Aiginger: Zum Wirtschaftswachstum verdammt
Von Christine Klafl
Im KURIER-Gespräch erklärt Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), dass in den Industrieländern eine Welt ohne Wachstum nahezu unmöglich ist, warum er eine Milliarde Euro in die Betreuung von Kleinkindern stecken würde und warum der Krisenstaat Griechenland ein Euro-Mitglied bleiben sollte.
KURIER: Nach Finanz- und Wirtschaftskrise und den vielen Diskussionen um Schuldenbremsen haben viele Menschen Sehnsucht nach einer anderen Welt. Kann es Ihrer Meinung nach eine Wirtschaftswelt ohne Wachstum geben?
Karl Aiginger: In Entwicklungs- und Schwellenländern bedeutet Wachstum weniger Armut und weniger Kindersterblichkeit. In Industrieländern ist Nullwachstum im Prinzip vorstellbar, aber bei einer ganz anderen Umverteilung. Die niederen Einkommensgruppen wollen sicher mehr verdienen, die oberen Einkommensgruppen müssten also absolut verlieren.
Das klingt auf längere Sicht machbar ...
Es ist deshalb sehr schwierig, weil unsere Sozialsysteme daran geknüpft sind, dass es Wachstum gibt. Ein Pensionssystem ohne Wirtschaftswachstum würde bedeuten, dass man viel mehr einzahlen müsste. Und fragen Sie einmal, was die Leute wollen. Die Menschen votieren meist für höheres Wachstum, weil es höheres Einkommen bedeutet.
Eine Umstellung auf Nullwachstum ist also praktisch unmöglich?
Praktisch ja, und wenn, dann würde die Umstellung Jahrzehnte dauern. Damit der technische Fortschritt (Fabriken ohne Menschen, Anm.), den wir haben, sich nicht in Form steigender Arbeitslosigkeit niederschlägt, brauchen wir Wirtschaftswachstum. Unter Raten von zwei Prozent steigt die Arbeitslosigkeit, das haben viele Forschungen gezeigt.
Bei Wachstum steigt aber immer auch der Energieverbrauch mit ...
Für zehn Prozent Wachstum brauchen wir sieben Prozent mehr Energie. Das ist zu viel. So werden wir eine Erderwärmung bis 2100 von fünf Grad bekommen. In dem Bereich ist in Europa in den letzten zehn Jahren nichts passiert. Wir brauchen intelligente Energiesysteme.
Sie haben vor Kurzem gesagt, Sie wünschen sich, dass Österreich trotz Budgetkonsolidierung eine Milliarde Euro in Wachstumsförderung stecken soll. Wohin soll das Geld fließen?
Ich habe Angst, dass uns eine zehnjährige Konsolidierungsphase bevorsteht und das Geld für Bildung und Innovation fehlt. Ich wünsche mir daher eine Milliarde für den Bildungsbereich und zum Beispiel für den Ausbau der Infrastruktur. Wichtig wären etwa Investitionen ins Breitband-Internet. Damit würden Stadt-Land-Differenzen kleiner.
Wenn Sie ganz persönlich eine Milliarde Euro verteilen könnten, wohin würde die gehen?
In die frühkindliche Betreuung. Da gibt es in Österreich noch viel Bildungsbedarf. Bei der Lebenserwartung von Menschen mit geringer Bildung und mit Maturaniveau gibt es immer noch einen Unterschied von vier Jahren. Bei den 14-Jährigen haben wir die höchste Rate an Rauchern, Trinkern und Übergewichtigen in Europa. Da muss man schon in der frühkindlichen Betreuung etwas tun. Es ist erwiesen, dass mit der Quantität und der Qualität der Bildung die Wirtschaftsleistung steigt.
Jetzt zu etwas ganz anderem. Wie schaut Ihrer Meinung nach die Eurozone in zehn Jahren aus?
Sie wird ein paar mehr Mitglieder haben als heute. Es muss aber jedenfalls einen Austrittsmechanismus geben. Es muss klar geregelt sein, in welcher Währung Kredite zurückzuzahlen sind. Und es muss einen Abwehrmechanismus für die Nachbarländer geben, dass die nicht leiden.
Wären Sie für einen Austritt Griechenlands?
Nein, ein Austritt oder Ausschluss Griechenlands wäre ein Ende der Hoffnungen auf einen EU-Beitritt der Balkanländer. Zwischen Griechenland und Serbien gibt es intensivste Handelsbeziehungen. Europa wird in einer globalisierten Welt bestehen, wenn es keine neuen Eisernen Vorhänge gibt, auch nicht zu Nordafrika und zum russischen Raum. Zum Thema Griechenland wundert mich etwas ganz anderes: Das Land hat Rüstungsausgaben von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und sieben bis zehn Prozent aller Importe entfallen auf Rüstung. Das war auf EU-Ebene aber nie ein Thema.
Über die mögliche Zukunft der Eurozone ist schon viel diskutiert worden. Einige Ihrer Kollegen in Deutschland können sich eine Teilung in Nord- und Südeuro vorstellen. Sie auch?
Nein, das würde nie funktionieren. Wir mit dem Nordeuro würden kräftig aufwerten. Und die Südzone hätte keine gemeinsame Währung mehr, sondern wäre ein Fleckerlteppich mit unterschiedlichen Währungen.
Dass die Europäische Zentralbank seit Mai des Vorjahres Staatsanleihen aufkauft, um die Schuldenkrise zu lindern, ist zum Teil heftig kritisiert worden. Trotzdem wird von manchen gefordert, dass die EZB noch viel mehr Anleihen kauft. Sind Sie auch dafür?
Die EZB kann noch viel mehr Anleihen kaufen, aber nur von Ländern, die eine Konsolidierungs- und Wachstumsstrategie haben. Diese Strategie sollte von einer Troika aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds geprüft werden. Gibt die Troika grünes Licht, kann die EZB kaufen.
Die Europäische Bankenaufsicht EBA verdonnert die großen Banken dazu, in den nächsten Monaten ihr Kernkapital kräftig aufzustocken. Ist das in der jetzigen Phase, wo Europa vielleicht vor einer Rezession steht, nicht kontraproduktiv?
Die neuen EBA-Regeln waren sicher notwendig, der Zeitpunkt ist aber nicht extrem klug. Der beste Zeitpunkt wäre eine Hochkonjunktur gewesen. Klüger wäre gewesen, die neuen Kapitalquoten ein bis zwei Jahre später einzuführen.
Im September ist das WIFO von einem österreichischen Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr von 0,8 Prozent ausgegangen. Vergangene Woche wurde die Prognose auf 0,4 Prozent gesenkt. Kann man da nicht unken, dass Prognosen ohnehin nie stimmen?
Wenn es keine Prognosen gibt, dann gibt es nur Bauchgefühle. Jede Firma muss aber in ihre Planungen etwas hineinschreiben. Durch Externes wie Finanzcrash oder Erdbeben sind Prognosen nicht immer richtig. Wir haben beim Finanzcrash auch nicht gewusst, dass der Hund mitfliegt, wenn der Schwanz wedelt. Und dass die Hälfte der österreichischen Gemeinden spekuliert haben. Aber im langen Durchschnitt liegt die Fehlerquote bei unserer Prognose praktisch bei Null.
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