes Willen! Wir predigen das ja nicht, wir singen es nur. Und die Menschen, die vorm Fernseher sitzen, sind doch keine Trotteln. Die wissen genau, dass das Unterhaltung ist . Die sehen das sicher ein bisschen nüchterner, als diese Frage jetzt geklungen hat. Wir wollen doch nicht sagen: „Alles ist gut, es gibt keinen Krieg und keinen Hunger auf der Welt.“ Das tun wir sicher nicht.
Sondern, was sagen Sie?
Wir sind nur ein kleines Mosaiksteinchen in der Musik. Und wir sind handwerklich sicher nicht schlechter als Vertreter anderer Musikrichtungen. Ich behaupte: Die Guten sind gut.
Und die Schlechten schaffen es ohnehin nicht in den Stadl?
Die Schlechten gibt’s überall. Auch am Bau. Aber dort schaut niemand hin. Bei uns ist es gleich Thema, weil wir in der Öffentlichkeit stehen. Aber wir drängen uns ja überhaupt nicht auf. Heutzutage ist eine Fernbedienung nicht größer als dieses Diktiergerät. Wenn einer den Stadl einschalten kann, kann er ihn auch wieder ausschalten. Das kann ich nur raten.
Die oft öffentlichkeitswirksam inszenierten Liebesbeziehungen im Volksmusik-Universum werden bitterböse entlarvt von den deutschen Komikern Bastian Pastewka und Anke Engelke als „Anneliese und Wolfgang Funzfichler“. Können Sie darüber lachen?
Über Anneliese und Wolfgang? Göttlich! Auch „Switch Reloaded“ auf PRO 7 ist großartig. Wie die den Florian Silbereisen spielen (macht mit einer weit ausholenden Handbewegung den Silbereisen) : „HEY!“ Das ist genial. Man weiß schon gar nicht mehr, wer das Original ist.
Sie sind 1980 bei Peter Rapp in „Die große Chance“ aufgetreten“. War das der Grundstein Ihrer Karriere?
Ganz sicher. Im Nachhinein war das ein Lottosechser für mich. Denn dadurch ist Kurt Feltz auf mich aufmerksam geworden und hat „Adios Amor“ für mich geschrieben. Unsere „Große Chance“, ich war dabei! Und jetzt kommen alle daher mit „X-Factor“, „Voice of Germany“, „DSDS“. Aber ich finde Casting-Shows grundsätzlich wichtig, um neue Leute vorzustellen. Ohne „Die große Chance“ würden wir dieses Interview jetzt nicht führen.
Warum gibt es keine Casting-Show für volkstümliche Musik?
Ich weiß es nicht.
Wäre das Genre nicht perfekt?
Ich glaube nicht. Im Jahr 2012 muss einer schon ein biss’l schmissiger sein, so wie Sido. Unsere Musikrichtung, unser Publikum ist nicht so, dass man jemanden gern niedermacht. Das wäre dann aber im Fernsehen langweilig. Ich finde zum Beispiel auch den Gottschalk zu zahm, da muss dann der Dieter Bohlen her und was sagen.
Die Vertreter der Volksmusikbranche haben zu weiche Herzen, um sarkastische Meldungen à la Bohlen oder Sido zu schieben?
Wir sind dafür nicht zuständig. Musik ist ein Ausdrucksmittel. Und die Leute, die unsere Musik mögen, mögen es nicht, wenn man sagt: „Geh Oida, das ist gequirlte Scheiße, was du da spielst!“
Im Jahr 1990 traten Sie beim „Grand Prix der Volksmusik“ auf und landeten auf dem dritten Platz. Auf Platz eins – zufällig – die Kastelruther Spatzen.
Hey, da ist aber jemand gut informiert.
Haben Sie von damals noch eine Rechnung offen?
Nein. Wieso?
Man könnte ja fordern, dass den Kastelruthern der Sieg nachträglich aberkannt wird, so wie Lance Armstrong die Tour-de-France-Titel?
Also nein (lacht) . Damals haben garantiert alle live gespielt.
Möchten Sie noch jemanden grüßen lassen?
Nein, danke, brauch ich nicht, meine Frau ist hier, und meine Eltern kommen noch.
Zur Person: Andy Borg
1960 in Wien geboren, lernte Mechaniker und trat mit seiner Farfisa-Orgel 1980 beim Casting für „Die große Chance“ an. Er wurde ausgewählt und so der Komponist Kurt Feltz auf ihn aufmerksam. Mit seinem Lied „Adios Amor“ war Borg Nr. eins in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Zwei Dinge betont er: Dass er aus Floridsdorf stammt. Und dass ihm trotz des Erfolgs das Regionale am Stadl am Herzen liegt.
Familie
Vor den Stadl-Proben in Innsbruck geht Borg mit Ehefrau Birgit Hand in Hand durch die Halle. Seit 20 Jahren sind die beiden ein Paar. Borg ist zweifacher Vater aus erster Ehe. Mit Birgit verbinde ihn oft auch das Trennende, meint er. Ihr zuliebe habe er sich vor Kurzem alle vier Teile der „Dornenvögel“ angeschaut. Sie höre gern Andy Borg oder Nino de Angelo, er hingegen Joe Cocker, Fendrich oder Grönemeyer
Zur Sendung: Musikantenstadl
Die erfolgreichste Sendung der Volksmusik begann am 5. März 1981 in der Stadthalle. Nach 165 Sendungen mit Karl Moik, übernahm Borg 2006 das Mikro. Im Stadl wurden Karrieren begründet, von Stefan Mross bis Hansi Hinterseer. Große Gäste waren Harald Juhnke, Harald Schmidt oder Larry Hagman. Auch Peter Rapp war zu Gast. Er hat Borg 1980 im ORF entdeckt, die Sendung hieß: „Die große Chance“.
Zahlen und Fakten
Aufbau und Dekoration für die Show dauern eine Woche, geprobt wird zwei Tage. Die Bühne ist bis zu 65 Meter breit, 570 bis 720 Scheinwerfer kommen pro Show zum Einsatz. Für die Eurovisonsübertragung wird gefilmt mit: neun Kameras, zwei Funkkameras, einer Krankamera und einer Steadicam. Regie führt Kurt Pongratz. ORF-Sendungsverantwortlicher ist seit 2012 Florian Illich.
„Zugabe, Zugabe“ jubeln 3000 Stadl-Fans am Samstagabend in der Innsbrucker Olympiahalle, als die Kastelruther Spatzen die letzten Takte von „Eine weiße Rose“ verklingen lassen.
Kurz vor 22 Uhr, da hatten die Musiker um Frontman Norbert Rier live in Saiten und Tasten gegriffen, um zu beweisen, dass sie auch auf der Bühne halten, was sie auf Tonträgern harmonisch mit Studiomusikern versprechen – Damit auch die letzten Zweifel am Können der Musikanten verstummen. Zuvor hatten die berühmtesten sieben Spatzen Südtirols das Titellied ihres jüngsten Albums „Leben und leben lassen“ zum Besten gegeben. Ebenfalls live. (Was für derartige Sende-Formate übrigens eher unüblich ist. Auch gestern waren Live-Auftritte die Ausnahme. Doch das tat der Stimmung keinen Abbruch.)
Erleichterung
„Das war ein total gutes Gefühl“, strahlte Norbert Rier nach dem Auftritt noch hinter der Bühne im KURIER-Gespräch. „Kurz vorher war ich noch richtig fertig.“ Aber der viele Zuspruch von Fans, Musiker-Kollegen und Komponisten habe ihnen in den letzten Tagen Kraft gegeben.
Die Spatzen seien gar keine richtigen Musikanten, lautet der Vorwurf ihres ehemaligen Komponisten Walter Widemair, nur Norbert Riers charakteristische Stimme klinge auch von den CDs, die Instrumente spielten Studiomusiker ein.
Mit seinem Buch „Wenn Berge nicht mehr schweigen“ hatte Widemair die Lawine ins Rollen gebracht: In Passagen, die von der Bild veröffentlicht wurden, packte er über den vermeintlichen Studio-Schwindel aus und bezeichnete die Spatzen als „gierig-geizig-geil“.
Dass im Tonstudio professionelle Studiomusiker die Mannen um Rier ersetzt haben, wird von den Kastelruther Spatzen erst gar nicht bestritten. Die mitwirkenden Musiker seien stets im CD-Booklet veröffentlicht worden, betonen sie. Dies sei weltweit und über alle musikalischen Genres üblich.
Manch einer erinnert sich vielleicht noch, dass Ähnliches 2004 in Innsbruck sogar vor Gericht zur Sprache kam. Geklagt hatte Ex-Schürzenjäger Günther Haag die Truppe, oder vielmehr die Tramplan Company von Peter Steinlechner und Alfred Eberharter wegen noch offener Tantiemen. Ein Hamburger Produzent gewährte als Zeuge Einblicke in die Gepflogenheiten der Branche: Etwa, dass ein Schürzenjäger-Album auf den Markt kam, obwohl nur ein Band-Mitglied, und zwar Sänger Peter Steinlechner, daran mitgewirkt hat. „Viele Top-Künstler, die gute Live-Bands haben, arbeiten bei Aufnahmen mit Studiomusikern“, sagte der Produzent.
Indes lässt Helmut W. Brossmann, Medienmanager der Kastelruther Spatzen, auf deren Homepage seiner Wut über Widemair freien Lauf. Als „Spatzenjudas“, der sich „in mentalen Presswehen und geistigen Blähungen ergießt“, bezeichnet er ihn.
Wie auch immer der Zwist im musikalischen Alpenidyll ausgeht: Ein unglaubliches mediales Interesse ist allen Beteiligten gewiss. Dem Musikantenstadl, den Spatzen und nicht zuletzt ihrem „Spatzenjudas“. Wie heißt doch der zweite Titel im neuen Album: „Nach dem Glück ist vor dem Glück.“ Gertraud Walch