Hummels köpfelt Deutschland ins Halbfinale
Es ist wieder einmal an der Zeit, den guten alten Gary Lineker zu zitieren. Der Fußball, so hatte der englische WM-Torschützenkönig von 1986 einmal behauptet, sei ein einfaches Spiel: „22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“
Im kultigen Maracanã-Stadion von Rio sollte Linekers kultiger Spruch wieder einmal neuen Stoff erhalten. Deutschland war im Viertelfinale gegen Frankreich nicht die bessere Mannschaft, zog aber als effizienteres Team mit einem 1:0 in die Runde der letzten vier ein. Damit steht die deutsche Nationalmannschaft zum vierten Mal in Folge in einem WM-Semifinale.
Facelifting
Joachim Löw hatte seine Lehren aus dem Achtelfinale gegen Algerien (2:1 nach Verlängerung) gezogen und seine Mannschaft einem Facelifting unterzogen. Nicht nur dass Klose und Khedira in die Startelf aufrückten, der Bundestrainer kommandierte auch Kapitän Lahm wieder an die Outlinie. Der gelernte Außenverteidiger, der sich neuerdings als zentraler Mittelfeldspieler sieht, musste wieder an seiner angestammten Position in der Viererkette aushelfen. Mit diesen Rochaden beugte sich Löw auch dem Druck der Öffentlichkeit und der Honorarkritiker: Zuletzt hatten 93 Prozent eine Startelf mit Schweinsteiger und Khedira sowie Lahm als Außenverteidiger gefordert.
Durch die Umstellungen bekam das Spiel Stabilität, eine andere öffentliche Forderung konnte die deutsche Nationalmannschaft allerdings nicht erfüllen: jene nach mehr Spielkultur. Löw war zuletzt ja der Rückfall in alte Sitten des berüchtigten Rumpelfußballs vorgeworfen worden, und eine Offensivgala, wie es sie noch 2010 in Südafrika zu bestaunen gab, war auch dieses 1:0 gegen Frankreich nicht.
Dafür glänzten die Deutschen mit einer anderen Tugend, die jetzt zwar nicht ausschließlich eine rein deutsche ist, die aber einen potenziellen Weltmeister auszeichnet: die Effizienz.
Das Spiel in Bildern
Matchwinner
Die Löw-Elf schlug gleich bei der erstbesten Gelegenheit zu, die sich ihr bot. Und das war ein Freistoßball von der Seite, den Hummels mit dem Kopf ins Tor lenkte (13.). Diese Aktion war der Beleg, dass die deutschen Standardsituationen bei dieser WM einen hohen Standard haben: Es war bereits das vierte Tor nach einem ruhenden Ball.
Nicht nur wegen seines Kopfballtreffers war Hummels der Mann des Spiels. Der Dortmunder war auch als umsichtiger Abwehrchef immer wieder als vorletzte Instanz zur Stelle, und wenn er einmal zu spät kam, dann gab es immer noch Tormann Neuer, der Schüsse von Valbuena (34.), Benzema (44.) und Matuidi (72.) entschärfte.
Es war die Phase, in der die Deutschen das Glück herausforderten und die Franzosen mit ihrem Sturm und Drang immer wieder für große Probleme sorgten. In den letzten Minuten hätte der eingewechselte Schürrle den Sack zumachen können, scheiterte aber zwei Mal. Das hätte sich beinahe noch gerächt, in der 94. Minute musste Neuer ein letztes Mal gegen Benzema retten.
Damit enden gleich zwei Serien: jene von Frankreichs Teamchef Didier Deschamps, der erstmals bei einer WM ein Spiel verlor. Und jene der Deutschen, die erstmals im Maracanã-Stadion ein Spiel gewinnen konnten. Eine Arena, in der die deutsche Nationalmannschaft noch einmal auftreten möchte: Am 13. Juli, dann, wenn ebendort der neue Fußball-Weltmeister gekürt wird.
/**/Rio de Janeiro, Maracana-Stadion, 72.000, SR Pitana (ARG).
Tor: 0:1 (13.) Hummels
Frankreich: Lloris - Debuchy, Varane, Sakho (71. Koscielny), Evra - Pogba, Cabaye (73. Remy), Matuidi - Valbuena (85. Giroud), Benzema, Griezmann
Deutschland: Neuer - Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes - Schweinsteiger, Khedira - Müller, Kroos (92. Kramer), Özil (84. Götze) - Klose (69. Schürrle)
Gelbe Karten: Keine bzw. Schweinsteiger, Khedira
Philipp Lahm (Deutschland-Kapitän): "Es war brutal warm. Das Wichtigste war, dass wir als Mannschaft auf dem Feld gestanden sind. Wir hätten aber das 2:0 nachlegen müssen, das haben wir verabsäumt. Insgesamt war das wieder eine gute Leistung, jetzt stehen wir wieder im Halbfinale."
Mats Hummels (Deutschland-Verteidiger, 1 Tor): "Ich war heute sehr früh platt. Aber das ging nicht nur mir so. Für mich ist der nächste Traum in Erfüllung gegangen. Heftig, was hier alles positiv für mich läuft. Die Reise für uns ist noch nicht zu Ende."
Manuel Neuer (Deutschland-Tormann): "In diesem Stadion ein WM-Viertelfinale gegen Frankreich spielen zu dürfen, das ist schon sehr beeindruckend. Gegen Algerien konnten wir nur verlieren, das heute war hingegen ein 50:50-Spiel. Wir wussten um was es geht, und wir haben guten Fußball gezeigt. Jetzt stehen wir im Halbfinale, mal schauen was das für ein Spektakel wird."
Jerome Boateng (Deutschland-Verteidiger): "Manu (Neuer, Anm.) ist einfach der beste Tormann der Welt, das ist unglaublich."
Didier Deschamps (Frankreich-Teamchef): "Wir hatten auch unsere Chancen, aber Deutschland hat dank der Erfahrung gesiegt. Sie haben den Vorteil der 1:0-Führung gut verwaltet. Aber wir haben bis zur letzten Sekunde dagegengehalten und hätten durch Karim (Benzema, Anm.) fast noch ausgeglichen."
Joachim Löw (Deutschland-Teamchef): "Es war unglaublich spannend. Aber in einem WM-Viertelfinale war auch nichts anderes zu erwarten. Das sind Mannschaften auf Augenhöhe. Meine Mannschaft hat bravourös gekämpft, sehr kompakt gespielt. Probleme hatten wir bei langen Bällen. Jetzt sind die Spieler richtig platt, das war ein sehr intensives Spiel."
Karim Benzema (Frankreich-Stürmer): "Wir waren sehr nah dran, es hat nicht viel gefehlt. Ein frühes Tor hat das Spiel entschieden, nach der Pause haben wir eine tolle Leistung gezeigt. Leider hat Tormann Neuer ein sehr starkes Match gezeigt. Wir können stolz auf unsere WM sein."