Wirtschaft

Arme werden ärmer, Reiche reicher

Entgegen der Entwicklung vor allem im Süden Europas haben sich die Auswirkungen der Wirtschaftskrise seit 2009 „relativ moderat“ auf den Lebensstandard in Österreich ausgewirkt. Der Sozialbericht, der am Montag von Sozialminister Hundstorfer vorgestellt wurde zeigt, dass etwa 855.000 Bürger mit langfristig manifester Armut konfrontiert sind, doppelt so viele wie noch 2005. Als manifest arm gelten 6,2 Prozent der Österreicher, etwas mehr als noch 2005 (4,6 Prozent). Abgenommen hat die Zahl der von Armut gefährdeten Menschen (Jahreseinkommen von weniger als 12.371 Euro): 2010 waren 1,3 Millionen davon betroffen, um 160.000 Menschen mehr als im Jahr 2008.

Zu Erklärung: Die Sozialwissenschaft versteht unter „manifest arm“ jene Menschen, die maximal 40 Prozent des Medianeinkommens (gemittelter Wert, nicht Durchschnittswert) verdienen und etwa ihre Wohnung nicht heizen oder regelmäßige Zahlungen nicht leisten können. Langfristig manifest arm sind jene Menschen, die das über zwei aufeinanderfolgende Jahre erleben.
Mit fast 20 Prozent waren Kinder und Jugendliche besonders stark von Armut betroffen, 37 % der Alleinerzieherinnen und fast ein Drittel der Frauen ohne Pension gehören ebenso zu den gefährdeten Gruppen.

Große Vermögen

Alle Inhalte anzeigen
Der Sozialbericht beschreibt außerdem die ungleichmäßige Verteilung von Sach- und Finanzvermögen: Demnach besitzen die obersten fünf Prozent durchschnittlich 2,5 Millionen Euro, die untere Hälfte der Haushalte im Schnitt nur 18.000 Euro (siehe Grafik).
Bemerkenswert ist, dass die Einkommen aus Löhnen langsamer steigen als jene aus Vermögen, Mieten oder von Unternehmen: Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist von 75 Prozent (anno 1995) auf 67 Prozent gesunken. Der Anteil der Löhne der untersten 20 Prozent am gesamten Bruttolohneinkommen liegt nur mehr bei knapp zwei Prozent, das bestverdienende Fünftel erwirtschaftet 47,4 Prozent des Bruttolohneinkommens.

Sozialquote sinkt

Allerdings, betont der Sozialbericht, reduzieren die sozialen Transferleistungen des Staates die Schieflage bei den Einkommen mittels Steuern und Sozialtransfers. Das kostete den Staat zuletzt rund 29,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Diese Sozialquote ist seit 2009 gesunken, damals gab es mit 30,8 Prozent einen Rekord, 2010 lag sie bei 30,4 Prozent. In die Sozialquote eingerechnet sind alle sozialen und gesundheitsbezogenen Leistungen.
Bis zum Jahr 2030 rechnen die Studienautoren trotz Alterung der Gesellschaft lediglich mit einem „geringen Anstieg der Sozialquote“.

Das als Alternative zum Zivildienst angedachte freiwillige „Soziale Jahr“ könnte mehr Menschen als bisher motivieren, einen Sozial- oder Pflegeberuf zu ergreifen. Dies hofft zumindest der Verband der österreichischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen, zu dem sich rund 300 Arbeitgeber aus der Sozialwirtschaft zusammengeschlossen haben: „Allein in der Pflege werden bis 2020 zusätzlich 17.000 Arbeitskräfte benötigt, da könnte das Soziale Jahr bei der Nachwuchsförderung schon sehr hilfreich sein“, sagt Verbands-Vorsitzender Wolfgang Gruber. Mit dem freiwilligen Sozialjahr haben Männer und Frauen ab 18 die Möglichkeit, um 1386 Euro im Monat Erfahrungen im Sozial-, Gesundheits- und Pflegebereich zu sammeln. Da im Unterschied zum Zivildienst nicht nur ein Jahrgang zur Verfügung steht, besteht die Hoffnung, dass viele das Soziale Jahr zum beruflichen Ein- oder Umstieg nutzen werden. Gruber kann sich auch ein Maßnahmen-Mix aus freiwilliger und bezahlter Arbeit vorstellen. Er betont aber, dass es zu keinen zusätzlichen Kostenbelastungen kommen dürfe.

Wachstumsbranche

Österreichweit sind rund 400.000 Personen im Gesundheits- und Sozialwesen beschäftigt. Der Sektor erwirtschaftet jährlich rund 16,7 Milliarden Euro und zählt zu den Wachstumsbranchen. Der neue Verband Sozialwirtschaft Österreich, darunter Volkshilfe, Lebenshilfe, Hilfswerk oder Pro Mente, verhandelt den Kollektivvertrag für rund 100.000 Beschäftigte.
Gruber verweist darauf, dass durch die Zunahme an älteren Personen und Änderungen in den Familienstrukturen der Bedarf an sozialen Dienstleistungen in den nächsten Jahren stark steigen wird. Die Finanzierung sei trotz Pflegefonds aber keineswegs gesichert. „Ohne Investitionen in die Sozialwirtschaft bricht die Gesellschaft auseinander“, mahnt Volkshilfe-Chef Erich Fenninger mit Verweis auf Griechenland. anita staudacher