Wirtschaft

Aktionäre schauen bei Wirecard-Insolvenz durch die Finger

Die Aktionäre des im Zuge eines Veruntreuungsskandals zusammengebrochenen Zahlungsdienstleisters Wirecard gehen bei der Insolvenz nach einem Urteil des Landgerichts München I leer aus. Sie gelten nicht als Gläubiger und könnten ihre Schadenersatzansprüche deshalb grundsätzlich nicht als Forderung bei Insolvenzverwalter Michael Jaffe geltend machen, erklärte Richterin Susanne Lukauer am Mittwoch.

Ob sie vom Unternehmen getäuscht wurden, sei dabei unerheblich. Auf Basis des Urteils könnte Jaffe einen Großteil der Ansprüche gegen das insolvente Unternehmen abweisen. Rund 22.000 Aktionäre fordern nach früheren Angaben rund 7 Milliarden Euro. Banken, Sozialkassen und andere Wirecard-Gläubiger haben Ansprüche über 3,3 Milliarden Euro angemeldet. Jaffe hat mit dem Verkauf der werthaltigen Unternehmensteilen immerhin gut 1 Milliarde Euro erlöst.

Für Wirecard-Aktionäre "ist das Urteil enttäuschend"

Die Grundsatzfrage, ob und unter welchen Umständen Aktionäre zu Gläubigern werden können, dürfte allerdings letztlich erst vom deutschen Bundesgerichtshof (BGH) geklärt werden. Geklagt hatte Union Investment, die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. "Für Anleger und Aktionäre ist das Urteil enttäuschend, da auch diese Investoren von Wirecard betrogen wurden", sagte ein Union-Sprecher. Überraschend sei das Urteil aber nicht. Es handle sich um einen Präzedenzfall, der höchstrichterlich geklärt werden müsse. Union Investment prüfe, welche Rechtsmittel man einlegen werde.

Richterin Lukauer sagte, eine Einordnung der Ansprüche von Aktionären als Insolvenzforderung sei "mit den Grundwerten des Insolvenzrechts nicht vereinbar". Union Investment hatte in der Verhandlung Anfang Oktober argumentiert, die Fondsgesellschaft hätte nie Wirecard-Aktien gekauft, wenn der Vorstand wahrheitsgemäß über die Lage des Unternehmens informiert hätte. Die Richterin machte klar, dass das nach ihrer Ansicht keine Rolle spiele. Union Investment habe sich entschieden, Wirecard-Aktien zu kaufen und damit in Eigenkapital zu investieren. "Über diese Investitionsform wurde sie aber nicht getäuscht", heißt es in der Urteilsbegründung.

"Perverses Ergebnis"

Eigentümer kommen bei Firmenpleiten erst zum Zuge, wenn alle Gläubiger befriedigt sind - in der Praxis so gut wie nie. Jaffes Rechtsanwalt hatte in der Verhandlung Anfang Oktober erklärt, eine Anerkennung von Aktionärsansprüchen wäre ein "perverses Ergebnis" des Insolvenzverfahrens, das die Gläubiger schützen solle. Sie bekämen damit zwei Drittel weniger. "Sie zahlen also die Zeche."

Die bis in den deutschen Börsenleitindex DAX aufgestiegene Firma mit Sitz in Aschheim bei München war vor gut zwei Jahren zusammengebrochen, nachdem sich eine angebliche Milliardensumme auf Treuhand-Konten als nicht existent entpuppte. Der Österreicher und frühere Vorstandschef Markus Braun sowie zwei weitere Wirecard-Manager müssen sich ab 8. Dezember unter anderem wegen Bilanzfälschung und Bandenbetrugs vor Gericht verantworten.

Markus Braun in anderes Gefängnis verlegt

Der wegen Milliardenbetrugs angeklagte frühere Wirecard-Chef, der Österreicher Markus Braun, ist vor Beginn seines Strafprozesses in einem anderen Gefängnis untergebracht worden. Der seit fast zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzende Braun wurde aus Augsburg in die Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim verlegt.

Dort wird in einem angrenzenden Gerichtssaal am 8. Dezember der Prozess gegen den österreichischen Manager und zwei Mitangeklagte beginnen, wie ein Sprecher des Oberlandesgerichts München am Donnerstag sagte. Zuvor berichtete die "Augsburger Allgemeine".

Braun soll für den größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte maßgeblich mitverantwortlich sein. Laut Anklage wurden Banken und andere Kreditgeber des Unternehmens um 3,1 Milliarden Euro geschädigt. Braun weist die Vorwürfe zurück.