Wellness

Der Streit um die vegane Kinderernährung

Im Juli sorgte in Italien der Fall eines vegan ernährten Kindes für Schlagzeilen (der KURIER berichtete). Der Bub war stark unterernährt und musste wegen eines Herzdefekts einer Operation unterzogen werden. Ein Richter entzog den Eltern das Sorgerecht. Die oppositionelle Partei Forza Italia fordert seit Anfang August härtere Strafen für Eltern, die ihren Kindern vegane Nahrung aufzwingen.

Gefängnisstrafen für Eltern

Die Abgeordnete der rechtspopulistischen Forza Italia, Elvira Savino, will Eltern sogar ins Gefängnis schicken: bis zu ein Jahr, wenn sie unter 16-Jährige zu veganer Diät zwingen, bis zwei Jahre, wenn die Kids unter drei sind. Es sieht aber ein wenig nach Sommertheater aus, zumal die Forza Italia allein keine Mehrheit hat. Der Vorschlag, der ein bestehendes Gesetz erweitern soll, dürfte also keine allzu große Chance haben. Doch er fand Resonanz weit über Italiens Grenzen hinaus. Obwohl es nur ein Vorschlag sei, mache er die Runde in der Welt, wunderte sich auch die italienische Nachrichtenagentur Ansa.

In Italien soll es 600.000 Veganer geben. In Restaurants stehen immer öfter auch vegane Gerichte auf der Speisekarte, veganes Eis ist schwer im Kommen und in manchen Bars gibt es veganen Cappuccino - mit Milchersatz. Auch bei Schulkost wird heftig über ein veganes Angebot debattiert. Das Gesundheitsministerium sicherte nach einem Streit um den Ausschluss eines vegan ernährten Kindes vom Kindergarten zu, dass eine andere Ernährung aus ethisch-religiösen oder kulturellen Gründen möglich sei. Ministerin Beatrice Lorenzin ergänzte aber, Kinder bräuchten eine ausgewogene Ernährung. Dazu gehöre auch tierisches Eiweiß. "Man muss hier der wissenschaftlichen Erkenntnis folgen und nichts anderem, weil falsch ernährte Kinder Entwicklungsprobleme haben, Rachitis (eine Knochenwachstumsstörung) und andere Probleme. Und leider gibt es da viele Fälle."

Wie wichtig ist tierisches Eiweiß?

Selbst erwachsene Veganer brauchen Experten zufolge zusätzlich Vitamine und Mineralstoffe. "Wenn man bei einer veganen Ernährung nicht zusätzlich Nahrungsergänzungsmitteln einnimmt, kommt es zu Schäden - ganz besonders im frühen Kindesalter", sagt Berthold Koletzko vom Haunerschen Kinderspital der Universität München. "Bei Säuglingen und kleinen Kindern geht das binnen weniger Monate." Es könnten irreversible Schäden entstehen. Koletzko und seine Kollegen müssen immer öfter vegan ernährte Kinder mit Mangelerscheinungen behandeln, wie der Mediziner berichtet. Meist seien Eltern dann aber bereit, den Speiseplan umzustellen oder ergänzend Tabletten zu geben. "Es sind nur ganz wenige Familien, die sich nicht überzeugen lassen. Wenn wir dann zu der Überzeugung kommen, dass das Kind geschädigt wird, rufen wir die Gerichte an."

Veganer verzichten vor allem aus ethischen Gründen wie dem Schutz der Tiere etwa auf Fleisch, Milch und Eier. Eine Gefahr gibt es Koletztko zufolge gerade bei Kindern: Das Gehirn entwickelt sich nicht richtig. Auch Blutarmut, Schädigungen von Nerven und Rückenmark, Störungen des Gleichgewichts und des Bewusstseins können die Folge sein. Es fehlt Vitamin B12, aber auch Eisen, Zink, die Omega-3-Fettsäure DHA, teils Jod und Vitamin D. Fisch, Fleisch, Eier und Milch enthalten die Stoffe. Vegetarier sind hier besser versorgt. Koletzko hält es für keine gute Idee, Eltern zu bestrafen. "Es ist falsch, sie zu kriminalisieren. In aller Regel wollen die Eltern das Beste für ihr Kind und lassen sich durch Fakten überzeugen."

Freilich garantiert auch die gewöhnliche Ernährung in Italien Kindern nicht immer Gesundheit. Sie gehören Studien zufolge zu den fettesten in ganz Europa, neben dem Nachwuchs in Griechenland. "Bei Kindern im ganzen Mittelmeerraum ist die Häufigkeit von Übergewicht am stärksten in ganz Europa", sagt Koletzko. Eine Untersuchung von Kindern in Portugal und in München - auch zu der als gesund geltenden mediterranen Kost - brachte zudem ans Licht: "Die portugiesischen Kids haben weniger mediterran gegessen als die Münchner."

Etwas anders sieht das die Wiener Ernährungswissenschafterin Julia Pabst. Im Interview mit dem KURIER kritisierte sie das Schwarz-Weiß-Denken bei der Kinderernährung. Sobald das Kind regulär am Familientisch mitesse, sei eine vegane Ernährung nicht grundsätzlich negativ zu sehen. "Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät von veganer Ernährung für Kleinkinder ab. Diese Haltung sehe ich als nicht mehr ganz zeitgemäß. Man muss hier einfach verstehen, dass die DGE sehr allgemeine Richtlinien präsentiert und da ist die vegane Ernährung noch nicht angekommen", so Pabst.

Auffällig sei, dass die meisten veganen Eltern tendenziell gebildet, gut situiert und aufmerksam seien. Es sei daher durchaus davon auszugehen," dass sie sich im Wohle des Kindes und der gesamten Familie gut informieren, um die bestmögliche Ernährung zusammenzustellen." "Manche Veganer integrieren viele Sojaprodukte, da sie gut Eiweiß liefern. Es gibt aber auch Veganer, die Soja in großen Mengen meiden, weshalb dann andere Strategien für ausgewogene Ernährung gefunden werden müssen. Hier können also keine pauschalen Empfehlungen gegeben werden, weswegen aus meiner Sicht immer ein individuelles Konzept verfolgt werden kann", so Pabst.

Freilich sollte man Mangelerscheinungen niemals auf die leichte Schulter nehmen. Pabst rät daher strikt von radikalen Ernährungsumstellungen und einem leichtsinnigen Umgang mit Nahrungsmitteln ab. "Vegane Eltern müssen - wie natürlich alle anderen Eltern auch - die volle Verantwortung übernehmen, die bestmögliche Versorgung des Kindes sicher zu stellen, sich über die Möglichkeiten einer bedarfsdeckenden Ernährung zu informieren und bei Bedarf passende Vitamin- und Nährstoffpräparate zu integrieren." Auch eine regelmäßige Kontrolle der Kindesentwicklung sei anzuraten, um etwaige Mängel rechtzeitig erkennen zu können.

Trend zu fleischloser Ernährung

In Österreich leben aktuell rund neun Prozent (10 Prozent der Frauen und 8 Prozent der Männer) der Bevölkerung vegetarisch oder vegan. Bei den unter 40-Jährigen liegt der Prozentanteil der Menschen mit einer fleischlosen Ernährung sogar bei 17 Prozent. Das geht aus einer repräsentativen IFES-Studie aus dem Jahr 2013 hervor. 2005 hatten sich bei einer IFES-Befragung lediglich drei Prozent der Bevölkerung zu einer fleischlosen Ernährungsweise bekannt.