Angela Merkel, die Chefin von Europa?
Von Daniela Kittner
Als Kanzlerin Angela Merkel vor einigen Monaten Spanien besuchte, schrieben dortige Medien: "Die Chefin kommt." Am Rande des letzten EU-Gipfels trug "la cancelliera" Berlusconi auf, Italien müsse kräftige Sparpakete schnüren. Der luxemburgische Premier Juncker grantelte wiederum, Merkel würde, weil sie ihr Parlament mit der deutschen Euro-Haftung befasst, drängende EU-Entscheidungen verzögern.
Merkel, die Chefin von Spanien und Italien? Luxemburg, das dem deutschen Bundestag vorschreibt, worüber er abzustimmen hat? Und zum Drüberstreuen blafft Sarkozy Cameron an, er soll den Mund halten.
Nichts demonstriert besser als diese Szenen, dass die EU mit ihrem Management am Ende ist. Politik vorbei an den nationalen Parlamenten, Sparpakete als Diktat ohne Rücksicht auf Arbeitsmärkte und Konjunktur - so erzeugt man soziale Spannungen und ein Ohnmachtsgefühl der Bürger. Die Schuldenkrise legt den Kern des EU-Problems frei: mangelnde Demokratie.
Natürlich ist es richtig, Druck auf die Schuldnerländer zu machen, die Gemeinschaftswährung nicht zu gefährden und die Kosten für die Zahler-Länder nicht noch weiter in die Höhe zu schrauben. Aber das kann nicht das Pouvoir einzelner Mitgliedsstaaten sein. Dieses Pouvoir muss bei der EU liegen, bei EU-Politikern, die demokratisch gewählt sind. In der europäisch-demokratischen Tradition sind die Parlamente der Transmissionsriemen des Wählerwillens. Derzeit obliegen Budget, Steuern und Soziales der Hoheit der nationalen Parlamente. Solange das so ist und der EU-Vertrag nicht geändert wird, muss man in Kauf nehmen, dass Entscheidungsprozesse lange dauern. Parlamentsentscheidungen auf Druck der Finanzmärkte wegzurationalisieren -, das kann wohl nicht die Konsequenz aus der Krise sein. Griechenland, von der Wiege zum Sargnagel der europäischen Demokratie?
Binnenmarkt gefährdet
Aber selbst wenn man die großen Linien der Wirtschafts- und Budgetpolitik an eine demokratisch legitimierte EU-Regierung überträgt, stellt sich das nächste Problem, am besten sichtbar am Euro-Rettungsschirm. Der EFSF wird gespeist von den 17 Mitgliedern der Eurozone. Stimmen dann Briten, Polen, Rumänen und Schweden im EU-Parlament ab, wie viel die Euro-Länder zahlen müssen? Eine Antwort darauf gibt Johannes Voggenhuber, österreichisches Mitglied im letzten EU-Konvent: "Den Euro haben alle EU-Länder mitbeschlossen, es haben ihn nur einige nicht als Währung eingeführt. An der Euro-Rettung müssten sich daher alle EU-Länder beteiligen, schon deswegen, weil es nicht nur um die Währung geht, sondern der EU-Binnenmarkt auf dem Spiel steht." Insofern liegt in einem neuen EU-Vertrag auch eine Chance. Die Politik müsste, anstatt sich zu verstecken, den Bürgern endlich reinen Wein einschenken: Was muss die EU dürfen, damit sie funktioniert und Probleme lösen kann? Dann kann jedes Land - auch die Briten - per Referendum entscheiden, ob es dabei sein will.