190.000 Bezieher: Mindestsicherung mit Teilerfolg
Von Bernhard Gaul
In Zeiten von Wirtschaftskrisen sind gute Nachrichten im Sozialbereich rar. Umso erfreuter präsentierte Sozialminister Rudolf Hundstorfer die erste umfassende Evaluierung der "Bedarfsorientierten Mindestsicherung" (BMS). Diese finanzielle Hilfe für Menschen mit niedrigem oder keinem Einkommen startete nach jahrelangem Streit zwischen Bund und Bundesländern im September 2010. Es ersetzte die bisherige je nach Bundesland unterschiedliche Sozialhilfe durch eine bundesweit einheitliches Modell.
Integration am Arbeitsmarkt
Positiv ist für Hundstorfer, dass die Mindestsicherung "nicht eine reine Sozialhilfe ist, sondern sich zu etwas für die Menschen Aktivierendem" entwickelt hat. Etwas mehr als 90.000 Personen, die in den vergangenen zwei Jahren eine Mindestsicherung bezogen haben, seien grundsätzlich arbeitsfähig, davon konnten fast 33.000 Menschen (das sind rund 36 Prozent) wieder am Arbeitsmarkt Fuß fassen.
Positiv sei zudem, dass ein Missbrauch der Mindestsicherung, vor dem nicht nur der Koalitionspartner oft und lautstark gewarnt hatte, "gegen null" tendiere, ist Hundstorfer stolz. "Das spielt eigentlich keine Rolle." Entsprechend selten seien daher Sanktionen, etwa ein Auszahlungsstopp der Gelder, angewendet worden.
Weniger erfreut war der Minister über das Faktum, dass die Anzahl der Bezieher der Mindestsicherung gestiegen ist: Waren es 2010 noch 177.068 Personen, stieg die Zahl im Jahr darauf auf 193.276 an. Hundstorfer geht davon aus, dass die Anzahl der Bezieher weiter steigen wird, auf bis zu 350.000 Menschen. Als Grund dafür sieht die steigende Bereitschaft, um eine Mindestsicherung anzusuchen. Schon jetzt gebe es ein klares Stadt-Land-Gefälle, am Land sei die Scham in kleineren Gemeinden groß, bei seiner Bezirkshauptmannschaft um die soziale Hilfe anzusuchen. In Großstädten, wo man quasi anonym am Amt seinen Antrag stellen kann, würden andererseits nahezu alle anspruchsberechtigten Personen um Sozialhilfe ansuchen. Kein Wunder also, dass derzeit rund 58 Prozent der Empfänger der Mindestsicherung in Wien gemeldet sind.
Von den zuletzt rund 190.000 Beziehern sind rund 35 Prozent beim AMS vorgemerkt, 20 Prozent haben eine Arbeit mit geringerem Lohn als die Mindestsicherung (814,82 Euro, beziehungsweise 1221,68 für Paare), zwölf Prozent sind arbeitsunfähig oder mit einer geringen (oder gar keiner) Pension. 27 Prozent sind Kinder oder Jugendliche, sechs Prozent pflegende Angehörige oder Mütter mit Kleinkindern. 28 Prozent sind keine Österreicher, doch die Evaluierung zeigt, dass die "Nicht-Österreicher" schneller und längerfristiger am Arbeitsmarkt integriert werden können.
Handlungsbedarf
Claudia Sorger und Nadja Bergmann, die im Auftrag des Sozialministeriums die Mindestsicherung evaluiert haben, sehen jedenfalls weiteren Handlungsbedarf: So müsse die Betreuung und Beratung flächendeckend ausgebaut werden, es brauche zudem mehr Sozialarbeiter. Weiters brauche es mehr Hilfe für Ältere und Menschen mit gesundheitlichen Problemen.
Am wichtigsten, betonte auch Hundstorfer, sei aber eine Verbesserung der Qualifikation – "vor allem für Jugendliche". Fast 80 Prozent der Bezieher haben keinen oder nur einen Pflichtschulabschluss.