Wirtschaft

AMS-Wien-Chefin: "Wien braucht eigenes Job-Paket"

Der erhoffte "Song-Contest-Schub" für den Wiener Arbeitsmarkt ist im Mai völlig ausgeblieben. Im Gegenteil. Mit einem Plus von 24 Prozent auf 120.234 Betroffene stieg die Arbeitslosigkeit fast doppelt so stark wie im Österreich-Schnitt. AMS-Wien-Chefin Petra Draxl rechnet mit dieser Dynamik noch mindestens bis Jahresende. Hauptgrund dafür sei die starke Zuwanderung. Sie fordert daher rasch eine massive Aufstockung der AMS-Mittel für Deutsch-Kurse und Qualifizierungen von anerkannten Flüchtlingen.

KURIER: Was sind die Hauptgründe für die akute Job-Misere in Wien?

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Petra Draxl: Es geht nicht nur Wien schlecht, es gibt derzeit generell ein Ost-West-Gefälle am österreichischen Arbeitsmarkt (siehe Grafik rechts). Wien hat das mit Abstand größte Bevölkerungswachstum und damit ein erhöhtes Arbeitskräfteangebot. Die Jobs, die zur Verfügung stehen, können mit dieser Dynamik nicht mithalten. Als AMS tun wir uns daher schwerer als andere Bundesländer, hier gegenzusteuern.

War es ein Fehler, angesichts stark steigender Arbeitslosigkeit die Schulungen zurückzufahren und wie lange werden sich diese Kürzungen noch statistisch auswirken?

Wir gehen davon aus, dass das bis Jahresende noch einen massiven Effekt haben wird. Das wird sich erst nächstes Jahr einpendeln. Eingespart wurden vor allem Aktivierungskurse, die bei guter Arbeitsmarktlage durchaus Sinn machen. Aber wohin sollen wir Arbeitslose aktivieren, wenn sie nicht nachgefragt werden? Wir müssen uns anderen Themen, wie etwa der Job-Integration von Zuwanderern, stärker widmen.

Aber auch bei den Deutsch-Kursen wurde gespart ...

Ja, wir mussten überall kürzen. Mit zusätzlichen Mitteln sind wir jetzt zwar wieder auf dem Niveau vor den Kürzungen (19.000 Plätze, Anm.), aber wir bräuchten angesichts der neuen Flüchtlingswellen noch viel mehr Kurse.

Ab wann sollen Flüchtlinge arbeiten dürfen?

Ich bin für rasche Verfahren, um zu klären, ob jemand hierbleiben darf oder nicht. Es bringt nichts, die Menschen in die Schwarzarbeit zu treiben, weil sie lange auf Entscheidungen warten müssen. Wer als Asylwerber anerkannt wird, darf auch arbeiten und kann zum AMS kommen.

Flüchtlinge aus Syrien werden rasch anerkannt und dürfen daher auch arbeiten. Derzeit sind aber 2700 von ihnen beim AMS gemeldet. Wie schwierig ist es, sie zu vermitteln?

Es ist keineswegs einfach, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Etwa 20 Prozent von ihnen sind hoch qualifiziert, doch auch sie haben es schwer, bei uns einen Berufsanschluss zu finden. Es geht vor allem um gute Deutsch-Kenntnisse und die Anerkennung von erworbenen Abschlüssen oder darum, Ausbildungen nachzuholen. Dafür bräuchten wir aber ein eigenes Wiener Arbeitsmarktpaket, also einen eigenen Topf, womit diese Maßnahmen finanziert werden können.

Um wie viel Geld geht es?

Die Regierung sollte 30 Millionen Euro für Deutsch-Kurse extra zur Verfügung stellen, allein Wien bräuchte 25 Millionen Euro. Und dazu hätte ich gerne noch einmal 25 Millionen Euro für Ausbildungsmaßnahmen für Zuwanderer, um ihre Job-Integration zu verbessern.

Sind Sprachkurse wirklich Aufgabe des AMS?

Es ist zwar keine ursächliche Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik, aber Zuwanderer müssen Deutsch können, um in Österreich arbeiten zu können. Es ist etwa für Syrer oder Afghanen außerhalb ihrer Communitys unglaublich schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden. Es gibt oft Aufnahmetests, da müssen sie die Sprache einfach beherrschen. Wir müssen hier mehr für den Berufseinstieg tun, ansonsten bleiben Flüchtlinge als Mindestsicherungsbezieher in der Arbeitslosenstatistik.

Apropos Mindestsicherung: 2000 Jugendliche, die diese in Wien beziehen, haben sich nie beim AMS gemeldet. Was läuft hier schief?

Da haben wir beim AMS Info-Defizite. Wir wissen bei unter 18-Jährigen nicht, ob jemand Mindestsicherungs-Bezieher ist oder nicht. Bei allen anderen Altersgruppen bekommen wir die Daten automatisch reingespielt, aber bei den Jüngeren eben nicht. Die werden dadurch nicht ausreichend betreut. Wir werden das Thema jetzt verstärkt angehen (Geplant ist u. a. eine eigene Anlaufstelle, Anm.). Wir schauen uns ferner auch die Hamburger Jugendarbeit an, um zu erfahren, wie das in anderen Städten funktioniert.

Was erwarten Sie sich vom angekündigten Arbeitsmarktgipfel der Regierung?

Es sollte endlich unterschieden werden zwischen dem Ballungsraum Wien und den Rest von Österreich. Wien muss mit seinen bald zwei Millionen Einwohnern und den vielen Einpendlern aus Niederösterreich und Burgenland mit Städten wie Hamburg oder Berlin verglichen werden und nicht mit Kitzbühel oder Gröbming. 58 Prozent unserer Arbeitslosen hier haben einen Migrationshintergrund, 53 Prozent maximal einen Pflichtschulabschluss. Wir brauchen daher ein eigenes Arbeitsmarktpaket, das einem Ballungsraum gerecht wird.

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Ende Mai gab es in Österreich fast 400.000 Arbeitslose, um 65.000 mehr als 2014. Erstmals gab es ein deutliches Ost-West-Gefälle beim Anstieg. Ein Grund dafür ist der aktuell starke Arbeitskräfte-Zuzug in den Raum Wien. Der Westen profitiert wiederum stärker vom Wirtschaftsaufschwung in Deutschland.

Trotz massiv steigender Arbeitslosenzahlen scheint es die Regierung mit Gegenmaßnahmen nicht eilig zu haben. Ein für Anfang Juni geplanter Arbeitsmarktgipfel wurde kurzerhand wieder abgesagt und auf "spätestens Juli" verschoben. Offenbar herrscht keine Einigung darüber, welche Mittel gegen die Job-Misere ergriffen werden sollen. Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl lehnt ein "Bonus-Malus-System" für Betriebe zur Ankurbelung der Beschäftigung von über 50-Jährigen weiter strikt ab. Stattdessen sollten Firmen mit zusätzlichen Eingliederungsbeihilfen zur Anstellung von Älteren animiert werden.

Diese Lohnsubvention gibt es bereits, sie bleibt jedoch teilweise beim AMS liegen, bestätigt AMS-Wien-Chefin Petra Draxl: "Die Mittel werden nicht ausgeschöpft. Die Unternehmen wägen zwischen Förderung und Beschäftigungsmöglichkeiten, die für sie vielleicht noch günstiger sind, genau ab." Solange es kein Wirtschaftswachstum gebe, werde trotz Förderungen kaum Personal eingestellt, meint Leitl und hält wenig davon, "nur in den AMS-Töpfen umzurühren, um die Arbeitslosigkeit zu verwalten".