Chinesen im Weihnachtsfieber
Jingle Bells“ säuselt aus Lautsprechern. In den Schaufenstern der Boutiquen hängen goldene Kugeln auf grünen Plastikzweigen. Das Shin-Kong-Einkaufszentrum im Süden von Peking ist weihnachtlich dekoriert. Hier kauft die gehobene Mittelschicht. Wohlhabende Chinesen in teurer Kleidung bummeln mit Einkaufstüten durch die Geschäfte. Westliche Lebensart, etwa teurer Wein, italienische Pasta und US-Marken gehören in der Volksrepublik mittlerweile zum guten Ton. Und so passen sich viele nun auch den Weihnachtsbräuchen an, die sie aus dem Westen kennen.
Bunte Kerzen und Christbaumkugeln gelten im atheistischen China derzeit geradezu als modern und fortschrittlich. „Eine Freundin von mir hat ein paar Jahre lang in England gelebt“, sagt etwa eine Chinesin Mitte dreißig, die mit einer Freundin durch die Einkaufspassage schlendert. „Sie macht jedes Jahr eine kleine Weihnachtsparty. Bei ihr in der Wohnung steht sogar ein kleiner Baum mit Kugeln und Lichtern.“
Fotos mit Santa Claus
In Chinas großen Städten wie Schanghai oder Peking sind Luxushotels und Shopping-Malls dieser Tage mit Weihnachtsbäumen und Kunstschnee geschmückt. Chinesen fotografieren sich vor Santa Claus mit seinem Schlitten und den Rentieren. Vor allem junge Familien mit Kindern kaufen weihnachtliche Dekoration auch für die eigenen vier Wände: „Wir haben Kugeln und bunte blinkende Lichter“, sagt eine Mutter Ende dreißig. „Mir gefällt es, die Wohnung ein wenig zu schmücken. Es wird derzeit in Peking so schnell dunkel und draußen ist es kalt. Die Beleuchtung heitert mich ein wenig auf.“
Nur in großen Städten
Die westlichen Bräuche sind allerdings nur in den großen Zentren zu finden. Für den Großteil der Chinesen, etwa für die Bauern auf dem Land, hat Weihnachten keinerlei Bedeutung. Auch zu Silvester legen sie sich wie gewohnt ins Bett. Denn das familiäre Großereignis in der Volksrepublik ist das sogenannte Frühlingsfest, das abhängig vom Mondkalender im Jänner oder Februar stattfindet. Erst dann schließen Fabriken und Geschäfte landauf und landab und entlassen das Heer der Wanderarbeiter, das sich direkt in Bewegung setzt und nach Hause fährt.
China kommt nicht zu Weihnachten, sondern ein paar Wochen später zur Ruhe, das Volk der 1,3 Milliarden sitzt dann mit Verwandten zu Hause und feiert.
Traditionell ist China vom Buddhismus und dem Daoismus geprägt. Manchen Schätzungen zufolge gibt es mittlerweile aber auch rund 100 Millionen Christen in der Volksrepublik (siehe Infobericht). Überhaupt haben Religionen Zulauf. Denn seit der Kulturrevolution in den 1960er- und 70er-Jahren, während der die alten Traditionen zerstört wurden, leiden viele Chinesen an einer Art Werte-Vakuum. Soziales Verhalten wie Rücksichtnahme oder Empathie liegt in vielen Bereichen brach, und so suchen immer mehr Bürger auch im Christentum Halt und spirituelle Orientierung. Wie überall auf der Welt besuchen die Christen in der Volksrepublik an Heiligabend die Messe. Und als Konsum-Ereignis wird sich Weihnachten in China in den kommenden Jahren sicherlich weiter verbreiten.
Glühwein und Kekse
Die gemütliche „Beiluo Bread Bar“ liegt im Herzen Pekings. Auch hier, wo junge Chinesen bei Cappuccino vor ihrem Laptop sitzen, hat Besitzer Tian den Weihnachtsschmuck hervorgekramt. Der Eingang und ein paar Säulen sind mit künstlichen Plastik-Tannenzweigen geschmückt. Es gibt Glühwein und selbst gebackene Kekse. Für Restaurantbesitzer Tian ist Weihnachten vor allem ein Geschäft. So wie viele Hotels und Restaurants in Peking lockt er seine Kundschaft derzeit mit kleinen Überraschung. „Junge, wohlhabende Chinesen probieren gerne Neues aus“, sagt der Restaurantbesitzer. „Und alles, was aus dem Westen kommt, finden sie erst einmal gut.“ Mit Besinnlichkeit oder religiösen Werten gar hat das jedoch überhaupt nichts zu tun – Christmas in China ist in erster Linie Spaß und Unterhaltung.
„Wie Valentinstag“
„Weihnachten ist für uns junge Chinesen so wie Valentinstag“, sagt etwa die 23 Jahre Nian Liu, die in Peking als Übersetzerin arbeitet und in der Beiluo Bread Bar an einem Muffin knabbert. Es ist ein Trend, der aus dem Westen kommt und von den Werbestrategen clever vermarktet wird.
Vor allem junge Chinesen gehen gemeinsam essen oder ins Kino, die jungen Städter machen einander auch kleine Geschenke. „Aber so schön wie im Westen ist Weihnachten für uns dann doch nicht“, sagt die junge Frau mit dem langen schwarzen Haar. Denn in China geht der Alltag dieser Tage ganz normal weiter. „Wir müssen aufstehen und arbeiten,“ so die 23-Jährige. „Besonders festlich fühlen wir uns zu Weihnachten deswegen nicht.“