Wirtschaft

Arbeitskräfte in den Westen locken? IHS-Chef für Mobilitätsprämie

Der neue IHS-Chef, Holger Bonin, schlägt eine vom Arbeitgeber zu bezahlende steuerfreie Mobilitätsprämie für Beschäftigte vor. Damit könne etwa Tourismus-Fachkräften aus Ostösterreich der Wechsel nach Westösterreich erleichtert werden, sagte Bonin im APA-Interview. Für den Arbeitskräftemangel gebe es aber nicht "die eine Lösung", sondern man müsse an "vielen kleinen Stellschrauben" drehen. Im 1. Quartal zählte die Statistik Austria rund 228.300 offene Stellen in Österreich.

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Derzeit gibt es mit der sogenannten "Entfernungsbeihilfe" eine finanzielle Unterstützung des Arbeitsmarktservice (AMS) für Arbeitslose, die eine von ihrem Wohnort weit entfernte Arbeitsstelle annehmen. Auch Lehrlinge können die Beihilfe beziehen.

Fokus sollte zuerst auf Frauen in Teilzeit, Ältere, Arbeitslose und mobilitätswillige, inländische Arbeitskräfte liegen 

Bonin empfiehlt der Regierung und den Unternehmen bei der Bekämpfung des Arbeitskräftemangels, sich zuerst auf Frauen in Teilzeit, Ältere, Arbeitslose und mobilitätswillige, inländische Arbeitskräfte zu konzentrieren. "Wir werden das Problem der alterungsbedingten Arbeitskräfteengpässe nicht durch Zuwanderung lösen. Das ist zahlenmäßig nicht zu erwarten", so der Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Eine zentrale Stellschraube sei "das Ausschöpfen der inländischen Potenziale", Zuwanderung sei nur "ein Element von vielen".

Teilzeitfalle: Für Bonin ist im Hinblick auf Kinderbetreuung einiges zu tun

Großen Handlungsbedarf in Österreich sieht der IHS-Chef bei der Kinderbetreuung. "Frauen stecken auch in der Teilzeitfalle, weil es schwierig ist, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, weil eine verlässliche, ganztägige Kindertagesbetreuung fehlt", sagte der deutsche Arbeitsmarktökonom. In diesem Bereich müsse es Lösungen von der Politik und den Unternehmen geben. Die Arbeitgeber hätten zunächst eine Bringschuld, "an diesen Dingen zu arbeiten, etwa flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice-Modelle oder einen Betriebskindergarten anzubieten", so Bonin.

Wie groß sind die Gefahren durch KI und Künstliche Intelligenz und Automatisierung?

Massenarbeitslosigkeit durch Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung erwartet der IHS-Direktor nicht. Zentral sei die Requalifizierung von Arbeitskräften. "Wir dürfen nicht warten, bis die Menschen arbeitslos durch die KI geworden sind. Wir müssen früher die Warnzeichen sehen. Das ist eine Aufgabe des AMS, aber auch der Unternehmen", sagte der Ökonom. Ein abnehmendes Arbeitskräfteangebot durch Demografie könne "ein Treiber für technologischen Wandel und Automatisierungsprozesse sein".

Arbeitszeitverkürzung, Vermögenssteuer, Mieten, Sozialpartner

Als designierter IHS-Chef hatte Bonin in den vergangenen Wochen zahlreiche Medieninterviews gegeben: Er sieht keine Notwendigkeit für eine gesetzlich geregelte Arbeitszeitverkürzung, lehnt eine Vermögenssteuer ab, kann sich aber eine Erbschaftssteuer gekoppelt an eine Senkung der unteren Lohn-Steuerklassen vorstellen. Auch die Indexierung der Mieten mit dem Verbraucherpreisindex (VPI) hält er für falsch. Über eine Verlängerung der Kollektivvertragslaufzeiten sollten die Sozialpartner laut Bonin angesichts der hohen Inflation auch verhandeln. "Die KV-Laufzeit muss aber nicht generell auf 18 oder 24 Monate erhöht werden. Da bin ich falsch verstanden worden", so der Arbeitsmarktökonom zur APA. In Deutschland werde neben der Lohnhöhe auch immer über die Laufzeit verhandelt.

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Erstmals äußerte sich Bonin zur Grundsteuer. Dies sei "eine sinnvolle Steuer". In Österreich liegt der für die Grundsteuer maßgebliche Immobilien-Einheitswert in der Regel wesentlich unter dem Verkehrswert/Marktwert. "Ich bin ein Freund davon, das zu aktualisieren."

Welche Pläne Bonin für das Institut für Höhere Studien hat

Der deutsche Arbeitsmarktökonom will das interdisziplinäre Profil des 1963 gegründeten Instituts mit seinen knapp 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewahren. Am IHS arbeiten Wissenschaftler aus den Bereichen Volkswirtschaftslehre sowie Sozial- und Politikwissenschaft zusammen. Die aktuelle Struktur der Forschungsgruppen soll nicht geändert werden. Als neuer IHS-Direktor will Bonin die Forschung in den Querschnitts-Themenbereichen Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Polarisierung ausbauen. "Unsere Arbeit muss sowohl von großem Nutzen für die Gesellschaft als auch wissenschaftlich exzellent und integer sein", kündigte der Ökonom anlässlich seiner Designierung an.

Der deutsche Ökonom hat per 1. Juli die Leitung des IHS in Wien übernommen. Seit dem Wechsel des damaligen IHS-Chefs Martin Kocher in die Politik Anfang 2021 fungierte der emeritierte Wirtschaftsprofessor Klaus Neusser als interimistischer Direktor. Nach IHS-Langzeitchef Bernhard Felderer (1991-2012) hatte das Institut fünf verschiedene Chefs. Die Direktorensuche gestaltete sich mehrfach schwierig und interimistische Leiter mussten einspringen. Nach langem Hin und Her sagte der deutsche Ökonom Lars Feld Anfang 2022 kurzfristig für den IHS-Chefposten ab. Bonin hat nun einen Fünfjahresvertrag als IHS-Chef mit Verlängerungsoption und dafür seine Professorenstelle an der Universität Kassel sowie seinen Forschungsdirektor-Posten am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) aufgegeben. "Ich werde mich mit voller Kraft dem IHS widmen", sagte Bonin.

Das IHS hatte zuletzt ein Jahresbudget von 12 Mio. Euro zur Verfügung. Die Hälfte des Budgets entfiel auf eine Basisförderung durch Finanzministerium, Nationalbank, Wirtschaftskammer und Universität Wien. Die OeNB wird ab kommendem Jahr aber nicht mehr automatisch eine Basisabgeltung an IHS, Wifo und wiiw leisten, sondern die Forschungsförderung ausschreiben. Drittmittel, vor allem projektbezogene Förderung und Forschungsprojekte machen die andere Hälfte des IHS-Gesamtbudgets aus. Die Drittmittelquote liegt damit bei 50 Prozent. Derzeit laufen die Verhandlungen für das IHS-Budget 2024-2026 mit den Fördergebern.

Bonin verwies auf die renommierten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ifo, DIW, ZEW, deren Drittmittelquote bei etwa 30 Prozent liegt. "Dorthin muss man sich bewegen." Durch eine Erhöhung der nicht gebundenen öffentlichen Fördermittel könne man mehr Grundlagenforschung und eine bessere Daten- und Modellinfrastruktur liefern.