Wirtschaft

Etwas Sand im deutschen Getriebe

Deutschland, Österreichs mit Abstand wichtigster Wirtschaftspartner, wirkt wie die derzeitige Wetterphase: Regnerisch mit einzelnen Sonnenphasen. Das Land, das sich nach den Mühen der Wiedervereinigung zum Konjunkturmotor Europas gearbeitet hat, zeigt Ermüdungserscheinungen. Schon sagen die ersten Ökonomen, dass Deutschland durchaus in eine Rezession rutschen, dass also die Wirtschaftsleistung sinken könnte.

Im Frühjahrsquartal legte die Konjunkturlok auch tatsächlich schon den Retourgang ein – das Bruttoinlandsprodukt fiel um 0,2 Prozent schwächer aus als im Quartal davor. Dieser schwarze Fleck auf der weißen Weste wird etwas blasser, wenn man weiter zurückblickt. Denn der Rückgang wird vor allem darauf zurückgeführt, dass es im ersten Quartal – wegen des milden Winters – unerwartet gut gelaufen ist. Im gesamten ersten Halbjahr lag die Wirtschaftsleistung Deutschlands um 0,8 Prozent über dem zweiten Semester 2013 und um 1,2 Prozent über dem Startsemester des Vorjahres.

Unrund

In naher Zukunft dürfte der Wirtschaftsmotor allerdings deutlich unrunder laufen. Im laufenden Quartal wird es erneut einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts geben. Angesichts der globalen Krisenherde, vor allem wegen des Ukraine-Russlands-Konflikts, halten sich die Unternehmen mit Investitionen zurück. Schon im Frühjahr wurde weniger für Maschinen und Anlagen ausgegeben, die Bauinvestitionen sanken kräftig. Produktionserweiterungen werden auf Eis gelegt, weil sich die Exporte nur schwach entwickeln.

Konsum

In diesem Umfeld erweisen sich die Konsumenten als äußerst treu – sie gaben im Frühjahr mehr aus als zu Jahresbeginn. Das mag damit zu tun haben, dass die Deutschen lieber Geld ausgeben, als es zu Minizinsen auf die Seite zu legen. Vor allem aber steckt der robuste Arbeitsmarkt dahinter. Die Zahl der Arbeitslosen ist mit etwas mehr als 2,9 Millionen so tief wie zuletzt 1991. Mit der Arbeitslosenquote zählt Deutschland – wie bisher nur Österreich – zu den EU-Musterschülern (siehe Beitrag rechts).

Warnlampen

Ökonomen warnen allerdings davor, dass es rasch wieder mehr Arbeitslose geben könnte, wenn sich die Wirtschaft schwächer entwickelt als erhofft. In der Industrie gibt es bereits erste Anzeichen. "Im deutschen Industriesektor blinken derzeit die Warnlampen", sagte Markit-Experte Oliver Kolodseike am Montag. Aus einer Umfrage des Markit-Instituts geht hervor, dass die deutschen Industrieunternehmen im August den dritten Monat in Folge Jobs abgebaut und Bestellmengen reduziert haben.

Bisher war der Arbeitsmarkt aber solide. Mehr Beschäftigte, höhere Löhne – das lässt die Steuereinnahmen sprudeln. Für das erste Halbjahr meldet der deutsche Staat sogar einen Überschuss von 16,1 Milliarden Euro oder 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ein derart dickes Plus gab es zuletzt im zweiten Halbjahr 2000. Damals hatte es allerdings wegen der UMTS-Handylizenz einen Sondereffekt gegeben. Das Plus lässt Deutschland Freiraum für Investitionen – und damit für Jobs.

Bislang war Österreich alleiniger Sieger beim Vergleich der Arbeitslosigkeit durch die Statistikbehörde Eurostat. Wegen des kontinuierlichen Anstiegs der Arbeitslosenzahlen muss sich Österreich nun den ersten Platz in der EU mit Deutschland teilen. Für beide Länder hat Eurostat einen Wert von 4,9 Prozent ausgewiesen. Bei der Jugendarbeitslosigkeit hat der nördliche Nachbar die Alpenrepublik allerdings um 1,5 Prozent abgehängt.

Bislang ist es nicht gelungen den negativen Trend am heimischen Arbeitsmarkt umzukehren. Im August 2014 waren um 10,1 Prozent mehr ohne Job als im August 2013. Insgesamt suchen derzeit 355.643 Personen nach Arbeit.

Ursachen für die Spirale nach oben sind das geringe Wirtschaftswachstum und das wachsende Potenzial an Arbeitskräften. Verglichen mit dem Vorjahr sind derzeit um rund 62.000 Personen mehr auf Jobsuche.

Keine Aussicht auf Besserung

Es gibt auch keine Aussicht auf Besserung der angespannten Lage. Erst vor kurzem hatte die Österreichische Nationalbank ihre Prognose für das Wachstum der heimischen Wirtschaft auf 0,9 Prozent gesenkt. „Es ist davon auszugehen, dass auch die Forschungsinstitute in ihrem Quartals-Prognosen die Aussichten nach unten revidieren werden“, blickt Sozialminister Rudolf Hundstorfer besorgt in die Zukunft. Neue kreative Lösungsansätze sind nicht zu erwarten. Hundstorfer drängt wie auch Arbeiterkammer und Gewerkschaft erneut auf eine „deutlich spürbare Steuerentlastung zur Steigerung der Kaufkraft“. Die Industriellenvereinigung warnt erneut vor neuen Steuern.

Jedenfalls kann die Regierung nicht behaupten der negative Trend sei nicht vorhersehbar gewesen. Zu Jahresbeginn waren die Prognosen für das Wirtschaftswachstum deutlich besser. Bereits damals hat AMS-Vorstand Johannes Kopf eine weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit prognostiziert. Erst ab Mitte 2015 könne mit einer Verbesserung der Lage gerechnet werden. Bis dahin werde das Arbeitskräftepotenzial stärker wachsen als das Angebot an Jobs.

Der Vorschlag von Kopf für eine Umverteilung der Pensionsbeiträge wurde von Hundstorfer prompt abgelehnt. Der AMS-Chef wollte erreichen, dass die Pensionsbeiträge von älteren Arbeitnehmern größtenteils von den Arbeitnehmern selbst bezahlt werden. Für die Pensionsbeiträge der Jüngeren hatten die Arbeitgeber aufkommen sollen.

Denn nach wie vor sind vor allem Ältere, Ausländer und Personen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Bundesländer mit den stärksten Zuwachsraten waren Wien (+ 14,4 Prozent), Oberösterreich (+12,5 Prozent) sowie Salzburg (+10,7 Prozent).