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Artenverlust durch urbanen Konsum

Städte sind die Orte, an denen der Kampf für nachhaltige Entwicklung gewonnen oder verloren wird“, sagte schon Ban Ki-moon, ehemaliger UN-Generalsekretär. Tatsächlich lebt heute bereits mehr als die Hälfte der Menschen in Städten, bis 2050 werden es voraussichtlich mehr als zwei Drittel sein. Auch vor Wien macht die Urbanisierung nicht halt: Prognosen zufolge werden im Jahr 2100 in der Bundeshauptstadt 2,71 Millionen Menschen wohnen. „Viele Einwohner*innen bedeuten einen hohen Ressourcenbedarf“, sagt dazu Univ.Prof. Dr. Fridolin Krausmann vom Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. „Aber Städte sind auch der Hebel, den man am besten betätigen kann, um diesen nachhaltigen Ressourcenbedarf zu gestalten.“

Enorme Mengen

Städte tragen erheblich zum Klimawandel bei. Sie verbrauchen rund 80 Prozent der weltweiten Energie und Ressourcen. Zugleich produzieren urbane Ballungsräume große Mengen an Abfall und durch den Verkehr ist der Ausstoß an Treibhausgasen und anderen klimawirksamen Luftschadstoffen enorm. „Ein wesentlicher Punkt ist dabei der städtische Konsum“, betont Fridolin Krausmann. „Dieser hat nämlich auch Auswirkungen auf andere Regionen.“

In dem vom WWTF geförderten Projekt „Vienna’s global biodiversity footprint“, das von der BOKU in Kooperation mit der Universität Wien und dem Senckenberg Institut in Frankfurt durchgeführt wurde, ging es darum, Methoden zu entwickeln, mit denen der Biodiversitätsfußabdruck von Städten berechnet werden kann. „Dazu war es nötig, zunächst den Stoffwechsel urbaner Systeme zu verstehen“, so Krausmann.

Neue Zugangsweise

Für das Projekt wurde dabei der sogenannte Biomassekonsum in Wien untersucht. „Darunter verstehen wir land- und forstwirtschaftliche Biomasse als Energieträger, als Nahrungsmittel, als Rohstoff oder Baumaterial“, erklärt der Wissenschaftler. „Für den Sektor Energie gibt es gute Zahlen, in den anderen Bereichen haben wir Berechnungen angestellt, um eine fundierte Datenlage zu haben.“

Weitreichende Folgen

Das Ergebnis zeigte: Im Jahr 2010 wurden in der Stadt Wien 1,76 Millionen Tonnen Biomasse konsumiert. Um diese enorme Menge herzustellen, wurden weltweit allerdings 3,21 Millionen Tonnen primäre Biomasse entnommen. „Es benötigt enorme Flächen, um diese Menge gewinnen zu können“, fasst Fridolin Krausmann zusammen. „Die biogenen Ressourcen, die in Wien jährlich verbraucht werden, werden auf 14.500 Quadratkilometer Land produziert – das entspricht etwa der 35-fachen Fläche Wiens.“

Das Projekt zeigte, dass der Hauptanteil des Wiener Biodiversitätsfußabdrucks aus Österreich und den Nachbarländern kommt. Rund 20 Prozent entstehen außerhalb von Europa, vor allem in tropischen Regionen in Südamerika, Subsahara-Afrika und Asien. Dafür werden etwa Wälder, in denen viele Arten vorkommen, in Plantagen oder Ackerflächen umgewandelt – mit dem Ergebnis, dass die natürliche Biodiversität gefährdet ist. „Dass der urbane Ressourcenverbrauch unmittelbare Folgen auf die Umwelt hat, war klar“, so Krausmann. „Im Detail haben wir berechnet, wie sich eine Ernährungsumstellung in Wien auf den Artenverlust auswirken kann.“

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Städte sind Zentren des Ressourcenverbrauchs und Orte, um den Ressourcenverbrauch nachhaltiger zu gestalten

Univ. Prof. Dr. Fridolin Krausmann Leiter des Instituts für Soziale Ökologie an der BOKU Wien

Szenarien durchspielen

Der Wiener Biodiversitätsfußabdruck fällt bei Fleischkonsum sowie bei Genussmitteln wie Kaffee oder Kakao besonders ins Gewicht, werden hier doch die größten Flächen benötigt. Lebensmittel wie Weizen hingegen weisen eine positivere Bilanz auf. „Der Wiener Konsum trägt zum globalen Artenverlust bei, kann allerdings durch veränderte Ernährungsgewohnheiten verschoben werden“, betont der wissenschaftliche Leiter des Projekts. „Unsere Untersuchung zeigte, dass eine Umstellung auf vegetarische oder vegane Kost den Wiener Biodiversitätsfußabdruck um bis zu 37 Prozent reduzieren kann.“ Der Griff zu regionalen Lebensmitteln ist in diesem Zusammenhang ebenfalls empfehlenswert. Auch die Tatsache, dass die Menschen in Städten zu viel essen, spielt eine Rolle. „Eine Reduktion der Kalorienzufuhr auf das empfohlene Niveau sowie die Vermeidung von Lebensmittelabfällen kann den Biodiversitätsfußabdruck um weitere

14 Prozent reduzieren“, fasst Fridolin Krausmann zusammen. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Änderung der Ernährungsgewohnheiten ein wichtiger Ansatzpunkt zur Verringerung der urbanen Auswirkungen auf Biodiversität weltweit ist, zu dem die Städte etwa über die öffentliche Beschaffung direkt beitragen können.“

Die Ergebnisse ihrer Foschung präsentierten die Verantwortlichen bereits wichtigen Wiener Stakeholdern und stießen dabei auf reges Interesse. Die Methodik des Forschungsprojekts „Vienna’s global biodiversity footprint“ kann auch auf andere Gemeinden angewandt werden., die so ihren Biodiversitätsfußabdruck berechnen können. Ein erster Schritt in Richtung eines nachhaltigeren, urbanen Konsum ist damit getan.

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