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Der Dissident ohne Reisepass

Ai Weiwei ist der Monolith in der zeitgenössischen Kunst: Chinesischer Dissident, Sozialkritiker, abstrakter Aufarbeiter seiner Jahrtausende alten Kultur.

Wenn am Mittwoch im Berliner Martin-Gropius-Bau die spektakuläre Ausstellung "Ai Weiwei – Evidence" feierlich eröffnet wird, wird der 56-Jährige gegen seinen Willen fehlen: Der Künstler wird nach wie vor in seiner Heimat festgehalten und auf Schritt und Tritt überwacht.

Seit drei Jahren hat er auch keinen Reisepass mehr, worauf er mit einem für ihn typischen subversiven Akt aufmerksam macht: Jeden Tag bringt Ai Weiwei frische Schnittblumen vor seine Haustür, um sie einem dort stehenden Fahrrad in den Korb zu legen. Fotografisch festgehalten, bietet die stille Protestaktion eine Zeitleiste des pazifistischen Widerstandes gegen die eigene Regierung, die ihn mit solchen Verboten schikaniert.

Persönliches Bild

Wer sich nicht auf den weiten Weg nach Berlin begeben will, kann den heutigen Fernsehabend dazu nutzen, Ai Weiwei und der spektakulären Ausstellung näherzukommen. Die 21.35 Uhr auf Arte ausgestrahlte Doku "Ai Weiwei – Evidence" zeigt ein von der Kunsthistorikerin und Filmemacherin Grit Lederer eingefangenes, sehr persönliches Bild von der Arbeit des Künstlers.

Lederer und ihr Kameramann waren mit einem Touristenvisum nach Peking gereist, sie als "Hausfrau", er als "Lehrer", nur eine einfache Kamera im Gepäck. Wie jeder Gast wurden sie vor dem Haus von einem halben Dutzend Überwachungskameras empfangen. Im Inneren stoßen sie zwischen zahllosen Katzen und vielen Helfern nur auf offene Türen.

Ai WeiWei nimmt die Gäste aus Deutschland mit in die eine Fahrstunde von Peking entfernte Fabrikhalle, in der seine großen Werke gefertigt werden. Mehr als 6000 meist historische Schemel aus der Ming Dynastie, die zentrale Installation der Berliner Ausstellung, wurden dort renoviert. "Es sind die letzten Objekte, die Familien mit ihrer Vergangenheit verbinden", sagt Ai nicht ohne Pathos: "Ich bin wie einer der Hocker, der zurückbleibt."

Wenig Freude wird das von ihm kritisierte Regime auch mit jenem Teil der Ausstellung haben, in der er die Zelle, in der er ohne Angabe von Gründen 81 Tage lang festgehalten wurde, originalgetreu nachbaut.