Umstritten: Fingerfood statt Brei fürs Baby
Von Ingrid Teufl
Nach dem Stillen die Breiphase überspringen und direkt zum Familientisch übergehen – das ist ein Ernährungstrend aus Großbritannien. Unter dem Namen "Baby-led Weaning (BLW)" (zu deutsch "vom Baby geleitete Beikosteinführung") will die Gesundheitsberaterin Gill Rapley Kindern früh Eigenständigkeit und Entscheidungsfähigkeit ermöglichen. Vor allem greifen sie dabei beim Essen selbst mit den Händen zu. Breinahrung fällt aus.
Brei verweigert - Stress für Mama
Die Wienerin Svetlana Hartig betreibt in Wien-Döbling das "FreshBaby & Family Bistro" und entdeckte BLW, weil ihre heute dreieinhalb Jahre alte Tochter Brei verweigerte. Die Methode unterstütze zudem die natürliche Neugierde der Babys. "Ab einem gewissen Alter wollen sie ja das Gleiche essen, wie die Eltern am Familientisch." Die Mahlzeiten sollten dafür aber angepasst werden. "Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, im ersten Lebensjahr kaum Salz und Zucker und keine Geschmacksverstärker zu verwenden. Es ist gar nicht so schwierig, Gerichte anzupassen. Erwachsene können nachwürzen."
Kein neues Konzept
Völlig neu ist das Konzept nicht, betont Ernährungswissenschaftlerin Ingeborg Hanreich. Sie hat sich auf Kinder- und Babyernährung spezialisiert. "BLW ist ein Modetrend und passt zum Zeitgeist einer Lust- und Spaßgesellschaft. Ab dem achten Monat feste Kost anzubieten wird schon lange empfohlen. Bei BLW ist neu, dass es ausschließlich darum geht." Sie hält nichts von Entweder-Oder-Konzepten. "Es gibt genügend Rezeptsammlungen, die für Babys und den Familientisch geeignet sind." BLW habe zwei Seiten: "Ich finde es einerseits gut, Kindern mehr Kompetenz zuzutrauen und sie die Beikost selbst entdecken zu lassen. Doch andererseits passt das nicht für jedes Kind – und auch nicht für alle Eltern."
Mangel an Fett, Eiweiß
Im Alter von wenigen Monaten habe die feste Nahrung aus ernährungswissenschaftlicher Sicht auch Nachteile. "Es fehlt an hochwertigen Ölen und Fetten wie Omega-3-Fettsäuren, die wichtig für das Gehirnwachstum sind." Dazu drohe bei der rein vom Kind bestimmten Nahrungszufuhr die Gefahr, generell zu wenig Kalorien und Eiweiß aufzunehmen. "Die Mengen, die eigenständig aufgenommen werden, sind gering." Ausgeglichen werden kann das, wenn weiterhin gestillt wird. "Aber die Mutter muss sich bewusst sein, dass das Kind häufig gestillt werden will, auch nachts. Das kann sie auslaugen."
Gefahr von Eisenmangel
Im Magazin Der Spiegel kritisierten deutsche Kinderärzte, dass durch dieses lange Stillen und zu geringe Kalorienmengen ein Eisenmangel drohe. Bis zum sechsten Monat sind die angeborenen Eisenspeicher eines Babys zum Großteil geleert. Das lebenswichtige Element muss dann über die Nahrung zugeführt werden. Es ist an Wachstumsprozessen und dem Gehirnstoffwechsel beteiligt.
Hirse und Hülsenfrüchte
Svetlana Hartig hat diese Erfahrungen nicht gemacht. "Wenn man darauf achtet, was man kocht und dem Kind aus allen Nahrungsmittelgruppen ausreichend anbietet, kommt es auch zu keinem Mangel." Hirse und Hülsenfrüchte etwa habe sie erst mit der Beikost in den Familienspeiseplan eingebaut. Bei ihrer Tochter waren die Werte bei von der Kinderärztin angeregten Blutuntersuchungen in Ordnung. Verteufeln wolle sie Breikost nicht. "Bei meiner Tochter hat es einfach nicht geklappt. Es geht darum, dass man auf sein Kind hört, was am besten ist."