Von der Gugl auf den Zuckerhut
Mateo Kovacic entschuldigt sich. Er entschuldigt sich für sein Deutsch: "Es tut mir leid, ich habe vieles vergessen." Diesen Eindruck hat man gar nicht. Vielmehr erweckt der 20-Jährige einen anderen: Mateo Kovacic ist demütig, gut erzogen. Er wirkt nicht nur so. Man nimmt es ihm ab, wenn er über seine Wurzeln, seinen Werdegang und die bevorstehende WM in Brasilien spricht. Dabei hat der Kroate ganz schön viel erreicht für sein Alter: Er spielte mit 18 Jahren schon in der Champions League, wurde zwei Mal Meister mit Dinamo Zagreb und wechselte um elf Millionen Euro Ablöse zu Inter Mailand, wo er sich prompt einen Stammplatz im zentralen Mittelfeld erkämpfte und die Rückennummer zehn trägt. Auch aus dem kroatischen Team ist er nach nur acht Länderspielen nicht mehr wegzudenken.
Begonnen hat alles in Oberösterreich, wo seine Familie Zuflucht vor dem Krieg in der Heimat suchte und fand: Am 6. Mai 1994 erblickte Mateo in Linz das Licht der Welt. "Meine Eltern und meine beiden Schwestern leben nach wie vor da. Ich bin auch immer noch oft in Linz", erzählt der Italien-Legionär. "Österreich ist mein Heimatland, ich bin den Österreichern sehr dankbar dafür, was sie mir alles gegeben haben. Ich habe viele Freunde dort und bin sehr froh, in Linz aufgewachsen zu sein."
Bei Ebelsberg Linz und dann beim LASK auf der Gugl schnürte er seine ersten Fußballschuhe. Das Talent war nicht zu übersehen und blieb auch den Scouts von Dinamo Zagreb nicht verborgen. Mit 13 Jahren wechselte Kovacic im Sommer 2007 in die Akademie des kroatischen Topklubs, wo er drei Jahre später bei den Profis debütierte und prompt ein Tor erzielte.
Keine Entscheidung
Dass er heute nicht für Österreich spielt, obwohl er von seiner Heimat spricht und den Großteil seines jungen Lebens hier verbracht hat, ist einfach zu erklären: Da es für 13-Jährige keine Nachwuchsnationalteams gibt, hatte der ÖFB vor dem Weggang des Talents gar nicht die Möglichkeit, Kovacic einzuberufen. "Es gab nie eine Entscheidung zwischen Österreich und Kroatien", betont Kovacic. "Ich habe zwar in der Linzer Auswahl gespielt, Kontakt zum ÖFB hat es aber keinen gegeben."
Froh darüber ist naturgemäß Niko Kovac. Salzburgs Ex-Kapitän baut als kroatischer Teamchef auf den 20-Jährigen, der bei ihm vor den Stars Modric und Rakitic auf der "Zehnerposition" spielt. "Ich bin froh, dass er sich – so wie einst auch ich – für Kroatien entschieden hat. Weil er ein Spieler mit Riesenpotenzial ist", sagt der gebürtige Berliner.
Die österreichische Fan-Seele muss sich damit trösten, dass der potenzielle Weltklasse-Kicker seine Wurzeln nicht vergessen hat. Ob man heute noch etwas Österreichisches an ihm findet? "Das Österreichische an mir ist die Einstellung zur Arbeit. Dafür bin ich sehr dankbar." In Kroatien gehe es oft gemütlicher zur Sache. Auch im Fußball, weil man mit mehr Talent gesegnet sei. "Okay, vielleicht sind die Österreicher technisch nicht so gut wie wir – aber mit ihrer Einstellung machen sie viel wett."
Glückwünsche
Österreichs Team kennt Kovacic natürlich. "Alaba ist einer der besten Linksverteidiger der Welt, auch Arnautovic ist Klasse. Ich hoffe, dass sie bei der EM 2016 dabei sind und wünsche ihnen Glück."
Davon werden die Kroaten in Brasilien auch eine kleine Portion brauchen können. Zum Auftakt geht es in São Paulo gegen Gastgeber Brasilien, danach warten Kamerun und Mexiko. Alle drei Gegner müssen sich nicht erst auf das Klima einstellen.
"Aber die WM ist eine einmalige Chance, die jeder von uns, auch ich, nützen möchte", sagt Kovacic und appelliert an seine Landsleute: "Für uns ist die Stimmung sehr wichtig, dass die Medien und ganz Kroatien hinter uns stehen. Wir müssen alle eine Einheit sein. Vor allem nach dem, was in Slawonien passiert ist", verweist er auf die Hochwasser-Katastrophe. Um die Region zu unterstützen, wurde auf Wunsch von Teamchef Kovac am Samstagabend auch in Osijek gegen Mali getestet. Die Einnahmen aus dem Länderspiel will man dem Roten Kreuz übergeben.