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Befürchtung von Gentrifizierung

Im Herzen Ottakrings liegt der Yppenplatz. Er gilt mit seinen Cafés und Bars, der Piazza mit Grünflächen und dem beliebten Bauernmarkt als das hippste Grätzel des 16. Bezirks. Doch das war nicht immer so: Noch in den 1990er-Jahren wurde das Gebiet abschätzig als Balkanmeile bezeichnet. Die Umgestaltung des Yppenplatz brachte den Anrainer*innen mehr Lebensgefühl – sorgte aber auch dafür, dass die Mietpreise anstiegen. Die Folge: Viele der ursprünglichen Bewohner*innen der nun modernisierten Häuser zogen weg. Somit galt der Yppenplatz als Paradebeispiel für Gentrifizierung in Wien. 

Heute sind es von der Stadt gesetzte klimapolitische Maßnahmen, die diesen Effekt bewirken könnten. Warum das so ist, diskutiert Moderator Markus Hengstschläger mit  Thomas Thaler, stellvertretender Leiter des Instituts für Landschaftsplanung der BOKU University, und mit Mag. Marcus Wadsak, ORF-Wetter- und Klimaexperte, im Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“. 

Es wird immer heißer

Zu Beginn stellt Hengstschläger die Frage in den Raum, warum die Klimaerwärmung für Städte ein spezielles Thema sei. Daran sei die Verbauung schuld, entgegnet Marcus Wadsak. „Im Sommer heizt sich der Beton auf und kann über Nacht kaum abstrahlen. Jeder, der innerstädtisch wohnt, kann davon ein Lied singen, vor allem in den Tropennächten.“ Daher gelte es, im urbanen Bereich Maßnahmen zu setzen. „1975 war in Wien der letzte Sommer, wo kein einziges Mal mehr als 30 Grad gemessen wurden“, betont der Meteorologe und ORF-Moderator. „Mittlerweile verzeichnen wir bis zu 40 Tage mit 30 Grad, wobei wir uns auch schon den 40 Grad nähern.“ 

Daher sei es unabdingbar, Maßnahmen gegen Hitzeinseln in der Stadt zu setzen, etwa Grünflächen und Fassaden- sowie Dachbegrünung. „Den Effekt kennen wir alle: Wir kommen von einer zubetonierten Straße in eine Allee und schon ist es dort kühler“, so Wadsak. Dabei sei in Wien die Ausgangslage eine positive, entgegnet Thomas Thaler. „Wir verzeichnen hier rund 50 Prozent an Grün- und Blauflächen, also Bepflanzung und Wasser“, betont er. „In Städten wie Barcelona oder New York liegt dieser Wert bei zehn Prozent.“  Und man müsse der Stadt wirklich zugutehalten, sich der Problematik bewusst zu sein, da in Wien klimapolitische Maßnahmen getätigt werden. „Die Frage ist aber: Wie heiß wird es bis ins Jahr 2050, 2100? Und reicht dafür aus, was getan wird?“

Markus Hengstschläger will wissen, was denn alles getan werden könnte. Begrünung sei natürlich ein wichtiger Punkt, erwidert Thaler. „Ein weiterer sind Schneisen, die sich durch die Stadt ziehen und für Abkühlung sorgen. So wie bei der Burggasse und Neustiftgasse: Sie führen kerzengerade vom Wienerwald bis in die Stadtmitte. Durch sie gelangt kühle Luft bis in die City.“ Marcus Wadsak kennt noch eine Möglichkeit. „Von den Außenbezirken führen viele Bäche in die Stadt, die alle kanalisiert wurden. Wenn man sie wieder an die Oberfläche holen würde, bringt das etwas?“ Thomas Thaler bejaht, schränkt aber ein, dass die Fläche groß genug sein müsste.

Grünflächen: Fluch oder Segen?

Dass etwas getan werden muss, ist allerdings unbestritten, da sind sich die Studiogäste einig. „Die Hitze in der Stadt ist ein unterschätztes Problem“, betont Marcus Wadsak. „Bei der ersten großen Hitzewelle 2003 wurden 70.000 hitzeassoziierte Sterbefälle in Europa verzeichnet. Auch in Österreich werden in manchen Jahren bis zu 1.000 Menschen frühzeitig aus dem Leben gerissen, weil wir diese neue Hitze nicht ertragen.“ Es gäbe aber auch eine Kehrseite der Medaille, hält Thaler fest. Denn klimapolitische Maßnahmen können auch eine Gentrifizierung mit sich ziehen.

„Wir wissen, dass dort, wo in Wien die größten Hitzeinseln sind, meist einkommensschwache Haushalte zu finden sind“, erklärt er. „Maßnahmen wie Begrünung stellen aber auch eine Aufwertung der Gegend dar – und das wiederum hat den Immobilienmarkt verändert.“ In den USA gebe es Beobachtungen, dass die Mietpreise daraufhin um 30 bis 40 Prozent gestiegen seien. In ähnlichem Maße gelte das auch für Österreich. „Und so wird aus einer positiven Maßnahme etwas Negatives“, fasst Thaler zusammen. 

„Kann man gegen diesen Nebeneffekt der sozialen Ungerechtigkeit etwas tun?“, fragt Markus Hengstschläger nach. Klima- und Sozialpolitik seien zwei verschiedene Felder mit unterschiedlichen Zielen, Ideen und auch Förderungen, entgegnet Thomas Thaler. Es sei wichtig, dass beide an einem Strang ziehen, wobei gerade in Wien eine Annäherung passiere. „Was auch positiv ist: Rund 50 Prozent aller Wiener*innen leben in sozialen Wohnbauten oder Genossenschaftsbauten, wo keine exorbitanten Mieterhöhungen zu erwarten sind“, so der Dozent. „Aber ganz vermeiden kann man eine Gentrifizierung nicht. Bei jeder Intervention muss man leider auch Negativfolgen in Kauf nehmen.“ 

Ob es in diesem Zusammenhang klarere Gesetze und Regeln benötige, will Markus Hengstschläger wissen. „In den 1980er-, 1990er-Jahren kam durch die ökonomische Wirtschaftswissenschaft die Idee auf, dass man beim Klimaschutz mehr auf Freiwilligkeit setzen sollte, doch wir haben gesehen, dass es nicht funktioniert“, betont Thaler. „Gerade bei Maßnahmen in der Stadt wird es ohne Regulative durch die Politik nicht gehen.“ Marcus Wadsak kann da nur zustimmen: „Der IPCC-Bericht des Weltklimarats zeigt deutlich, dass wir sofort und energisch Maßnahmen brauchen. Und ich sehe es so, dass es die soziale Aufgabe des Klimaschutzes ist, den Menschen, die sich nicht selbst schützen können, Schutzmöglichkeiten zu verschaffen.“ 

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Hier geht es zur gesamten Sendung „Spontan gefragt“:

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